Dienstag, 16. April 2024

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Studie zur Entwicklung in Ostdeutschland
"Wir haben in Deutschland keine echten Integrationsprobleme"

"Das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, haben die Ostdeutschen in die Vereinigung mitgebracht", sagte der frühere ostdeutsche SPD-Politiker Richard Schröder im Dlf. Die Distanz zwischen Ost und West habe sich seit 2015 zwar vergrößert. Von einer Spaltung der Gesellschaft könne aber nicht die Rede sein.

Richard Schröder im Gespräch mit Martin Zagatta | 06.04.2019
Richard Schröder, evangelischer Theologe und SPD-Politiker
Der frühere ostdeutsche SPD-Politiker und Theologe Richard Schröder warnte im Dlf davor, die DDR zum Sehnsuchtsort zu machen (imago / epd)
Martin Zagatta: Mit einem Ostkonvent will die SPD heute in Erfurt ihr Profil in den ostdeutschen Ländern schärfen, vor drei Landtagswahlen dort im Herbst. Zum Aufbau Ost haben die Sozialdemokraten wie auch die CDU ein Strategiepapier vorgelegt – 30 Jahre nach dem Mauerfall scheint die Benachteiligung von Ostdeutschen wieder ein großes Thema. Eine in dieser Woche veröffentlichte Studie vergleicht die Ostdeutschen gern mit muslimischen Einwanderern, beide – so ein Ergebnis – sähen sich als Bürger zweiter Klasse, und Ostdeutsche fühlten sich gegenüber Westdeutschen benachteiligt. Der evangelische Theologe Richard Schröder war nach dem Mauerfall Fraktionschef der SPD in der DDR-Volkskammer und dann auch für die Sozialdemokraten im Bundestag. Guten Morgen, Herr Schröder!
Richard Schröder: Guten Morgen!
Zagatta: Herr Schröder, wie nehmen Sie das wahr, woher kommt dieses gesteigerte Interesse jetzt wieder an den Ostdeutschen?
Schröder: Na ja, es kommt daher, dass die Parteien sich Sorgen machen, wie denn die Ostdeutschen bei den kommenden Wahlen abstimmen werden. Das ist ja zunächst mal gar nicht so schlecht, dass jedenfalls vor Wahlen man sich um die Wähler kümmern muss – wenigstens vor den Wahlen. Das ist nun allerdings weniger gut.
Zagatta: Hat das dann auch mit dem Aufstieg der AfD zu tun, dass die Ostdeutschen da besonders wieder…
Schröder: Natürlich, ja. Es gibt ein großes Rätselraten, vor allen Dingen im Westen natürlich, woher das kommt, dass so viele Leute AfD wählen und obwohl wir ja alle wissen können, dass Pegida der Anfang war in Dresden. Also diese merkwürdige Bewegung, die sich gegen die Islamisierung des Abendlandes gewendet hat und durch die dann die AfD, das Migrationsthema aufgenommen und sich von einer eurokritischen zu einer migrationskritischen Partei gewandelt hat, obwohl das eigentlich zutage liegt, dass das Migrationsthema der Auslöser war, wird nun irgendwie rumgerätselt, woran es wohl liegen mag. Und das Verrückteste finde ich ja die These, dass die Ausländerfeindlichkeit im Osten durch die Treuhand entstanden sei. Sie glauben gar nicht, wie ich mich darüber aufregen kann.
Zagatta: Wenn Sie sagen, es ist das Migrationsthema, dann ist ja ganz interessant, dass jetzt mit einer Studie da Ostdeutsche und muslimische Migranten verglichen werden als Menschen, als Gruppe, die benachteiligt werden, die sich benachteiligt fühlen und denen man auch unterstellt, sich zu wenig von Extremismus zu distanzieren. Was sagen Sie zu diesem Vergleich?
Schröder: Also vergleichen kann man alles irgendwie, aber wissen Sie, bisher war die Rede davon, dass im Herbst 1989 die Ostdeutschen mit viel Mut eine Diktatur abgeschüttelt haben. Jetzt hören wir plötzlich, sie seien aus der geliebten Heimat vertrieben worden. Manche merken gar nicht, dass die Geschichte darauf hinausläuft, die DDR zum Sehnsuchtsort zu machen. Ich frag mich, ob da die Leute noch alle Tassen im Schrank haben.
Bezeichnender Spruch aus DDR-Zeiten: "DDR, der dumme Rest"
Zagatta: Aber die Studie geht ja auch interessanten Fragen nach, zum Beispiel, ob das Ostdeutsche und Muslime verbindet jetzt in Deutschland, also Muslime in Deutschland, dass die sich in einer Opferrolle sehen.
Schröder: Da ist wohl was dran, aber man muss das, glaube ich, verallgemeinern und sagen, in dieser postheroischen Gesellschaft – früher hieß es nur, wer wagt, gewinnt, und jetzt heißt es nur, wer klagt, gewinnt. Das haben sie alle gut verstanden, und das Klagen das stimmt. Das Klagen ist im Osten in meinen Augen weiter verbreitet als berechtigt, und Muslime haben tatsächlich oft – natürlich nicht immer, zum Glück nicht immer – die Tendenz, sich als Opfer darzustellen. Jetzt gibt es ja sogar diese verrückte Theorie, dass die Muslime, weil die so viel Ablehnung bei uns erfahren – so schlimm ist es gar nicht, nicht so schlimm wie Christen in islamischen Ländern –, weil die so viel Ablehnung erfahren, deswegen sind die antisemitisch eingestellt. Ich staune ja nur noch, was man heutzutage alles für Zusammenhänge erfinden kann, mit Wissenschaft hat das alles nicht viel zu tun.
Zagatta: Diese Studie kommt auch zu dem Ergebnis, die Hälfte der Ostdeutschen glaubt, wie Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden. Teilen Sie das, ist es so schlimm?
Schröder: Ob das die Hälfte ist, das möchte ich bezweifeln. Ich fühle mich benachteiligt – fühlen Sie sich benachteiligt? Da gibt es viele, die ja sagen. Und ich meine, irgendwie ist jeder irgendwie eine Minderheit. Die Zahl selber, da würde ich Fragezeichen stellen, aber das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein – ich hab das schon oft gesagt –, haben die Ostdeutschen in die Vereinigung mitgebracht. Zu DDR-Zeiten gab es den merkwürdigen Spruch: DDR, der dumme Rest. Warum geht's uns schlechter als dem Cousin im Westen? Wir haben einen Trabant, der hat einen Mercedes. Das ist doch eine Sache, die ist nicht 30 Jahre alt, sondern 70 Jahre alt.
Umgang mit Ausländerfeindlichkeit und Angst vor Überfremdung
Zagatta: Herr Schröder, aber da hat sich ja auch einiges getan in den vergangenen Jahrzehnten, also täuscht der Eindruck, dass wir bei der Angleichung zwischen Ost und West schon einmal weiter waren, oder stimmt das gar nicht?
Schröder: Nein, das stimmt… also, es kommt jetzt drauf an: Mentalitätsmäßig ist es tatsächlich so, dass die Überfremdungsängste gegenüber der Migrationswelle von 2015, diese Überfremdungsängste, die im Osten sich so stark gemeldet haben, haben die Unterschiede zwischen Ost und West aufbrechen lassen erneut, das stimmt. Und das wird dadurch verschärft, dass wenn jemand sagt, ich habe Angst vor so viel Zuwanderung, dann kriegt der nicht gesagt, ach, guck mal dorthin, guck mal dorthin, so schlimm ist das nicht, sondern da kriegt der angeknallt das Etikett Nazi, du bist ein Nazi, du bist ein Rassist. Und diese Liebe an der Verteilung von Ketzerhüten hat in der Tat die Distanz zwischen Ost und West vergrößert.
"Die deutsche Nation ist nicht gespalten"
Zagatta: Also da driften Ost und West wieder weiter auseinander.
Schröder: Na ja, verbal und wenn man sich streitet. In Wirklichkeit ist es doch so, dass wir in Deutschland keine echten Integrationsprobleme haben, das muss man doch auch mal sehen. Ich meine, da muss man sich mal anderswo umgucken, um zu sehen, was es bedeutet, wenn eine Nation gespalten ist. Die deutsche Nation ist nicht gespalten, wir zanken uns bloß, aber keiner will ausziehen. Das muss man zwischendurch natürlich auch mal klarmachen.
Hohe Spitzenämter in Zukunft auch für Landeskinder
Zagatta: Herr Schröder, da gibt es aber die große Klage, die jetzt wieder verstärkt auf den Tisch kommt, dass in Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft die Ostdeutschen so gut wie gar nicht vertreten sind, und die Forderung – das will ich Sie da auch fragen –, dass es eine Ossi-Quote geben soll da in der Wirtschaft. Aus Ihrer Sicht: Ist das berechtigt?
Schröder: Quatsch! Gestern ist in der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg- schlesische Oberlausitz ein neuer Bischof gewählt worden. Die überwiegend ostdeutschen Synodalen haben zum zweiten Mal einen westdeutschen als Bischof gewählt. Ja, wem wollen wir das denn vorwerfen? Wer hatte den Herrn Biedenkopf gewählt? Wer hat denn die obersten Richter der Landesgerichte gewählt? Ostdeutsche Abgeordnete. Was gibt’s denn daran zu meckern, muss ich mal sagen. Warum das so ist, das hat verschiedene Gründe. Einer der Gründe ist natürlich der, dass in der DDR eine Revolution stattgefunden hat, und dazu gehörte ein Elitenwechsel. Dieser Elitenwechsel ist nicht innerostdeutsch, sondern in erheblichem Maße durch Importe aus dem Westen gemacht worden. Das wollte man damals aber so. Da haben sie nach Investoren gerufen, die Ostdeutschen, da haben sie nach Unterstützung gerufen. Jetzt sind sie gekommen, haben Ämter übernommen und sind noch nicht im Ruhestand. Man muss für die Zukunft darauf achten, dass auch Landeskinder in die Ämter und die hohen Spitzenämter kommen, aber dass es jetzt noch nicht so ist – kein General, ja, hätten wir denn einen NVA-General nehmen sollen, kein Verfassungsrichter, ja, hätten wir denn DDR-Richter nehmen sollen? Das ist eine Spätfolge, dass die Revolution in die Vereinigung übergegangen ist.
Zagatta: Aber das sind ja jetzt auch 30 Jahre schon, also seit dem Mauerfall.
Schröder: Ja, wissen Sie, wenn man mit 40 gekommen ist oder so, dann ist er noch so im Amt. Man kann ja nicht sagen, der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Aber es ist richtig, dass man darauf achten soll, aber doch nicht mit einer Quote. Sie können doch nicht die Qualifikation durch die Herkunft ersetzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.