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Wie die Hühner nach Amerika kamen

Biologie. - Amerika hat den ersten Siedlern aus Europa seine Wildpferde zu verdanken. Ebenfalls auf dem Seeweg wanderten Hühner in die Neue Welt ein - allerdings viel früher und von Westen aus, über den Pazifik. Das glauben jedenfalls neuseeländische Wissenschaftler, die dazu jetzt eine Arbeit im Fachblatt PNAS veröffentlichten.

Von Michael Gessat | 05.06.2007
    Das Ei des Kolumbus, egal ob Legende oder nicht, es stammt ohne Zweifel vom Huhn. Genauer gesagt vom Haushuhn Gallus gallus domesticus. Und ohne Zweifel hatten die europäischen Seefahrer Hähne und Hennen als lebenden Proviant an Bord. Die gängige Hypothese war also durchaus plausibel, wonach nicht nur das Pferd, sondern auch das zahme Federvieh erstmals mit den Konquistadoren amerikanischen Boden betrat. Sagt Alice Storey, Anthropologin von der University of Auckland in Neuseeland:

    "Es gibt auch einige wenige Autoren, die glauben, dass Hühner in Amerika seit jeher heimisch waren, aber das ist eine Minderheitsmeinung. Und dann kursieren noch Theorien, wonach Hühner zusammen mit Seefahrern aus Asien in einem sehr frühen Zeitalter den Ozean überquerten. Wir glauben, zusammen mit vielen anderen Forschern in Polynesien, dass Polynesier Kontakt mit Amerika hatten und dabei auch die Hühner eingeführt haben dürften."

    Die archäologische Fundstelle El Arenal liegt auf der chilenischen Halbinsel Arauco an der Pazifikküste. Neben Keramiken und Werkzeugen fanden die Ausgräber auch Spuren einstiger Mahlzeiten: 50 Hühnerknochen, und zwar von mindestens fünf verschiedenen Hühnern. Die neuseeländischen Forscher ließen nun diese Überreste mit dem Radiokarbonverfahren datieren, und das Ergebnis war eindeutig: Die Tiere wurden bereits rund 100 Jahre vor Kolumbus Ankunft 1492 verspeist. Alice Storeys Spezialgebiet ist der Blick auf die DNA, genauer gesagt auf die mitochondriale DNA. Diese vererbt sich nur mütterlicherseits. Und sie mutiert stetig, ohne dass es dabei zu sichtbaren Veränderungen der Zellen kommt.

    "Und mit der Zeit sammeln sich diese Mutationen in der DNA an, und anhand ihrer Art und Anzahl können wir Aussagen darüber machen, wie eng verwandt zwei Proben miteinander sind."

    Die allerersten Haushühner scharrten im Indus-Tal und in China. Denn dort begann die Domestikation des asiatischen Bankivahuhns anscheinend schon vor 8000 Jahren. In der einen Richtung gelangten die Tiere dann irgendwann nach Europa, zu den alten Griechen, Römern und schließlich zu Kolumbus. Aber auch als die pazifischen Inseln allmählich besiedelt wurden, waren Hühner an Bord: Anscheinend gab es sogar zwei Einwanderungsschübe: Einmal aus Indien, einmal aus China.

    "Wir haben nun festgestellt, dass die beiden polynesischen Typen genetisch anders aussehen als die anderen Hühnern auf der Welt. Und die Hühner aus Chile entsprechen exakt einer der polynesischen Linien. Es wäre sehr unwahrscheinlich, dass die gleiche Anzahl von Mutationen unabhängig voneinander in einem anderen Teil der Welt aufgetaucht sein sollte. Die einzige vernünftige Erklärung: Die Hühner von El Arenal kamen aus Polynesien."

    Der Anthropologin Alice Storey geht es natürlich eigentlich nicht hauptsächlich um Hühner. Lassen sich die Wanderungen der Polynesier und ihre Kontakte nach Amerika nicht auch durch menschliche Relikte nachweisen? Archäologische Skelettfunde aber sind äußerst rar im pazifischen Raum, was an Begräbnissitten, aber vor allem am Klima liegt. Interessanterweise hat man eine bessere Chance, Hühner- als Menschenknochen zu finden:

    "Menschen neigen dazu, wenn sie Essensreste wegwerfen, die alle auf einen Haufen zu schmeißen. Und wenn sie Knochen mit Muscheln zusammenwerfen - diese Menschen aßen nämlich eine Menge davon - dann verändert sich der pH-Wert des Bodens und die Konservierungsbedingungen verbessern sich. Manchmal bewahrt also ein Abfallhaufen die Dinge besser als ein Friedhof."