Donnerstag, 28. März 2024

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"Wie kann man das Ende dieses Krieges beschleunigen?"

Die Kritik an der Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen Syrien kann Shimon Stein nicht nachvollziehen: Die Russen, die Hisbollah, der Iran, die Saudis – alle lieferten sie Waffen an ihr syrisches Klientel. Die Unentschlossenheit der EU und der USA habe nichts gebracht, meint Stein – und fordert Taten.

Das Gespräch führte Friedbert Meurer | 29.05.2013
    Friedbert Meurer: Shimon Stein war mehrere Jahre Israels Botschafter in Berlin. Heute lehrt er am Institut für nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv, mit ihm bin ich jetzt verbunden. Guten Morgen, Herr Stein!

    Shimon Stein: Guten Morgen!

    Meurer: Finden Sie es gut, dass die EU das Waffenembargo gegen Syrien beendet?

    Stein: Ja, zunächst, das ist ja, wie Sie ja wissen, nicht die EU als solche, sondern Frankreich und Großbritannien an erster Stelle haben nach Betrachtung der Lage ja nicht heute, sondern schon seit einiger Zeit zur Schlussfolgerung gelangt, dass man etwas tun muss, was man bis heute nicht getan eben hat. Und ich meine, dieser Krieg geht schon über zwei Jahre, und die Frage, die man stellen soll, muss: Wie kann man das Ende dieses Krieges beschleunigen?

    Meurer: Zum Beispiel mit Waffenlieferungen? Wie würden Sie da die Frage beantworten?

    Stein: Wissen Sie, das ist ja nicht so, dass Waffen nicht geliefert werden. Ich meine, Sie haben jetzt so ausführlich einen Bericht, wo über die zentrale Rolle von Russland die Rede war. Was tun die Russen eigentlich schon seit Jahren? Sie beliefern Assad mit hochmodernen Waffen. Was tut der Iran? Was tut die Hisbollah? Was machen die Saudis? Was machen die Kataris? Alle liefern Waffen an ihre Klienten in Syrien, deshalb ist die Lage so kompliziert.

    Meurer: Also soll es der Westen auch tun, Herr Stein? Sollen Großbritannien und Frankreich – die marschieren ja jetzt vor – sollen sie Waffen liefern an syrische Rebellen?

    Stein: Ich meine, es sind ein paar Optionen, die man berücksichtigen muss, um diese Pattsituation zu durchbrechen. Und eine Variante ist, an die moderaten Kräfte, die man übrigens auch identifizieren kann, auch Waffen zu liefern, die, wie ich das nenne, ein Game Changer, die den Unterschied machen können, und das sind Luftabwehrraketen oder Panzerabwehrraketen, die eigentlich die Assad-Armee in große Schwierigkeiten bringen kann. Oder man kann, wie Ihr Korrespondent es gesagt eben hat, auch eine Flugverbotszone überlegen. Aber die gegenwärtige Lage der Europäischen Union, die Unentschlossenheit der amerikanischen Administration hat bis heute über zwei Jahre nichts gebracht. Und die andere ...

    Meurer: Warum, Herr Stein, glauben Sie, dass die Bundesregierung bei all den Vorschlägen, die Sie jetzt gerade gemacht haben – Waffenlieferungen, Luftabwehrraketen zum Beispiel und Flugverbotszone –, abwinkt?

    Sturmgewehr im Anschlag: Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA) in Aleppo
    Sturmgewehr im Anschlag: Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA) in Aleppo (picture alliance / dpa / Thomas Rassloff)
    "Ist das nicht ein moralisches Versagen der Europäischen Union?"
    Stein: Ich muss offen sagen, Sie haben, glaube ich, eine historische Aufnahme einer Rede des Außenministers Joschka Fischer, für uns auch noch einmal in Erinnerung gerufen eben. Und wie Sie eben mit Recht gesagt haben, es handelte sich damals um einen Ex-Pazifisten, der zur Schlussfolgerung gekommen ist, dass ein Punkt kommt, wo man sich die Frage stellt, ob man mit einer Haltung, die ja heute gegenwärtig befürwortet wird, ein Durchbruch oder ein Ende des Bürgerkrieges beschleunigen kann. Ich frage mich auch übrigens, die moralische Frage – Joschka Fischer hat über Hunderttausende von Kosovaren und Serben gesprochen. Heute hören wir, dass über 70.000 in Syrien ums Leben gekommen sind, 1,4 Millionen sind Flüchtlinge, die Gefahr der Ausweitung des Krieges ist durchaus vorhanden. Ist das nicht ein moralisches Versagen der Europäischen Union?

    Meurer: Finden Sie also, Herr Stein, die Kultur der militärischen Zurückhaltung, die Guido Westerwelle ja namentlich predigt, falsch?

    Stein: Ich meine – wissen Sie, es ist ja nicht die Frage, ob man heute Truppen entsenden soll. Es ist die Frage, die ich am Anfang gestellt habe: Wie kann man eigentlich den Bürgerkrieg zu Ende führen, insbesondere beschleunigen, damit es zu einem Ende kommt? Und ich muss sagen, dass diese Option unter keinen Umständen, wollen wir Waffen an die Kräfte liefern, die am Ende, wenn sie die Oberhand haben, dann könnte es für uns auch langfristig in Syrien zu einer neuen Lage kommen. Diese Frage soll man sich eigentlich stellen, und ich meine, nur zu warnen vor einem Flächenbrand, der schon bereits heute im Laufen ist, wäre ja nicht die richtige Antwort. Und deshalb sage ich, ich plädiere ja nicht für deutsche Soldaten, die morgen in nach Syrien gesendet werden sollen, ich überlege, ich befürworte nur, sich ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen und nicht immer in diesen Generalitäten zu begeben.

    Meurer: Da Sie die deutschen Verhältnisse gut kennen, Herr Stein, wie erklären Sie sich das, Joschka Fischer – da haben wir gerade drüber geredet – wandelt sich vom Pazifisten, zum – ich sage mal schlagwortartig – Bellizisten, und Schwarz-Gelb genau andersherum?

    Stein: Das war für mich, glaube ich, war Joschka Fischer und die damalige Regierung eine Meilensteinentscheidung getroffen. Und übrigens: Seitdem herrscht in der internationalen Diplomatie die humanitäre Intervention, die eigentlich die Staatengemeinschaft aufruft, wenn ein Land in einer humanitären Lage verfällt und das Regime weiter gegen seine eigene Bevölkerung, dass die internationale Gemeinschaft ein Recht eben hat aus humanitären Gründen, sich dort zu intervenieren. Und ich frage mich: Wann wird der Punkt kommen, wo man moralisch die gegenwärtige Lage ja nicht mehr rechtfertigen wird? Das ist für mich die Frage, und die soll man eigentlich an die deutsche Bundesregierung auch stellen.

    Meurer: Shimon Stein hat Fragen an die Bundesregierung in Berlin. Er war Botschafter Israels in Berlin, lehrt heute am Institut für nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv. Herr Stein, besten Dank, Wiederhören nach Tel Aviv!

    Stein: Danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.