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Wettskandal
Glaubwürdigkeitskrise im Tennis

16 Spieler aus den Top 50 sollen sich laut BBC und Buzzfeed gekauft haben lassen. Es ist nicht der erste Wettskandal im Tennis und unser Autor Jonas Reese bezweifelt, dass es der letzte sein wird. Das Problem: Zu viele Parteien profitieren von Wettmanipulationen im Tennis.

Von Jonas Reese | 24.01.2016
    Schläger und Tennisball von Marco Chiudinelli bei der Swiss Open 2015 in Basel.
    Wettmanipulationsvorwürfe werfen einen Schatten auf den Tennissport - mal wieder. (imago/ Melanie Duchene)
    Am einfachsten wäre es wohl, Sportwetten komplett zu verbieten: "Das wäre für uns der beste Ansatz. Nur da stoßen wir auf internationale Grenzen des internationalen Geschäfts und das internationale Wettgeschäft werden wir leider nicht ausrotten können, was Tennis angeht."
    So muss man das wohl sehen. Ein derartiger Vorstoß wäre wahrscheinlich so erfolgreich wie der Versuch, weltweit alle Steueroasen auszutrocknen. Diese Erkenntnis hatte Georg von Waldenfels bereits im Jahr 2007. Damals war er der Präsident des Deutschen Tennis Bundes. Und damals erlebte das Profi-Tennis seinen ersten Wettskandal.
    Nicht der erste Wettskandal
    Der Russe Nikolai Dawydenko, Nummer vier der Welt, stand im Zentrum der Verdächtigungen. Die Affäre blieb aber folgenlos. Und das war der Grund, warum die neuen Anschuldigungen jetzt überhaupt ans Licht kamen. Die damaligen Ermittler waren einfach frustriert, dass der Profi-Verband nichts unternommen hatte. Sie spielten ihre Daten der BBC und Buzzfeed zu.
    "Die Datenanalysten und Ermittler hatten die Verbindungen zwischen den Spielern und den Wettsyndikaten aufgedeckt. Wir hatten wirklich starke Beweise, aber der Tennissport hat diese Gelegenheiten verstreichen lassen, Spieler anzuklagen, sie nach einem Disziplinarverfahren zu bestrafen und damit für eine wirkungsvolle Abschreckung zu sorgen", sagt Mark Philipps in der BBC Reportage. Er und sein Team haben sechs Jahre lang recherchiert und der Profivereinigung ATP ständig verdächtige Daten übergeben. Jedoch ohne Wirkung. Und so erscheinen die jüngsten Beteuerungen von Verbandschef Chris Kermode wenig glaubwürdig:
    "Ich glaube die Tennis Integrity Unit hat kein Interesse daran, Verdachtsmomente zu unterdrücken. Ich kann Ihnen versichern, dass jedem Verdacht nachgegangen wird und - wenn es genug Beweise gibt - auch eine Bestrafung erfolgt."
    Gängiger Reflex der Sportverbände
    Es ist der gängige Reflex der Sportverbände, den man auch schon aus den vergangenen Dopingskandalen in anderen Sportarten kennt. Und er lässt zwei Rückschlüsse zu: Erstens, es liegt nicht unbedingt im Interesse der Sportverbände mögliche Betrugsfälle aufzudecken, da jeder Skandal schlecht fürs Image und damit schlecht für den Umsatz ist. Zweitens: Der Verbandschef hat Recht. Bislang sind es nur Verdächtigungen. Beweise fehlen. Aber inwieweit der Verband daran arbeitet, diese Beweise zu finden, bleibt äußerst fragwürdig.
    Die erwähnte Integrity Unit wurde 2008 von Profi-Verbänden ins Leben gerufen. Sie ist damit beauftragt, mögliche Spielmanipulationen aufzudecken. Ganze fünf Festangestellte hat diese interne Ermittlungseinheit vorzuweisen. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass der weltweite Wettmarkt im Tennis jährlich 20 Milliarden Euro umsetzt. Und dass jedes Jahr allein auf der Profi-Tour der Frauen und Männer über 100 Turniere stattfinden. Plus noch einmal über 1.000 Nachwuchswettbewerbe.
    Überwiegend beobachten die Ermittler derzeit ungewöhnliche Bewegungen auf dem Wettmarkt, um verdächtige Spiele zu erkennen. Doch das ist nur die eine Seite der Manipulation, nämlich die der großen Wettmafias, die bewusst Spieler kaufen. Die andere Seite, ist viel schwieriger nachzuverfolgen, wie der frühere deutsche Tennis-Profi Alexander Waske beschreibt:
    "Es ist ja nicht so schwer: Wenn sich das mal vorstellt. Ich gehe morgens zur Arbeit, ich arbeite auf der Bank und sehe, dass mein Kollege der neben mir sitzt ein Schnupfen hat und ist aber so wacker und kommt zur Arbeit und dem läuft die Nase. Und das ist im Tennis nicht anders. Ich sitze in der Umkleide und sehe, der kann ja kaum atmen, dann weiß ich der ist krank oder hat eine Verletzung. Das spricht sich relativ schnell rum. Und anscheinend soll es irgendwelche Leute geben, die in den Players-Lounges rumlaufen, die dann diese Informationen verwerten."
    Schon Betrug oder nur "Informationsvorteil"?
    Stellt sich die Frage: Gilt das dann schon als Betrug oder ist das einfach ein Informationsvorteil? Auf diese Weise können sich auch die Spieler selbst etwas hinzuverdienen. Viele von ihnen kratzen trotz achtbarer Erfolge am Existenzminimum. Laut einer Studie des Weltverbandes ITF aus dem Jahr 2013 überwiegen bei den Männern ab Weltranglistenplatz 336 die Einnahmen die Ausgaben. Bei den Damen verdient eine Spielerin ab Rang 253.
    Doch ganz nachvollziehbar sind diese Zahlen nicht, wenn man zum Beispiel Laura Siegemund hört. Sie ist derzeit 97. der Welt: "Also ich bin nach wie vor nicht in der Lage, dass ich mir einen Vollzeittrainer leisten kann, der nur für mich dabei ist und ich stehe jetzt nicht so weit hinten."
    180.000 Euro muss ein Profi aufbringen, so sagen verschiedene Schätzungen, um alle seine Ausgaben auf der Tour zu bewältigen. Um die Anfälligkeit der Spieler für Manipulation zu senken, müsse man die Preisgelder besser verteilen, so ist immer wieder zu hören. Doch ob das helfen würde, bleibt fraglich. Vielmehr würde sich das Problem nur in der Weltrangliste nach hinten verschieben. Und offenbar ist es eben nicht immer eine Frage des Geldes, offen für Bestechung zu sein. Der Russe Dawydenko war beim erwähnten Fall aus dem Jahr 2007 Vierter der Weltrangliste. Und die neuesten Anschuldigungen sprechen ebenfalls von insgesamt 16 Spielern in den Top 50 der Weltrangliste. Allein bei den Herren.
    Offenbar muss der Staat wieder eingreifen, um das Problem in den Griff zu bekommen. Wie im Kampf gegen Doping, soll in Deutschland auch ein Gesetz gegen Spielmanipulation kommen. Es ist im Koalitionsvertrag festgehalten. Doch ob das ausreicht, ist fraglich. Denn einerseits wird es nur auf nationale Fälle anzuwenden sein. Und andererseits ist es schwierig in diesen Fällen überhaupt einen Geschädigten zu finden. Die Spieler verdienen. Verband und Sponsoren haben kein Interesse an Skandalen. Und bei den Wettanbietern steht unterm Strich offenbar auch noch ein Plus. Bleibt mal wieder das schwächste Glied in der Kette: der Tennis-Fan.