Dienstag, 23. April 2024

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Politikwissenschaftler zum höchsten Staatsamt
"Ein Bundespräsident ist unverdächtig"

Tausende von Gesprächen, die auch zu großem Widerspruch, vielleicht auch zu Wut führen könnten - dieser "Schlacht mit jedem Bürger" müsse sich ein Bundespräsident geradezu stellen, so Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im Dlf. Denn diese Begegnung verändere nachweisbar die Einstellung der Menschen zur Politik.

Rudolf Korte im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 24.11.2018
    Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.
    Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. (dpa/picture alliance/Karlheinz Schindler)
    Jürgen Zurheide: An der Duisburger School of Governance haben zahlreiche Wissenschaftler gestern über eine von der Politikwissenschaft eher nicht so kräftig beleuchtete Frage debattiert. Es ging um die Rolle des Bundespräsidenten, seine Bedeutung im politischen System der Bundesrepublik Deutschland. Es ging um die wichtige Frage, kann er Politik beeinflussen, und wenn ja, wie? Hat er wirkliche Machtoptionen, oder ist es eher die Kraft des Wortes, die bei ihm wirkt? Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte hat sich ganz besonders mit dieser Frage auch beschäftigt, hat zahlreiche Bundespräsidenten in der jüngeren Vergangenheit getroffen. Er ist also ein besonderer Kenner der Szenerie. Im Anschluss an die Veranstaltung habe ich mit ihm unterhalten und als Erstes die Frage gestellt, Herr Korte, brauchen wir denn überhaupt den Bundespräsidenten?
    Rudolf Korte: Ja, zwingend. In einer polarisierten Gesellschaft ist der Bedarf nach einem, der Orientierung bieten kann, größer denn je.
    Machtdemonstration ohne Machtgebrauch
    Zurheide: Dann ist die Frage, welche Macht hat der Bundespräsident, oder ist er nur eine Art Reservemacht? Wie sehen Sie das?
    Korte: Er hat viele verschiedene Seiten der Macht. Die interessanteste ist wahrscheinlich eine weiche Machtseite. Dass er Menschen zusammenführen kann, verschiedene Protagonisten zusammenführen kann, dass er hinter den Kulissen Macht demonstrieren kann, ohne sie öffentlich zu zeigen. Also eine Machtdemonstration ohne Machtgebrauch ist eine zentrale Ressource, die der Bundespräsident hat. Und dass er zusätzlich Reservemacht hat, haben wir ja an der Regierungsbildung zuletzt gemeinsam gemerkt.
    Zurheide: Die wichtigste Wirkung – stimmen Sie dem Satz zu? – ist über das Wort, oder ist das eine zu große Verengung aus Ihrer Sicht? Denn Sie haben sich ja gerade mit dem Thema noch mal intensiv beschäftigt.
    Korte: Sprachgewinn ist Machtgewinn. Er braucht jetzt keine Mehrheiten für sich zu suchen. Aber er möchte natürlich Deutungsmacht gewinnen, weil er eine moralische Institution im Land auch sein kann, nicht nur als Mithüter der Verfassung, sondern auch einer, der als Zivilitätswächter auftreten kann. Es spielt insofern, wie er formuliert, welche Geschichte er erzählt, welches Bild er dazu abgibt, eine sehr große Rolle, weil man sich auf ihn dann beziehen kann, auch in parlamentarischen Debatten.
    Von Weizsäcker und Kohl haben sich ergänzt
    Zurheide: Sie haben sich ja mit den verschiedenen Bundespräsidenten der Republik beschäftigt. Welches ist das prägnanteste Beispiel, wohlwissend, dass es wahrscheinlich nicht das eine Beispiel gibt. Da fällt ja dann immer die Rede von Herzog, die "Ruck-Reden" ein, oder von Weizsäcker. Das sind so die Dinge - einige reden vielleicht von Rau. Oder habe ich damit jetzt gar nicht mal die genannt, die Ihnen einfallen würden?
    Korte: Ja, der 8. Mai wird immer genannt. Denn man geht durchaus als Wissenschaftler auch so vor und fragt Bürger, was sie noch an Erinnerungen an Bundespräsidenten haben. In der Regel verkürzt sich dann eine Legislaturperiode oder eine Amtszeit, besser gesagt, für einen Bundespräsidenten auf eine Rede, auf einen Begriff. Und sehr schnell geraten natürlich auch historische Figuren im Amt des Bundespräsidenten in Vergangenheit, ohne deren Leistung damit auch automatisch in irgendeiner Weise zu schmälern. Aber die Verdienste, die die Bundespräsidenten hatten, hingen in ihrer Zeit auch nicht nur durch das Wort zusammen, sondern auch in der Auseinandersetzung, mit welchen Kanzlern sie es zu tun hatten, also ob man wie von Weizsäcker so eloquent, überlegen geradezu formulieren kann, hing auch mit der Machtsprache von Kohl zusammen. Die Wirkung haben beide in ihrem Feld sehr gut entfaltet, weil sie sich ergänzt haben.
    Außerhalb der Interessen von Lobbyisten oder Parteien
    Zurheide: Kommen wir zu der Frage, parteiisch, aber nicht parteilich. Ist das eine Kategorie, wo Sie sagen würden, ja, so kann man das zeichnen? Also parteiisch im Sinne von er muss schon durchaus inhaltlich Partei beziehen, aber eben nicht parteilich sein. Das ist der Anspruch, richtig?
    Korte: Richtig. Und es lässt sich in den Amtszeiten auch nicht erkennen, dass eine parteipolitische Grundierung als Nähe zu einer bestimmten Partei im Amt erkennbar geworden ist. Wenngleich das Wissen, als Parteipolitiker, wenn man in so ein Amt kommt, natürlich zu einzelnen Parteien viel ausgeprägter ist. Vielleicht auch die Sprache. Aber es lässt sich nicht nachweisen eine Parteinähe. Aber das Pfund, mit dem ein Bundespräsident zu wuchern hat, ist eben, dass er außerhalb der Interessen von Lobbyisten oder Parteien steht und insofern als Repräsentationsamt sich unabhängig zeigt, eben nicht parteiisch oder parteilich gebunden.
    Für das System über Demokratieerlebnisse werben
    Zurheide: Jetzt kommen wir zu der aktuellen Situation. Welche Themen müsste oder muss oder bespielt heute der Bundespräsident? Was wäre wichtig in dieser Republik, die politisch - auseinanderbricht, will ich nicht sagen, aber zumindest an den Rändern starke Erosionserscheinungen hat? Was müsste sein Leitthema sein? Zum Beispiel, das wieder zusammenzuführen oder eine Integrationskraft?
    Korte: Ja, er müsste Demokratieerlebnisse vielleicht auch leidenschaftlich erzählen und zu Demokratieerlebnissen beitragen bei jedem einzelnen Bürger, die dann zu Nachdenklichkeit führt, wie Demokratie überhaupt funktioniert. Über eine Mehrheit, über den Minderheitenschutz, über Parlamente, die eben über Repräsentationsmechanismen zu schützen sind und wichtiger sind als nur direkte Demokratie. Er müsste also für das System über Demokratieerlebnisse werben, weil mit so einer Gestaltungsidee kann man durchaus auch Solidarität stiften. Und dass es eine praktische Übersetzung wäre von dem Gebot, eine Gesellschaft zu integrieren.
    "Hingehen, zuhören, aufsuchen, unterwegs sein"
    Zurheide: Und was müsste der aktuelle Bundespräsident - jetzt nehme ich Sie fast in die Rolle des Beraters, obwohl Ihnen das nicht zusteht, ich weiß, Sie werden es gleich zurückweisen -, aber was müsste er tun, auch vielleicht gerade jene anzusprechen, die eigentlich sich aus dem System verabschiedet haben. Ich formuliere das bewusst so hart, weil es ist ja auch wichtig, die nicht ganz zu vergessen. Wir Medien tun das vielleicht manchmal zu oft.
    Korte: Hingehen, zuhören, aufsuchen, unterwegs sein, Tausende von Gesprächen führen, die zu großem Widerspruch auch führen können, in Auseinandersetzungen, vielleicht auch zu Wut auf der anderen Seite. Aber er muss sich dieser Schlacht mit jedem Bürger geradezu stellen, und das über die Zeit der Amtsdauer tausendfach. Das hat große Wirkung, wie wir sozialwissenschaftlich nachweisen können. Die Begegnung mit einem Politiker verändert die Einstellung zur Politik. Und ein Bundespräsident ist unverdächtig, dass er Werbung für irgendetwas macht außer für die Bundesrepublik Deutschland.
    Zurheide: Das war Karl-Rudolf Korte, noch einmal bei uns im Deutschlandfunk nach dieser Tagung gestern an der School of Governance in Duisburg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.