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Wie man Wünsche beim Schwanz packt. Ein Drama

Immer wieder kommt es vor, daß Künstler und Autoren ihr eigentliches Arbeitsgebiet überspringen und sich, mehr oder weniger spielerisch, in einer anderen Disziplin versuchen. Pablo Picasso, der die Malerei und Skulptur dieses Jahrhundert entscheidend beeinflußt hat, schrieb 1941 in dem von den Deutschen besetzten Paris ein surrealistisches Drama mit dem schönen Titel "Wie man Wünsche beim Schwanz packt". Dieser Text ist jetzt, versehen mit einer ausführlichen Entstehungs und Rezeptionsgeschichte, endlich wieder neu aufgelegt worden.

Sabine Peters | 27.06.2000
    Das Stück wurde noch während der Zeit der Besetzung im März ´44 uraufgeführt, und zwar als szenische Lesung beim Galeristenpaar Leiris zu Hause. Die Regie führte Albert Camus, die Mitspieler waren unter anderem Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und Raymond Queneau, unter den Gästen waren Leute wie Georges Braque und Jacques Lacan. Eine illustre Runde also, und die Aufführung muß als so etwas wie ein symbolischer Akt des Widerstandes empfunden worden sein: Schauspieler und Gäste blieben über die Sperrstundenzeit hinaus die ganze Nacht beieinander, wie zum Trotz gegen das von den Nazis aufgezwungene Stillhalten und Schweigen. Picassos Stück selbst ist an den Vorgaben der ecriture automatique orientiert, das heißt, Picasso hat freischweifend assoziiert. In allem, was fantastisch und schräg in seinem Text ist, stecken aber auch konkrete Tatsachen, die seinen Alltag bestimmten: Der harte Winter, Einschränkungen, Isolation - seine Bilder durften nicht ausgestellt werden - aber auch die Sehnsucht nach freiem Leben, und nach den Freuden am Tisch und im Bett. Sechs Akte hat das Stück, und es wirken mit: Der Plumpfuß, die Zwiebel, die Torte, die Kusine, das Klümpchen, zwei Wauwaus, das Schweigen, die Gardinen, die fette und die magere Angst.

    Man kann dieses Stück nicht als eine bedeutungs- und sinnstiftende Einheit verstehen und sollte sich wohl davor hüten, zuviel in es hineinzulesen. Picasso selbst sagte, er wolle Empfindungen durch den Wortklang selbst suggerieren. Farben seien dazu da, um Farben zu malen - und entsprechend solle die Sprache nicht den gewöhnlichen Redefluß abbilden, vielmehr solle Sprache in Materie verwandelt werden. Der Text wirkt manchmal wie ein Funkenregen, etwa wenn der Plumpfuß das Hohelied für die Torte singt, Zitat, "Tadellos ist dein Bein und schön gedrechselt dein Nabel, und deine Taille ist dünn, und deine Tuttelchen sind vollkommen... dein Popochen schmeckt wie mein Leibgericht, und deine Arme sind eine Haifischflossensuppe, und dein Schwalbennest - dein Schwalbennest ist die Glut einer Suppe aus Schwalbennestern." Das Stück zeigt aber auch dunkle Bilder, in denen man Elemente aus Picassos künstlerischem Werk wiederzuerkennen meint, so dieses: "Pegasus, der seinen Lauf beendet hat, schleppt seine Eingeweise hinter sich her. Und: "Ich selbst bin nichts als die an den Glaswänden des Feuers festgefrorene Seele. Mit meinem eigenen Bild schlage ich mich vor die Stirn und schreie die Ware meines Schmerzes durch die allem Erbarmen verschlossenen Fenster aus."

    Das Drama erwähnt auch die Absurdität der Situation als Künstler in einer Diktatur, so etwa, wenn der Plumpfuß dazu auffordert, mit aller Kraft Taubenschwärme gegen Gewehrkugeln zu schleudern. Noch nach mehrmaliger Lektüre muß die Rezensentin allerdings zugeben, daß sie längst nicht jede Sequenz dieses Stückes verstanden hat aber um das Auflösen jeder Assoziation kann es wohl auch nicht gehen. Nach dem Krieg standen die Zeitgenossen dem Drama gespalten gegenüber; einige sahen es als bloßen Jux, als Spielerei, die nur wegen der Berühmtheit des Verfassers gedruckt und aufgeführt wurde; andere lobten die poetische Kraft des Textes. Daß er auch im Deutschen und auch jetzt noch so springlebendig wirkt, ist der Übersetzung durch Paul Celan zu verdanken. 1954 erschien das Drama beim Arche-Verlag in Zürich; aber als Bühnenstück setzte es sich nur langsam durch: 1950 wurde es in London aufgeführt, später in Bern und in Wien; es wurde auch verfilmt und zum Hörspiel gemacht, und für den November diesen Jahres ist eine Aufführung in Berlin im Theater am Halleschen Ufer geplant. Wer das Drama heute liest, wird danach sicher kein ganz anderes, neues Bild von Picasso haben - eher ist es so, daß es eben den Picasso zeigt, den man von seinem übrigen Werk zu kennen meint: Sein Drama ist unmittelbar, magisch, großzügig und vital.