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Wie Bilder auf Menschen wirken

Der Autor Horst Bredekamp bündelt in seinem Werk "Theorie des Bildakts" die Arbeit der vergangenen 30 Jahre. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Leben und der Lebendigkeit von Bildern.

Von Thomas Kleinspehn | 21.09.2011
    Ob wir uns ihnen nun bewusst aussetzen oder eher zufällig und im Vorübergehen ihnen ausgeliefert sind: Bilder wirken auf Menschen. Strittig ist allerdings, wie und in welchem Maße. Jahrhunderte alt ist die Vorstellung von der mystischen, beinahe magischen Wirkung von Bildern. Bedrohung und Bilderverbote sind die Konsequenz. Gleichzeitig gibt es Bilder, mit denen Ideale geschaffen werden sollen. Perfektion jenseits von Realität. Beides ist dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp jedoch zu einfach. In seiner neuen "Theorie des Bildakts" will er darüber hinaus. In einem großen Kraftakt, der seine Arbeiten der letzten dreißig Jahre in einem Werk bündelt, geht es ihm um das Wechselspiel zwischen Betrachter und Bild.

    "Das Ziel ist zu begreifen, wie sich Einbildungskraft herstellt. In einem Wechselverhältnis zwischen etwas, was mir entgegenkommt und mir. Ich wende mich nur gegen die Vorstellung, dass die Welt ein Produkt meiner eigenen Projektionen ist. Ich wende mich gegen den harten Konstruktivismus, der die moderne Welt aus dem Ego ausschließt. Das ist für mich eine äußerst kurzschlüssige Weltsicht, die ich durch mein Modell konterkariere. Die Welt kommt uns entgegen und im Zwischenspiel mit mir, in den Schwingungen, die sich hierbei ergeben, stellt sich das ein, was die höchste Form der Einbildungskraft ist: Befreiung, Zuwachs, Fantasie, Anarchie. Aber das Zweite ist viel wichtiger, dass nach der Betrachtung von bestimmten Bildern, die Welt nicht mehr gesehen werden kann, wie zuvor. Und das ist eine echte Unfreiheit, die dadurch entsteht. Der Zuwachs von etwas lässt die Welt anders aussehen als zuvor und zwar unabdingbar. Man kann nicht mehr zurück."

    Mit dem Buch will er dem Verhältnis beider Ebenen mehr Aufmerksamkeit schenken. Seit Jahrhunderten haben Menschen mit den Bildern gekämpft, sich von ihnen beeinflusst oder manipuliert gefühlt. Konsequent versteht Bredekamp seine Untersuchung in der Tradition der Aufklärung. Denn es geht darum, die Ambivalenz des Bildes deutlich zu machen: die Gefahr und Bedrohung gleichermaßen wie das Schöpferische. Am deutlichsten lässt sich das erkennen an Bildern, die für etwas stehen sollen – religiöse Bildnisse, mit belehrenden Funktionen, Bilder von Affekten, Begehren und Wünschen. Hier kann sich das Kreative in etwas Normatives verkehren, das Bredekamp als "Modell" begreift.

    "Modelle sind Verkleinerung von Dingen oder Vorstellungen, um sie in einem großen Maßstab imaginieren und dann auch umsetzen zu können. Sie haben einen vermittelnden Charakter auf etwas hin. Modelle für etwas. Modelle sind aber nicht nur für etwas, sondern auch an sich. Sie haben eine eigene Brillanz, Ästhetik und setzen sich sehr oft an die Stelle dessen, was sie modellieren. Entwickeln also einen Eigenlauf, der sich geradezu als Schicht zwischen dem Gestalter oder Betrachter und dem, was geschaffen werden soll über das Modell dazwischen schiebt. Das gibt dann die Illusion, dass das Modell selbst die Wirklichkeit ist."

    Beispiele solcher Modelle fand der Berliner Kunsthistoriker bereits in einem früheren Werk. Dort hatte er das Baum-Modell diskutiert, mit dem Darwin seine Evolutionstheorie dargestellt hatte. Seit dem 19. Jahrhundert wurde es überwiegend als hierarchisches Modell von den Wurzeln bis zur Kuppel verstanden. So prägte es seitdem die Vorstellung von den höheren und niederen Kreaturen in der Evolution. Aus Bredekamps Sicht hat Darwin jedoch nicht allein Hierarchie, sondern die Verästelung des Baumes im Sinn gehabt. Analog zu den hierarchischen Bildern, die Einfluss auf Wissenschaft und menschliches Zusammenleben hatten, begreift Bredekamp zum Beispiel auch Abbildungen vom Krieg im Irak als formend. Als mediale Inszenierung ersetzen und verstellen sie die Wirklichkeit. Wie sich uns diese Modelle aufzwingen und letztlich die Dynamik der Einbildungskraft und Fantasie "ausbremsen", wie Bredekamp sagt, das will er in seinem Buch verdeutlichen. Denn die dahinter liegenden Strukturen sind Bestand der menschlichen Zivilisation.

    "Michelangelo war aus genau diesem Grund ein starker Gegner von Modellen. Er ist immer wieder gezwungen worden, Modelle zu machen, aber es war gegen seinen Willen, weil er immer gesagt hat, Modelle fixieren etwas, was für mich nur dynamisch zu denken ist. Modelle binden mich, fesseln mich und das ist übel. Also das Phänomen gibt es seit jeher."

    Im digitalen Zeitalter jedoch mit seiner Bilderflut nimmt das Phänomen nicht nur eine neue Quantität, sondern auch Qualität an. Die Grenzen zwischen Bild und Wirklichkeit werden kaum noch durchschaubar. Dem seien Menschen aber nicht nur ausgeliefert, sondern an diesen Prozessen selbst beteiligt.

    "Erst wenn ich mir klar werde, dass Bilder mehr sind, als die Bilder; mehr sind, als die Summe meiner Projektionen und dass ich in meinem Tun nicht nur der Herr meines eigenen Willens bin, sondern auch getrieben werde von dem, was mir durch die gestaltete Welt entgegen kommt. Erst dann, wenn ich das eingestehe – eine Paradoxie, wie kann etwas totes mich bestimmen, tote Materie, gestaltete zwar, aber doch leblose Materie – wenn ich mir eingestehe, dass mir diese durchaus wie lebendig entgegen kommt und prägt durch ein großes ästhetisches Erlebnis, durch die Kraft von Modellen, durch grauenhafte Bilder, die im Krieg verwendet werden, erst dann kann ich distanzieren. Und mein Buch ist der Versuch, von dem Begriff der Bilderflut zu distanzieren und Bilder im vollen Sinn wertzuschätzen und wo es sein muss auch zu kritisieren."

    Um diese Paradoxie zu beschreiben, holt Bredekamp weit aus. Zeugnisse für seine Theorie des Bildakts findet er gleichermaßen in der Philosophie von Platon, Heidegger bis Lacan sowie in der Kunst- und Mediengeschichte. Dabei spannt er den Bogen von den lebendigen Bildern, den Maschinen und Automaten, über die Bilder als Ersatz von Wirklichkeit in Wissenschaft und Herrschaftsbeziehungen bis hin zum Bild als Form. Hinter all diesen Strukturen verberge sich Faszination und Angst zugleich. Es ist die Angst, dass Bilder nicht beherrschbar und kontrollierbar sind. Sich dem entgegen zu stemmen und in der Folge der Aufklärung zu stellen ist das beinahe wütend formulierte Ziel des Buches: Für Bilder zu werben, aber auch gleichzeitig ihre einschränkende und bedrohende Kraft zu beschreiben, wenn sich ihre Wirkung verselbstständigt und zu einem prägenden Modell wird. Es ist der entschiedene Versuch, die Geschichte der Bilder und der Wahrnehmung neu zu lesen und auf die Beine zu stellen. Sein Erkenntnisgewinn wird sich vielleicht erst in einigen Jahren vollends erschließen lassen. – Seine Thesen untermauert Bredekamp dezidiert und durchaus überzeugend aus einer enormen Kenntnis der Bildergeschichte heraus. Das macht das Buch aber zugleich auch zu einer anstrengenden Lektüre. Auf sie muss man sich einlassen und Bredekamp zu folgen versuchen, sich ihr aber auch erwehren, um nicht seinerseits einem Modell aufzusitzen, das die Dynamik der eigenen Fantasie begrenzen könnte.

    Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007. Suhrkamp Verlag, Berlin, 2010, 39,90 Euro.