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Wider den Gedächtnisschwund

Wer schon vor 20 Jahren einen PC betrieb, kennt das Problem nur zu gut: längst haben Uralt-Floppys ihre Daten verloren oder ist das letzte Laufwerk für die Disketten kaputt gegangen. Wie man das wertvolle Wissen für die Ewigkeit sichert, treibt Forscher um.

Heinz Schmitz im Gespräch mit Maximilian Schönherr | 03.01.2009
    Maximilian Schönherr: Wie alt sind eigentlich die ältesten Daten, Herr Schmitz?

    Heinz Schmitz: Die ältesten lesbaren Dokumente sind über 6000 Jahre alt. Die alten Ägypter haben in Stein gemeißelt und die Dokumente sind noch erhalten. Damit kommen wir zu dem Thema, dass heute je neuer die Medien werden, desto vergesslicher werden sie.

    Schönherr: Ist das schlimm?

    Schmitz: Das kann sehr schlimm sein. Wenn eine CD nach ein paar Jahren nicht mehr zu lesen ist, sind alle Informationen, die darauf waren, weg. Ein Stück Papier war noch immer etwa 100 Jahre oder sogar ein paar 100 Jahre alt war, solange es säurefrei war. Mit den Säure gehärteten Papieren hat man auch Probleme gehabt. Oder ein Mikrofilm, der hält auch über 100 Jahre, man nimmt heute an, bis zu 400 Jahre. Aber eine Diskette, eine Floppydisk, falls es die noch gibt, fünf bis 10 Jahre. Eine Festplatte, da nimmt man an fünf Jahre, wenn sie nicht zu lange dreht. Allerdings wenn man sie lagert, verölen die Lager und dann fusionieren die auch nicht mehr. Aber wenn eine Platte einmal so alt ist, hat man noch ein anderes Problem: eventuell hat man die Schnittstelle gar nicht mehr dafür, also nicht wie heute üblich ein IDE oder SATA-Laufwerk, sondern ein altes RL0-Interface. Oder die 5 1/4-Zoll-Floppy, die im PC in den Anfangsjahren verbaut waren, da gibt es fast keine Laufwerke mehr für, damit man die überhaupt lesen kann. Also das schönste Band bringt mir gar nichts, denn ich kann es nicht mehr lesen.

    Schönherr: Was gibt es denn für lange Zeitstrategien, um diese Daten in die Zukunft zu retten?

    Schmitz: Die Archivare machen sich seit langem Gedanken darüber. Im Moment wird eine Technik favorisiert: der gute alte Mikrofilm. Der Mikrofilm erhält 100 bis 400 Jahre, nimmt man an. Und man ist in der Lage, da nicht nur eine Fotografie darauf unterzubringen, sondern einen 2D-Barcode, ähnlich wie diese modernen Briefmarken oder ein Bahnticket. Das wird darauf gebracht und man kann es lesen mit einer Lupe. Die werden dann in einem Bergwerk gelagert und können dann 100 Jahre überdauern. Allerdings muss man danach die Medien auch immer wieder erneuern, was man bei einem alten Stein nicht musste. Einen anderen Vorteil hat der Film noch: das Lesegerät kann dann wieder das Auge sein. Denn wir haben bei den elektronischen Medien noch ein ganz anderes Problem, nämlich dass wir den Inhalt von dem Lese-Medium getrennt haben. Einen Stein oder ein Blatt Papier können wir mit den Augen lesen, eine CD dagegen nicht.

    Schönherr: Gibt es nicht die Möglichkeit, dass man die Sachen alle im Internet speichert?

    Schmitz: Das wäre eine schöne Möglichkeit, wenn da nicht das große "Aber" wäre. Wenn man die Daten bei einem Internetanbieter hinterlegt, was man zum einen nicht, wer darauf Zugriff hat - es bleiben also nicht mehr die privaten Daten, sondern die gehören jemand an. Und was passiert, wenn der Anbieter pleite geht, wo bleiben dann meine Daten, komme ich dann noch daran? Das ist also für Privatleute noch hinnehmbar, aber für Firmen wird es dann schon sehr kritisch. Die Empfehlung muss an sich sein, eine ganz andere Strategie zu fahren, dass man die Daten auf verschiedenen Datenträgern gespeichert, und dass man die immer wieder erneuert, dass man alle paar Jahre wieder auf ein neues Medium speichert. Das muss man sowieso machen, die CD hat ihr Lebensende erreicht, die DVD ist bereits im Abschwung, BluRay kommt - also muss man irgendwann seine ganze CD- und DVD-Sammlung auf modernere Medien übertragen. Oder: ab nächstes Jahr soll es holographische Speichermedien geben, die angeblich auch über 100 Jahre haltbar sind.

    Schönherr: Werden wir in 100 Jahren noch die Wikipedia lesen können?

    Schmitz: Wikipedia ist kein statischer Prozess, es ist ein dynamischer Prozess, es ändert sich laufend. Auch wenn man Google-Fragen absetzt, es ist wirklich nichts da, was wirklich kontinuierlich über Jahre bleibt. Wikipedia wird laufend verändert, wird von allen Mitgliedern laufend weiterentwickelt, aber in 100 Jahren wissen wir nicht, wie Wikipedia aussehen wird. Wir wissen ja auch nicht, ob wir in 100 Jahren noch auf einen Bildschirm schauen oder direkt an das Internet angeschlossen sind.