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Wie Moslems und Christen gemeinsam Trauben ernten

Die Weinherstellung im Libanon hat eine lange Tradition. Vielleicht ein Grund dafür, weshalb Christen, Moslems und Druzen bei der Traubenernte so harmonisch zusammenarbeiten – sogar in politisch angespannten Zeiten.

Von Birgit Kaspar | 28.10.2007
    "Los, beeilt Euch" - Suleiman Chamas, der 64-jährige Aufseher treibt die rund 30 Traubenpfücker auf einem Weinfeld im Chateau Kefraya zur Eile an. Die Frauen, Männer und Kinder hocken am Boden, und füllen große Plastikkisten mit blauen Weintrauben.

    Vorsichtig hält der 13-jährige Mahmoud eine Rebe mit der linken Hand, mit einer Spezialschere in der Rechten knipst er sie ab und wirft sie in seine Kiste. Mahmoud trägt ein rot-kariertes Palästinensertuch um den Kopf und ein dunkelblaues, langärmeliges Sweatshirt, um sich vor der Sonne zu schützen. Er ist das erste Mal bei der Weinlese:

    Mahmoud: "Ich mache es gerne, wir sind mit der ganzen Familie hier."

    Die sechsköpfige Familie kommt wie viele andere der Tagelöhner im Chateau Kefraya aus Syrien. Jeder verdient 10 Dollar am Tag, am Ende der Erntesaison gehen sie wieder nach Hause. Die meisten der Erntehelfer sind Moslems, einige von ihnen geben zu, es mit dem Alkoholverbot ihrer Religion nicht so ernst zu nehmen. Die 24-jährige Rabia Moussa, in rotem langärmeligen T-Shirt, kommt aus dem Nachbardorf Mansourah. Um den Kopf hat sie ein beiges Tuch gewickelt, darauf sitzt ein breitkrempiger Strohhut. Ihre großen braunen Augen strahlen freundlich:

    Rabiah: "Ja, ich mag Wein, am liebsten roten!"

    Michel der Boustros, der grauhaarige 78-jährige Begründer des Weingutes, sagt, die Zusammenarbeit von Christen, Moslems und Druzen sei ausgesprochen harmonisch, selbst in politisch so angespannten Zeiten wie diesen, denn Religion und Politik seien auf dem Weingut tabu.

    Michel de Boustros: "Wir hatten nie Probleme, dass Mitarbeiter sich über Politik oder Religion gestritten haben."

    Die Oktobersonne taucht die 300 Hektar terrassenförmig angeordneten Weinfelder von Kefraya am Fuße der Baroukberge in ein warmes, goldenes Licht. Ganz langsam beginnt der Herbst, einige Blätter der Rebstöcke verfärben sich gelb, dazwischen hängen die blauen oder grünen Trauben. Die Parzellen liegen auf einer Höhe zwischen 950 und 1100 Metern. Ihr Boden ist sehr steinig, lehmig und kalkig. Vom höchsten Punkt aus hat man einen Blick über die Felder und Obstplantagen des südlichen Bekaa-Tals.

    de Boustros: "Es war schwer zu Anfang, denn die Felder waren voller dicker Felsbrocken, wir mussten sie ausgraben, konnten sie aber nicht sehr weit tragen. Deshalb liegen sie jetzt wie Halsketten um die einzelnen Rebenparzellen."

    De Boustros hat 1979 begonnen, seinen eigenen Wein zu keltern. Eine mutige Entscheidung während des Bürgerkrieges.

    In einer Halle werden Flaschen mit Rotwein befüllt und verkorkt: Les Breteches de Kefraya, Jahrgang 2006, ein Tischwein. Heute produziert das Chateau rund zwei Millionen Flaschen, etwas weniger als das größte und älteste libanesische Weingut Ksara, ein wenig weiter nördlich im Bekaa-Tal.

    de Boustros: "Wir exportieren rund 50 Prozent unseres Weins, der Rest bleibt im Libanon."
    Die Weinherstellung hat eine mindestens 400 Jahre alte Tradition im Libanon, damals verkauften die Phönizier ihren Wein im Mittelmeerraum. Der berühmte Tempel zu Ehren des Weingottes Bachus in der heutigen Hisbollah-Hochburg Baalbeck erinnert eindrucksvoll daran.

    Michel de Boustros führt uns ins Allerheiligste, den Weinkeller. Rund 400 aus Frankreich importierte Eichenfässer lagern hier, in ihnen reift der so genannte Prestigewein des Chateaus, der Comte de M. Fabrice Guiberteau, der Önologe des Weinguts, erläutert seine Philosophie:

    Guiberteau: "Für mich ist Wein etwas Lebendiges. Deshalb ist es wichtig, ihm eine Seele zu geben."

    Dazu seien die Trauben von Bedeutung, der Boden, aber vor allem die Menschen, die die Trauben verarbeiten. Das Besondere am libanesischen Wein:

    Guiberteau: "Die viele Sonne, die lange Trockenheit. Ab April haben wir kaum noch Regen. Wir bewässern nie, denn unsere Böden halten enorm viel Feuchtigkeit."

    Für den 32-jährigen fröhlichen Franzose, der seinen ersten Wein mit 15 hergestellt hat, ist die Arbeit in Kefraya ein Traumjob.

    Michel de Boustros, der von seinen Mitarbeitern eher als Vaterfigur denn als Chef angesehen wird, schlendert mit uns durch eine Parkanlage mit Blumen und Pampasgräsern, die er zwischen dem Produktionsbereich und dem kleinen Restaurant am Rande der Weinfelder angelegt hat.

    de Boustros: "Man kann Wein nicht in einer hässlichen Umgebung herstellen. Sie muss schön sein. Wenn Sie einen sehr guten Wein aus einer hässlichen Flasche trinken, es ist nicht dasselbe."

    Deshalb hat er seine Weinflaschen selbst gestaltet: Jeden Jahrgang seines Rotweines ziert ein anderes Gemälde einer libanesischen Malerin. Und seine Liebe zu Opern spiegelt sich in den Namen der Weißweinjahrgänge:

    de Boustros: ""La Cuvee d’Aida, dann Madame Butterfly, Carmen … Dieses Jahr 2006 ist Giocanda von Poncelli."

    Denn ein guter Wein müsse wie eine gute Oper komponiert sein.

    de Boustros: "Wein ist eine Kunst, da ist nicht nur die Verbindung zur Musik oder zur Malerei, sondern zu jeder Kunstform, schöne Gärten, gestaltete Rasenflächen, ich denke, Kunst und Wein sind einfach verbunden."

    Der 78-Jährige ist stolz auf das, was er geschaffen hat und er ist nicht der einzige, der beteuert, dass er seine Arbeit auf dem Weingut liebe. Aber bei einem Glas Rotwein in seinem Garten seufzt er, als er an die Zukunft denkt.

    de Boustros: "Ich habe das, was ich hier getan habe, so sehr geliebt, dass ich nicht sagen kann, was nach mir sein wird. Ich bin nicht so optimistisch."

    Die Tagelöhner sind nach Hause gegangen, die Trauben sind gemahlen und entrappt, ihr Saft und das Fruchtfleisch befinden sich im Gärkeller. Langsam senkt sich die Sonne über die Weinfelder von Kefraya - einer der wenigen Oasen der Schönheit und Harmonie im krisengeschüttelten Libanon.