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"Wichtiges Zeichen, dass die Schuldfrage geklärt ist"

Das Landgericht München hat den früheren KZ-Wachmann John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord zu fünf Jahren Haft verurteilt. Es sei wichtig, dass ein Schuldspruch erfolgt sei. 'Dadurch komme sein Anteil an der Ermordung der Juden scharf und deutlich zum Ausdruck, sagt der Politikwissenschaftler und NS-Forscher Joachim Perels.

Joachim Perles im Gespräch mit Dirk Müller | 12.05.2011
    Dirk Müller: Kein Wort der Reue, kein Wort der Entschuldigung, das über eineinhalb Jahre lang. Dies hat die noch lebenden Opfer und Nebenkläger insbesondere entsetzt. Vor 18 Monaten hat der Prozess begonnen, gegen den früheren KZ-Wächter John Demjanjuk, der inzwischen 91 Jahre alt ist. Vor wenigen Minuten das Urteil der Münchner Richter: fünf Jahre Gefängnis für den Angeklagten. Am Telefon ist nun der NS-Forscher und Politikwissenschaftler Joachim Perels. Guten Tag!

    Joachim Perels: Guten Tag!

    Müller: Herr Perels, gibt es in einem solchen Fall so etwas wie ein angemessenes Urteil?

    Perels: Es gibt es und es gibt es nicht. Ich würde sagen, es gibt es insoweit, das Wichtige an einem Verfahren mit einem 91 Jahre alten Mann ist das, dass ein, wie die Juristen sagen, Schuldspruch erfolgt, das heißt, dass sein Anteil an der Ermordung der Juden durch den Schuldspruch sozusagen scharf und deutlich zum Ausdruck kommt. Und es gibt es nicht, weil ein solches Verfahren natürlich so spät abläuft, dass vieles nicht mehr historisch ganz genau recherchiert werden kann und die Zeugenaussagen auch wahrscheinlich nicht ganz ausreichend sind, den spezifischen Tatbeitrag herauszustellen. Wenn es das Verfahren früher gegeben hätte, das wäre meine These, wäre die Frage aufgeworfen worden, ist Herr Demjanjuk Täter, also der die Tat als eigene wollte, und muss er daher zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden. Das ist nicht erfolgt, das liegt aber an dem späten Prozess. Und das Dritte, was man sagen kann: Seine Verurteilung liegt in dem Trend der meisten NS-Prozesse, dass die größten Täter, also größere noch als Demjanjuk, der Adjutant in Auschwitz et cetera, alle, die allermeisten nicht als Täter, sondern als Gehilfen verurteilt wurden. Das heißt, es wird immer behauptet, sie seien nur Rädchen gewesen, hätten die Tat nicht als eigene gewollt. Das ist hoch problematisch, es gibt auch eine entschiedene juristische Diskussion dazu, aber im Ergebnis, um es in einem Satz zusammenzufassen, ist das ein wichtiges Zeichen, nicht dass Herr Demjanjuk eineinhalb Jahre sitzen muss, sondern dass die Schuldfrage eindeutig, jedenfalls so weit man das sagen kann, geklärt ist und ein Aufklärungseffekt damit verbunden ist.

    Müller: Wie ist das für Sie, Herr Perels? Ist Demjanjuk für Sie Täter?

    Perels: Für mich ist er - Ich weiß ja viel weniger, als wenn ich an dem Prozess teilgenommen hätte und alles mir angehört hätte, was die Verteidigung sagt, was die Staatsanwaltschaft sagt. Wenn ich selber recherchieren könnte, würde ich möglicherweise zu dem Ergebnis kommen, dass er Täter war, aber ich kann es sozusagen aus der hohlen Hand nicht sagen. Da muss man die Frage stellen – das ist die entscheidende Frage, die in den früheren Prozessen eben nicht gestellt worden ist -, welche Stellung hatte Demjanjuk zum NS-System, war er sozusagen gezwungener Gehilfe oder freiwilliger Mitarbeiter an dem Vernichtungsprozess. Wie das war im Prozess, weiß ich nicht. Wenn das Letztere bewiesen werden kann, wäre er Täter. Aber natürlich wollte man sozusagen rechtspolitisch nicht jemand mit 91 noch mit lebenslangem Zuchthaus oder Gefängnis genauer gesagt versehen. Das ist sicherlich im Gericht auch besprochen worden.

    Müller: Aber die Rolle Demjanjuks vor Ort, im Konzentrationslager Sobibor, ist ja äußerst umstritten und man hat die Frage offenbar, so weit wir das hier erkennen können, gar nicht klären können, an welcher Position, in welcher Position hat er vor Ort gewirkt, hat er "gearbeitet". Spielt das keine Rolle?

    Perels: Nein, natürlich muss es eine Rolle spielen. Wenn Sie sich die anderen Prozesse anschauen – ich habe mich nicht mit allen, aber mit dem Auschwitzprozess ziemlich intensiv beschäftigt -, dort sind die Einzelnen, die ihre Rolle gespielt haben, zum Beispiel als diejenigen, die Spritzen gegeben haben, um Menschen umzubringen, diejenigen, die Zyklon B besorgt haben, die an der Gaskammer gearbeitet haben, für ihr je spezifisches einzelnes Handeln zur Rechenschaft gezogen worden und zum Teil als Täter, zum Teil als Gehilfen verurteilt worden. Ich habe den Prozess nicht en Detail verfolgt, deswegen kann ich auf die Frage keine absolute Antwort geben. Aber man muss trotzdem sagen, dieser Ausweis von Demjanjuk ist nicht gefälscht - da hat der Berichterstatter das richtig dargestellt – und der ist ein wichtiges Indiz für seine Rolle. Und dann könnte man anfangen zu vergleichen, was haben andere mit diesem Ausweis in Sobibor gemacht, sodass ein indirekter Indizienbeweis vielleicht möglich war. Aber ich fantasiere, ich habe den Prozess ja nicht im Einzelnen verfolgt.

    Müller: Herr Perels, reden wir dennoch weiter über Demjanjuk.

    Perels: Ja natürlich!

    Müller: Befehlsnotstand, das hat es immer wieder auch als Argument gegeben, auch in früheren Prozessen. Kann auch ein noch so kleines Rädchen im System dieses Argument für sich nicht beanspruchen?

    Perels: Kann es nicht beanspruchen. Da würde ich dem Rechtsanwalt mal raten, die Forschung sich anzuschauen von großen Forschern, die die Frage, ob es diesen Notstand gegeben hat, eingehend empirisch untersucht haben und festgestellt haben: Es gibt keinen nachweisbaren Fall von Befehlsnotstand. Befehlsnotstand heißt nämlich, dass man gegen seinen Willen gezwungen wird, sich an den Morden zu beteiligen, und man hat sich nur beteiligt, um nicht dabei umgebracht zu werden im Anschluss. Die aller-allermeisten Täter – und ich vermute das jetzt auch bei Herrn Demjanjuk – haben ihre Arbeit verrichtet in Übereinstimmung mit dem System, und daher ist der Notstand gar nicht aufgetreten, konnte nicht auftreten. Das würde ich auch bei Demjanjuk erst einmal vermuten.

    Müller: Habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass jeder, der dort mitgewirkt hat, nicht gezwungen worden ist, sondern sich freiwillig in diese Situation begeben hat?

    Perels: Na ja, das wäre übertrieben gesagt. Nicht jeder, aber ich kann Ihnen das am Auschwitz-Prozess ganz deutlich machen. Die meisten derer, die vor Gericht standen, waren Mitglieder der SS. Der Adjutant des Lagerkommandanten hat die SS-Leute ausgebildet, hat ihnen den Antisemitismus noch mal zusätzlich beigebracht und war insofern identifiziert mit seiner Tätigkeit. Es gab auch im Auschwitz-Prozess einen, der nicht identifiziert war und zu denen, die er in die Gaskammer schickte, relativ freundlich war; der wurde dann auch milder beurteilt. Aber das war die Ausnahme! Ausnahmen gab es, ja, aber die allgemeine Tendenz bei den Tätern lief in eine andere Richtung. Das ist auch in der Forschung sehr eingehend untersucht worden, auf die man sich da eigentlich stützen muss.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der NS-Forscher und Politikwissenschaftler Joachim Perels. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Perels: Ja, ich bedanke mich auch. Auf Wiederhören.