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Wider die wolkige Wissenschaftssprache

Die Sprache der Akademiker muss verständlich und kann sogar schön sein, behauptet Valentin Gröbner, Historiker an der Uni Luzern. Wie das geht, beschreibt er in einer Gebrauchsanweisung für gutes Wissenschaftsdeutsch.

Valentin Gröbner im Gespräch mit Manfred Götzke | 11.07.2012
    Manfred Götzke: Das Individuum kann den Hiatus zwischen dem Eigenen und dem Fremden nur in zeitlicher Distanz verifizieren. Alles klar? Nö? Aber so klingt sie auch, die Wissenschaftssprache, und viele Forscher beharren darauf, denn nur mit Fachjargon könne man hinreichend präzise formulieren. Für Valentin Gröbner sind solche Wörter, solche Sätze dagegen einfach nur schlechtes Hausarbeiten-Deutsch. Der Historiker von der Uni Luzern hat jetzt ein Buch veröffentlicht, das heißt "Wissenschaftssprache – eine Gebrauchsanweisung", und er sagt darin, Wissenschaftssprache richtig verstanden, die muss verständlich sein und kann sogar schön sein. Herr Gröbner, Sie haben jede Woche Hausarbeiten und Thesenpapiere Ihrer Studenten auf dem Schreibtisch – welche Formulierungen nerven Sie da besonders?

    Valentin Gröbner: Die Formulierungen, die aus schlechter Wissenschaftssprache übernommen sind und ungenau sind.

    Götzke: Was ist denn schlechte Wissenschaftssprache?

    Gröbner: Ungenaue Sprache, solche, die Blasen macht, bei der man nicht genau merkt und auch nicht genau merken soll, wer genau über welchen Sachverhalt welche Aussage macht.

    Götzke: Dann sagen Sie uns doch mal ein Beispiel.

    Gröbner: Denken Sie an die wunderbaren Möglichkeiten von Passivkonstruktionen in der deutschen Sprache, denken Sie an die wunderbare Möglichkeit, wie plötzlich ein Diskurs etwas tut, wie die Professionalisierung plötzlich etwas verhindert – selbstverständlich verhindert ein abstraktes, zum Hauptwort gemachtes Verb gar nichts. Aber man kann so tun, als ob Wissenschaft in gewisser Weise sich selbst produziert. Und das erzeugt meistens sehr merkwürdige Sprache.

    Götzke: Ja, eben auch grammatikalisch oder logisch falsche Sprache in den Beispielen, die Sie gerade genannt haben.

    Gröbner: Ja, das ist erstaunlich. Als Wissenschaftler ist man ein Viel-Leser. Man ist darauf trainiert, aus Texten möglichst knappe Werkzeuge, Gedanken, Fundstücke herauszulösen, mit denen man selbst weiterarbeiten kann. Manche Texte machen einem das einfach und manche Texte machen es einem sehr schwer, die wolkigen, die flauschigen, die ungenauen.

    Götzke: Sollte der Wissenschaftler also auf Passivkonstruktionen und Substantive verzichten?

    Gröbner: Ich glaube, dass wissenschaftliche Autoren gut dran tun, über Zeitfaktoren nachzudenken. Das Eine ist, an welches Publikum richte ich mich, welche Abkürzungen, die nur Kolleginnen und Kollegen verstehen, verwende ich – möglicherweise ohne dass ich es merke –, und das Zweite ist, wie viel Zeit verlange ich vom Leser oder von der Leserin, bis man merkt, worum es eigentlich geht, wo die wichtigen Sachen stecken, wo die Ergebnisse sind, seine Ökonomie von Zeit, und darum auch selber ein bisschen vorsichtiger zu sein, das Argument, den bewundernswerten analytischen Begriff, sich in eigenen Worten selber noch einmal sagen und ihn selber erklären, bevor man ihn einfach voraussetzt wie einen Schutzschild, hinter dem man sich auch immer ein bisschen verstecken kann.

    Götzke: Wer auf solche Begriffe verzichtet, der muss aber vielleicht noch ein paar Sätze mehr schreiben und umschreiben und wird möglicherweise auch unpräzise, weil sich einiges auch nicht umschreiben lässt.

    Gröbner: Man kann nicht ohne solche Begriffe arbeiten, aber es lohnt sich, drüber nachzudenken, wie viele man von denen auftreten lässt, welche ganz unverzichtbar sind und ganz wichtig, und welche vielleicht nur auch ein bisschen Verzierung und ein bisschen Protz und ein bisschen Wissenschafts-Barock, den gibt es ja auch.

    Götzke: Das heißt, viele Wissenschaftler protzen damit, dass sie bestimmte Begriffe kennen, und protzen auch damit, dass sie sich an einen Leser richten, von dem sie das voraussetzen können, dass diese das auch kennen?

    Gröbner: Natürlich schreibt man manche Dinge, um sich selber und um andere zu beeindrucken. Aber in erster Linie ist man ja darauf angewiesen, dass einen andere lesen und in dem, was man selber geschrieben hat, möglichst viel Brauchbares finden, um damit selbst weiterarbeiten zu können. Das heißt, Wissenschaft ist auch immer ein arbeitsteiliges Unternehmen. Wenn ich ein Buch schreibe, das so gescheit ist, dass nur noch ich selber es verstehe und niemand sonst, dann mag das Wissenschaft sein, aber es ist auch gleichzeitig eine wissenschaftliche Sackgasse. Denn das ist ja die zweite Seite von der arbeitsteiligen Wissenschaft: Wenn ich wirklich klar bin, dann gehe ich Risiken ein, dann zeige ich auch, wo sind Lücken, und es gibt eine Sprache und einen Sprachduktus, der die Lücke um jeden Preis vermeiden will. Und da kommen dann diese eigenartigen wolkigen Passivkonstruktionen, als ob sich der Text, das Buch von selbst geschrieben hat. Das tun Bücher nur in ganz, ganz seltenen Fällen.

    Götzke: Das heißt, der – vielleicht nicht so gut ausgebildete – Wissenschaftler, der Lücken hat in seiner Formulierung, in seiner Argumentation, nutzt diese wolkige Sprache insbesondere?

    Gröbner: Das ist eine große Verlockung, ist natürlich auch eine Verlockung, vielleicht nicht ganz so gern darüber Auskunft zu geben, was man alles nicht so genau gelesen hat. Gleichzeitig, man kann nur begrenzt viel lesen. Man kann im eigenen Leben nur 5.000 Bücher lesen, hat Arno Schmidt mal ausgerechnet, maximal, und diese Zahl hat sich natürlich auch im Internet nicht verändert. Sie ist nicht größer geworden, weil wir nicht mehr Zeit haben. Das heißt, gutes Schreiben ist auch immer ein sorgfältiger Umgang mit der eigenen Zeit und mit der des Lesers.

    Götzke: Sollten Studierende pflichtgemäß gutes wissenschaftliches Schreiben lernen?

    Gröbner: Relativ wenige Absolventinnen und Absolventen der Universitäten werden Wissenschaftler. Die meisten arbeiten hinterer in einem anderen Bereich, und die Universitäten tun vielleicht gut daran, nicht nur zukünftige Professorinnen und Professoren auszubilden, sondern auch möglichst gute, geschliffene Fähigkeiten zur Klarheit, zur Reduktion, zur Stringenz, zum Prägnanten, denn das ist auch unsere Aufgabe.

    Götzke: Sagt der Historiker und, wie wir gehört haben, Familienvater Valentin Gröbner. Er hat das Buch "Wissenschaftssprache – eine Gebrauchsanweisung" veröffentlicht. Wer also seine Hausarbeit von Passivkonstruktion und wolkigen Formulierungen befreien will, der sollte dies lesen oder zur Schreibberatung gehen. Immer mehr Universitäten bieten spezielle Kurse für wissenschaftliches Schreiben an.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.