Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Trollen gegen Journalisten
Lügen, bestehlen, erpressen

Für Journalisten und Medienhäuser sind Plattformen wie YouTube oder Twitter wichtig, aber auch gefährlich: Beschuldigungen, Inhalte transportierten Hass oder seien geklaut, lassen sich nur schwer widerlegen. Und im schlimmsten Fall droht der Account-Tod.

Von Kai Rüsberg | 21.03.2018
    Ein Bild des Twitter-Accounts von Patrick Gensing.
    Patrick Gensing: Unbekannte versuchen, ihn auf seinem Privataccount bei Twitter zu schikanieren. (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
    "Hilfe für Flüchtlinge sieht anders aus." "1000 Flüchtlinge überfordern uns maßlos." "In der Verfassung steht Menschlichkeit. Wo ist hier die Menschlichkeit?"
    Es ging hoch her in der Bürgerversammlung, als im Örtchen Sumte in Niedersachsen Flüchtlinge einquartiert werden sollten. Darüber hatte das Online-Magazin Bento mit einer Videoreportage auf YouTube berichtet. Das war 2015. Nun bekam Redaktionsleiter Ole Reißmann eine Verwarnung. "Wir haben am 15. Februar die Nachricht von YouTube bekommen, dass sich jemand beschwert hatte über dieses Video, weil es gegen die Richtlinien verstößt, und vorgeworfen wurde uns da Hassrede, also hate speech, und auch die Beschwerde dagegen, dass dieses Video verschwindet, war erfolglos. Da war das Video weg."
    Für Redaktionsleiter Reißmann ordnet die Reportage seiner Kollegen die angespannte Situation in dem Dorf nach journalistischen Standards völlig angemessen ein. Trotzdem wurde das Video dauerhaft gesperrt und war nicht mehr aufrufbar. Was aber noch schlimmer für das Magazin war: YouTube drohte gleich an: Sollte sich dies mehrfach wiederholen, könne der ganze Kanal von Bento gesperrt werden. "Das Problem ist ein bisschen: Wir haben uns ja gar nichts zu Schulden kommen lassen. Wir leben so ein bisschen mit der Angst, wenn jetzt wieder irgendjemand irgendein Video von uns aus nicht nachvollziehbaren Gründen sperren lässt, haben wir vielleicht Pech und verschwinden von der Plattform."
    Erst nachdem sich der Mutterkonzern von Bento, der Spiegel-Verlag, bei der Pressestelle von YouTube meldete, wurde das Video wieder freigeschaltet. Welche Person sich über das Bento-Video bei der Plattform beschwert hatte und aus welchem Grund, bleibt unklar.
    Erst bestehlen, dann anklagen
    Einen ganz ähnlichen Angriff über ein soziales Netzwerk erlebt zurzeit Patrick Gensing, Mitarbeiter der Redaktion Tagesschau beim NDR. Unbekannte versuchen, ihn auf seinem Privataccount bei Twitter zu schikanieren, indem sie ihn erst virtuell bestehlen und ihn daraufhin wiederum als Dieb anschwärzen.
    "Und zwar wurden Fotos, die ich selbst gemacht habe, Bilder, die ich dann getwittert habe, die wurden als angeblich gestohlen gemeldet, das heißt, es wurde behauptet, ich hätte diese Fotos gestohlen, und da haben Leute behauptet, dass ich gegen das Urheberrecht verstoßen hätte und diese geklaut hätte. Daraufhin wurden diese Bilder von Twitter gesperrt."
    Die Originale hat er noch auf seinem Smartphone. Twitter leitete ihm eine Anzeige nach dem amerikanischen Urheberrechtsgesetz DMCA weiter. Darin wird er aufgefordert, die Fotos zu löschen und Stellung zu beziehen, mit Angabe seines Namens und seiner Adresse. Nach Gensings Recherchen existieren die Ankläger allerdings gar nicht - es sind erfundene Identitäten.
    Gezwungen, persönlichen Daten preiszugeben
    Für Andre Wolf, vom Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch, Mimikama, benachteiligt das Vorgehen von Twitter zu Unrecht Beschuldigte.
    "Das Problem ist gerade, wenn man bei den großen Social-Media-Plattformen Einspruch einlegen will und wirklich sein eigenes Recht durchsetzen will, ist man dazu gezwungen, seine persönlichen Daten, sprich seine Adresse, seinen Namen preiszugeben, und der wiederum wird dann der Gegenseite, die oftmals aus einem Troll oder Fake-Account besteht, gegeben, und dadurch kommt dann etwas zustande, das jemand anderes meine persönlichen Daten bekommt, die er eigentlich nicht bekommen sollte."
    "Man versucht, Journalisten zu diskreditieren"
    Auch Patrick Gensing kennt solche Strategien von böswilligen Trollen durch seine Arbeit beim Tagesschau-Faktenfinder sehr genau. "Man versucht, Journalisten auf allen möglichen Kanälen anzugreifen, man versucht sie zu diskreditieren als jemand, der Fotos klaut. Man versucht die Profile schlecht zu machen, man versucht Inhalte zum Verschwinden zu bringen, das ist einfach eine breit angelegte Strategie, auch dass man Journalismus und damit eben auch Medienfreiheit auf verschiedenen Kanälen attackiert."
    Er hat sich entschlossen, nicht auf die Anschuldigungen zu reagieren und damit seine persönlichen Daten preiszugeben, weil er weitere Nachteile befürchtet. "Ich stehe seit mehreren Wochen im Fokus von rechten Trollen. Wir haben beim Faktenfinder über ein Troll-Netzwerk berichtet, wie dieses Troll-Netzwerk versucht hat, im Bundestagswahlkampf Diskussionen zu manipulieren. Wir konnten nachvollziehen, dass dieses Troll-Netzwerk mich explizit als nächstes Ziel ausgegeben hat."
    Er erlebt nun, wie amerikanische Gesetze zum Schutz von Urheberrechten gegen ihn als rechtmäßigen Urheber der Fotos missbraucht werden können. Als Konsequenz hat er ältere Fotos von seinem Twitteraccount gelöscht. Denn sollte er weitere Anschuldigungen erhalten, droht ihm Twitter mit der Sperrung seines Accounts.