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Wie der Klimawandel Wetterextreme im Norden befördert

In den vergangenen Jahren häufen sich Wetterextreme. Als Schuldigen hat man den Klimawandel im Verdacht. Doch wie begeht er seine meteorologischen Missetaten? Potsdamer Forscher vermuten: Die starke Erwärmung der Arktis bringt die Luftzirkulation auf der Nordhalbkugel durcheinander und begünstigt so die Wetterkapriolen.

Von Volker Mrasek | 27.02.2013
    Wie haben sich Meteorologen starke Hitzewellen wie die in Russland im Jahr 2010 bisher erklärt? These Nr. 1: Es gab ein sogenanntes Blocking. Das bedeutet: Ein stabiles Hochdruckgebiet klebte förmlich über der Region und trotzte dem Höhenwind, der normalerweise kräftig von Westen nach Osten bläst. These Nr. 2: Die Böden trockneten so stark aus, dass kein Wasser mehr zum Verdunsten und damit auch nicht zum Kühlen der Luft vorhanden war.

    Beides seien völlig plausible Annahmen, sagt der russische Geophysiker Vladimir Petoukhov. Und doch gebe es einen Haken an der Sache:

    "Solche Hochdruck-Blockaden dauern üblicherweise rund zehn Tage. Dann lösen sie sich wieder auf. Und auch die Wechselwirkung zwischen Temperatur und Bodenfeuchte wirkt sich in der Regel nicht so lange aus. Die Hitzewellen, die wir inzwischen immer häufiger beobachten, dauern aber schon mal einen Monat oder sogar noch länger."

    Petoukhov ist Gastwissenschaftler am PIK, am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. In Wetterdaten aus den letzten drei Jahrzehnten glaubt er jetzt einen Mechanismus entdeckt zu haben, mit dem sich die jüngsten Extremereignisse auf der Nordhalbkugel besser erklären lassen. Vor allem ihre Häufung und oft wochenlange Dauer.

    Nach der Studie von Vladimir Petoukhov und drei weiteren PIK-Forschern verändert die Klimaerwärmung schon heute massiv das Geschehen in der oberen Troposphäre, rund 6 bis 8 Kilometer über dem Erdboden. Dort laufen planetarische Wellen auf- und abschwingend um den ganzen Erdball. Sie heißen auch Rossby-Wellen - benannt nach dem schwedischen Meteorologen, der sie einst entdeckte:

    "Die Rossby-Wellen, für die wir uns interessieren, haben Wellenlängen von etwa 2.500 bis 4.500 Kilometern. Sie transportieren Energie und sind sehr wichtig für die Dynamik der Atmosphäre und für unser Klima. Diese Wellen bilden Warmluft-Keile und Kaltluft-Tröge und steuern so die Entstehung von Hoch- und Tiefdruckgebieten."

    In der oberen Troposphäre weht auch der bekannte Jetstream - ein starker Höhenwind in mittleren Breiten, der Flüge von Westen nach Osten beschleunigt, also zum Beispiel von New York nach Frankfurt.

    "Der Temperaturunterschied zwischen den Tropen und den polaren Breiten hat großen Einfluss auf den Höhenwind. Je größer die Differenz, desto instabiler wird der Jetstream. Durch Störungen entstehen dann langlebige Rossby-Wellen."

    Nun ist es so, dass sich die Arktis derzeit besonders stark aufheizt, weil viel Eis und Schnee verloren gehen und deshalb weniger Sonnenlicht reflektieren. Dadurch verringert sich der Temperaturunterschied zwischen hohen nördlichen Breiten und den Tropen. Der Jetstream wird stabiler. Und das zügelt nach den Beobachtungen der PIK-Forscher die Rossby-Wellen. Sie werden in der Phasengeschwindigkeit, mit der sich Wellenberge und -täler ausbreiten, stark abgebremst, bis in den quasi-stationären Zustand.

    "Sie gehen in den mittleren Breiten praktisch in die Falle. Die Energie dieser Rossby-Wellen kann dann nicht mehr in die Arktis oder in die Tropen fließen, wie es normalerweise der Fall ist."

    Dieser Beinahe-Stillstand der planetarischen Wellen ist offenbar typisch für viele der jüngsten Wetterextreme in mittleren Breiten. Auch und gerade für solche, die zeitgleich an verschiedenen Stellen auf der Nordhalbkugel auftraten. Das leitet Geophysiker Petoukhov aus den Analysen für die letzten drei Jahrzehnte ab:

    "Im Sommer 2010 litt Russland unter einer Hitzewelle und Pakistan unter Überschwemmungen. In Russland war es damals lange sehr heiß, in Pakistan kalt. Mit dem veränderten Wellenmuster, das wir jetzt entdeckt haben, kann man so etwas gut erklären. Es bleibt oft einen Monat oder länger bestehen. Es prägt den kompletten mittleren Breitenkreis. Und es ist die Ursache für unterschiedliche Wetterextreme in verschiedenen Regionen. Mit unserem Ansatz können wir erklären, warum diese Extreme heute so lange andauern und immer globaler auftreten."

    Die PIK-Forscher sprechen zwar selbst erst einmal nur von einer Theorie. Doch offenbar wirkt sie sehr überzeugend. Die Fachgutachter sollen von der neuen Potsdamer Studie jedenfalls sehr angetan sein.