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Wie man ein Gedicht verfilmt

Das Gedicht "Howl" von Allen Ginsberg ist Weltliteratur – nicht erst, seit sich an seiner angeblichen obszönen Sprache ein Streit um die Freiheit der Kunst entzündet hat. Rob Epstein und Jeffrey Friedman haben das Gedicht, seine Geschichte, seine Wirkung, in einen Film verwandelt.

Von Josef Schnelle | 06.01.2011
    Wie verfilmt man ein Gedicht, dazu noch eines der einflussreichsten des 20. Jahrhunderts? Geht das überhaupt? Der lange ruhige Fluss der Sprache mit schwer fassbaren Allegorien, Anspielungen und Zitaten übersetzt in die schlichte Eindeutigkeit der Kinobilder? Rob Epstein und Jeffrey Friedman ist es gelungen, das berühmteste Gedicht von Allen Ginsberg in einen Film zu verwandeln.

    Wir sehen es in irrlichternden Zeichentrickpassagen nach Entwürfen von Eric Drooker, der 1996 eine Neuausgabe des Gedichts illustriert hatte. Wir sehen, wie der Dichter es im Club Six Gallery in San Francisco im Oktober 1955 erstmals vorträgt. Die dritte Ebene des dokumentarischen Spielfilms ist ein langes nachgestelltes Interview, und dann springen wir immer wieder in den Prozess gegen den Verleger Lawrence Felinghetti, der das Gedicht mit seinen zahlreichen obszönen Anspielungen herausgebracht hatte.

    Der Prozess endete 1957 spektakulär mit dem Freispruch durch den liberalen Richters Clayton Horn, der den ersten Zusatz der amerikanischen Verfassung bemühte, um mitten in der McCarthy-Ära die Freiheit des literarischen Ausdrucks zu bestätigen. Die literarische Bewegung der Beat-Generation mit weiteren Protagonisten wie Jack Kerouac und William Burroughs war geboren.

    Wie aber synchronisiert man so etwas: ein Gedicht, das Allen Ginsberg bei vielen Gelegenheiten vorgetragen hat? Am besten perfekt. Das ist dem Verleih mit dem sonst eher aus Fernsehserien bekannten deutschen Synchronsprecher Sebastian Schulz hervorragen gelungen.

    "Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört im Wahnsinn, hungrig und nackt."

    Sebastian Schulz ist in diversen Filmen die deutsche Stimme von James Franco, der mit großem Engagement die Hauptrolle in dieser Filmbiografie eines Gedichtes spielt. In manchen Kinos kann man auch die untertitelte Originalfassung hören und Francos Bemühen, der Originalstimme Allen Ginsbergs nahezukommen.

    "I saw the best minds of my generation, destroyed by madness."

    Nach der ersten Lesung trampte Ginsberg zurück nach Hause. Er machte Rast im Reed-Collage in Portland, Oregon, wo er noch einmal seinen Text las. Die Aufnahme dieser Lesung im Schlafsaal der Studenten ist erhalten geblieben. Im Unterschied zu anderen, pathetisch gefärbten Lesungen, verlässt sich Ginsberg hier ganz auf den Text.

    James Franco und auch Sebastian Schulz, das wird in diesem Vergleich klar, haben sich größte Mühe gegeben, den Duktus Ginsbergs zu erfassen. Etwas Anderes hätte man von Epstein und Friedman auch nicht erwartet, die mit ihren Dokumentarfilmen "The Life and Times of Harvey Milk" über den schwulen Bezirksbürgermeister in San Francisco und die humorige Bestandsaufnahme der versteckten schwulen Hinweise in Hollywoodfilmen wie "The Celluloid Closet" schon eine gewisse Reputation als Grenzgänger zwischen Dokumentarfilm und Fiktion erlangt haben und für "Milk" mit einem Oscar ausgezeichnet wurden.

    Das Gedicht "Howl" war ja auch ein frühes Bekenntnis Ginsbergs zu seiner Homosexualität. Vor allem aber ist es eine Analyse des amerikanischen Traum, der geradewegs in den Moloch einer gefräßigen Erfolgsgesellschaft führt, natürliche Ressourcen gedankenlos zerstört und die Menschen buchstäblich frisst, die an den persönlichen Erfolg glauben. Das ist vor allem der Gedanke im Mittelteil des dreiteiligen epischen Gedichtes, das als Vorbote der liberalen Studentenbewegung Amerika erschütterte.

    Epstein und Friedmans Film funktioniert aber auch als filmischer Versuch über das literarische Schaffen. Hineingesogen in das Delirium der Kreativität versteht man endlich, worum es bei Lyrik geht: um Rhythmus, Gefühl und um Wahrheit und Authentizität.

    "Wie haben Sie angefangen, Gedichte zu schreiben?"
    "Ich habe angefangen, Gedichte zu schreiben, weil ich verliebt war, Gefühle ausdrücken musste."

    "Howl - Das Geheul" ist ein ganz besonderer Film. Ein Film über die Wahrnehmung der Welt, über die literarische Schaffenskraft und über eine Zeit, in der die Gedankenverbote noch an der Macht waren. Ein lyrischer Film, kraftvolle filmische Poesie aber auch ein Zeitdokument. Dabei ist "Howl" unterhaltsam und mitreißend. Allen Ginsberg würde seinen Spaß an diesem Film gehabt haben.