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Wie "sicher" sind die NATO-Neulinge?

Seit der Aufnahme Polens, Tschechiens und Ungarns in die NATO am 12. März 1999 spielten sich in allen drei Ländern Skandale um ihre Spitzenpolitiker ab, die zu Zweifeln an ihrer Zuverlässigkeit Anlaß gaben. Es stellt sich deshalb die Frage, welchen Einfluß alten Seilschaften aus der kommunistischen Ära noch haben. Gibt es Gefährdungen durch Korruption und organisiertes Verbrechen? Und schließlich wie steht es um die sensiblen Bereiche der Geheimdienste und Sicherheitsstrukturen in den drei exkommunistischen Ländern ?

Hans-Joachim Hoppe | 13.11.1999
    Nehmen wir zum Beispiel Polen: Nachdem es sich zunächst früher als andere Reformländer vom Kommunismus abwandte, erlitt es durch die Rückkehr der Postkommunisten an die Macht im September 1993 einen schweren Rückschlag. Die Reformentwicklung wurde in Polen durch das Zwischenspiel einer Linksregierung um Jahre verzögert. Trotz der Bekenntnisse der Linken zu einer prowestlichen Politik war Vorsicht geboten: Für den Westen war die Machtübernahme von ehemaligen, wenn auch gewendeten Kommunisten an sich schon ein Risiko; Enthüllungen über deren Kollaboration mit KGB und dem polnischen kommunistischen Geheimdienst aber machten sie für die NATO im Grunde untragbar. Hinzu kamen Erkenntnisse, daß auch die Polen die Spionage gegen den Westen nicht eingestellt hatten.

    Die Skandale gipfelten schließlich in Vorwürfen gegen den damaligen Ministerpräsidenten Josef Oleksy, nach denen er selbst ein Agent der Sowjets gewesen sein soll. Er mußte 1996 deshalb von seinem Amt zurücktreten. Auch gegen Staatspräsident Kwasniewski, ebenfalls ein ehemaliger Kommunist, wurden Verdächtigungen erhoben.

    Große Hoffnungen setzte man in Polen wie auch im Westen auf die liberal-konservative Regierung, die nach ihrem Wahlerfolg im November 1997 die Macht übernahm. Die Regierung Jerzy Buzek versprach eine grundlegende Entsowjetisierung der Gesellschaft, um das Vertrauen der Bevölkerung und des Auslands in Polens politische Klasse wiederherzustellen. Erst jetzt, neun Jahre nach dem Sturz der kommunistischen Herrschaft, erfolgte gegen den Widerstand der Linken eine formelle Verurteilung des kommunistischen Unrechtsregimes. Gestützt auf eine konservativ-liberale Mehrheit im Parlament forcierte die neue Regierung die "Durchleuchtung" der führenden Politiker und Beamten auf ihre Vergangenheit.

    Auf der Grundlage des Durchleuchtungsgesetzes mußten 23.000 Politiker und Beamte Erklärungen über ihre eventuelle Arbeit für den kommunistischen Geheimdienst abliefern. Bei einem Bekenntnis drohten ihnen keine rechtlichen Konsequenzen, bei einem Verschweigen dagegen werden sie von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, wenn ein eigens dafür vorgesehenes Gericht ihre Schuld feststellt. Die Zahl der Geständigen war erstaunlich gering: nur etwa 300 Funktionäre gaben ihre Kollaboration mit den kommunistischen Geheimdiensten zu.

    Da der Durchleuchtungsprozeß aber nicht mit einer rechtzeitigen Öffnung der Geheimdienstakten gekoppelt war, hatte er politisch zunächst verheerende Konsequenzen: Parlamentarier aller Schattierungen konnten ihre politischen Gegner durch Diffamierungen und Einleitung von gerichtlichen Überprüfungsverfahren in Mißkredit bringen.

    So richteten sich die Attacken, bei denen sich insbesondere die rechtskatholische Partei "Konföderation unabhängiges Polen" hervortat, zunächst vorzugsweise gegen Spitzenpolitiker der Linksallianz, der Nachfolgepartei der kommunistischen Partei Polens, z.B. gegen deren Vorsitzenden Ex-Innenminister Leszek Miller, Ex-Premier Wlodzimierz Cimoszewicz und den ehemaligen Justizminister Jerzy Jaskiernia wegen Zusammenarbeit mit dem sowjetischen bzw. dem früheren polnischen Geheimdienst.

    Doch dann geriet die Regierung selbst unter Beschuß. Zwar verwies Ministerpräsident Buzek auf die ordnungsgemäßen Zusicherungen seiner Minister, doch verhärteten sich Gerüchte, daß einige Mitglieder die Unwahrheit gesagt hatten. So mußten nacheinander Vizewirtschaftsminister Janusz Koczurba, der in kommunistischer Zeit für die EU zuständig war, dann der für die Beziehungen zur NATO zuständige Vizeverteidigungsminister Robert Mroziewicz und schließlich in diesem September Vizepremier und Innenminister Janusz Tomaszewski wegen früherer Kollaboration mit dem kommunistischen Geheimdienstes zurücktreten. Letztendlich geriet Ministerpräsident Buzek selbst ins Zwielicht.

    Man warf ihm vor, in der Zeit des Kriegsrechts in den achtziger Jahren ein Doppelspiel betrieben zu haben: er sei in Oberschlesien als einer der Anführer der im Untergrund agierenden Gewerkschaft Solidarität aufgetreten und habe zugleich mit dem kommunistischen Geheimdienst zusammengearbeitet. Dabei habe er Kameraden der Solidarität an die Geheimpolizei verraten. Für seine Mitarbeit habe er auch höhere Geldsummen erhalten und dies mit Unterschrift bestätigt. Buzek wies die Vorwürfe mit Entschiedenheit zurück; Parteifreunde bezeichneten sie als Schmierenkampagne, um Polen zu diskreditieren und die Regierung zu Fall zu bringen. Auch der mit der Aufklärung dieser Fragen befaßte Staatsanwalt Nizieñski behauptete, es gebe gegen Buzek keine belastenden Hinweise. Doch der Verdacht gegen ihn blieb bis heute bestehen.

    Angesichts der unseligen Verquickungen von Teilen der Elite mit der kommunistischen Vergangenheit gestaltete sich auch die Umstrukturierung der Geheimdienste nach westlichen Maßstäben schwierig. Immer wieder mußten Spitzenbeamte wegen Verbindung zu alten Seilschaften entlassen werden. Anläßlich ihres Beitrittsangebot drängte die NATO auf eine grundlegende Reform der Geheimdienste, andernfalls bleibe Polen ein Sicherheitsrisiko. Die personelle und strukturelle Kontinuität zum kommunistischen Sicherheitsdienst müsse endlich durchbrochen werden. Koordinator der Geheimdienste ist gegenwärtig Janusz Palubicki (ph. Palubitzki), der wie Buzek der Wahlaktion Solidarität AWS angehört. Wichtigster Geheimdienst ist der Staatsschutz UOP, der für Spionageabwehr, Schutz der Staatsgeheimnisse und der verfassungsmäßigen Ordnung zuständig ist. Die Unterstellung des Militärischen Nachrichtendienstes WSI wurde verändert: Er untersteht nicht mehr dem Präsidenten, sondern dem Verteidigungsministerium.

    Dennoch behielt der linksorientierte Präsident Alexander Kwasniewski erheblichen Einfluß auf die Sicherheitsstrukturen. So verfügt er mit dem Nationalen Sicherheitsbüro BBN über einen eigenen Sicherheitsdienst. Besonders bedenklich ist, daß Präsident Kwasniewski an zwei seiner engsten Vertrauten trotz ihrer Tätigkeit für die kommunistischen Staatssicherheit festhielt. Zynisch meinte er. er könne auf deren Fachwissen nicht verzichten – ein Fachwissen, das im totalitären Staate erworben wurde. Kritiker halten dies für unvereinbar mit dem Dienst in einem demokratischen Staatswesen ist.

    Eine erfolgreiche Umorientierung der Geheimdienste setzt aber eine klare Haltung der politischen Führung voraus. Sie ist unmöglich, wenn einflußreiche Teile der Elite selbst in mafiöse und geheimdienstliche Aktivitäten verstrickt sind und ihnen ein dem Gemeinwohl dienendes Staatsbewußtsein fehlt. Dadurch wird auch der Kampf gegen die verbreitete Korruption und das organisierte Verbrechen, in das neben der Polizei auch Polens Geheimdienste eingespannt sind, beträchtlich erschwert. Hauptschwerpunkte der polnischen Geheimdienste sind jedoch weiterhin die klassischen Aufgaben der Spionage und Spionageabwehr.

    Als Außenposten der NATO ist Polen ein bevorzugtes Operationsgebiet östlicher Agenten. So warf die polnische Regierung Rußland vor, es versuche Rußland, Politik, Wirtschaft und die Medien über alte Kontakte infiltrieren zu wollen. So versuchten die Russen, Teile der polnischen Wirtschaft mit russischem Kapital zu übernehmen. Russische Geheimagenten planten "Provoka-tionen", um die polnische Kooperation mit der NATO zu stören. So soll Rußland nach den Worten des Geheimdienstkoordinators Janusz Palubicki Kopien der wichtigsten Geheimdienstdossiers besitzen und so in der Lage sein, Politiker zu erpressen und auf die politischen Vorgänge in Polen Einfluß zu nehmen. Im November 1997 wurde ein russisches Spionagenetz aufgedeckt, dessen Herzstück seit Anfang der neunziger Jahre die russische Botschaft gewesen ist. Im Mai 1999 wurden mehrere polnische Geheimdienstoffiziere der Spionage für die ehemalige Sowjetunion wie auch für das heutige Rußland überführt.

    Polen seinerseits beobachtet mißtrauisch seine Nachbarländer und versucht auf sie Einfluß zu nehmen. Ein Risikofaktor stellte insbesondere das diktatorische und betont antiwestliche Regime Alexander Lukaschenkos in Belarus dar. So fördert Polen seinerseits Exilgruppen der verfolgten weißrussischen Opposition in der Hoffnung, das es diesen gelingt, Lukaschenko zu stürzen. Mit Mitteln des CIA wurde auf polnischem Boden ein Sender zur Information der weißrussischen Bevölkerung errichtet. Beunruhigt ist Polen insbesondere über die Unionspläne zwischen Rußland und Belarus und die bedrohliche militärische und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern.

    Nach der Wende bahnte sich schnell eine Zusammenarbeit zwischen Polen und einzelnen NATO-Ländern vor allem im Kampf gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität und Drogenschmuggel an. Verärgerung bei der NATO lösten hingegen Erkenntnisse aus, daß Polen wie auch die anderen die Beitrittskandidaten, Tschechien und Ungarn, weiterhin gegen ihre künftigen Verbündeten spionieren. Obwohl Polen die NATO-Übereinkunft zum Schutz klassifizierten Materials unterzeichnet hatte, vermutete man in Brüssel, daß alte Seilschaften in Polen Geheimnisse an die Russen weiterreichen. Die polnische Regierung bestritt die Vorwürfe und verwies darauf, daß rund 600 von insgesamt 1000 Agenten aus der Auslandsabteilung ihres Geheimdienstes entlassen worden seien. Außerdem billigte das polnische Kabinett daraufhin im November 1998 einen Gesetzesentwurf zum Schutz von Staatsgeheimnissen gemäß NATO-Standards, das u.a. die Schaffung eines Sonderkomitees zu deren Überwachung vorsieht.

    Wie unsicher man in Polen immer noch im Umgang mit Geheimdiensten ist, zeigt die Debatte über den CIA-Meisterspion, Oberst Ryszard Kuklinski, der während des Kalten Krieges für den Westen spionierte. Als Chef für strategische Planung im polnischen Verteidigungsministerium hatte er in den siebziger Jahren 35.000 streng geheime Dokumente, die auch den Warschauer Pakt betrafen, an die Amerikaner weitergeleitet. 1981 kurz vor Einführung des Kriegsrechts gelang ihm die Flucht in die USA. 1984 wurde er von einem polnischen Gericht in Abwesenheit wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und erst 1997 wurde auf Veranlassung von Präsident Kwasniewski und Innenminister Leszek Miller, beide frühere Kommunisten, im Hinblick auf die NATO-Aufnahme Polens vollständig rehabilitiert. Im April 1998 wurde ihm in Polen ein triumphaler Empfang bereitet. Aber bis heute ist man sich nicht einig, ob Kuklinski ein Verräter oder ein Held für das freie Polen war.

    In der Tschechoslowakei war dank einer bürgerlichen Koalition in Prag die Abrechnung mit dem Kommunismus am gründlichsten. Nach Loslösung der Slowakei setzte Tschechien selbständig den radikalen Kurs fort. Ein Großteil der im alten System korrumpierten Politiker und Beamte wurde entlassen. Im Unterschied zu Polen, Ungarn und der Slowakei, wo die in Moskau geschulten Kader der kommunistischen Ära auch in den Nachfolgediensten weitgehend verblieben, fand im tschechischen Geheimdienst ein umfassender Kaderaustausch statt.

    Nach deutschem Vorbild wurden, wenn auch mit mehreren Jahren Verzögerung, die Akten der Staatssicherheit geöffnet und seit 1996 den Bürgern zugänglich gemacht. Dazu wurde die von Ján Frolík, einem Historiker und ehemaligen politischen Häftling, geleitete Sektion für den Schutz von Geheimakten eingerichtet. 1995 wurde außerdem das Amt für die Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus mit weitreichenden Kompetenzen - einschließlich der Einleitung von Strafverfolgung - gegründet. Bereits Ende 1991 führte die Tschechoslowakei ein Lustrationsgesetz ein, das Mitarbeiter der kommunistischen Staatssicherheit, hochrangige kommunistische Funktionäre sowie ehemalige Mitglieder der Volksmiliz von der Bekleidung hoher Posten im Staat und in Unternehmen ausschließt. Das zunächst für eine Periode von fünf Jahren verabschiedete Gesetz wurde bis zum 31. Dezember 2000 verlängert.

    Auch die Erneuerung des Geheimdienstes, dessen föderale Organisation nach der Spaltung der Tschechoslowakei aufgelöst wurde, erfolgte in der Tschechischen Republik am konsequentesten. Der kommunistische Staatssicherheitsdienstes StB wurde vom tschechischen Parlament eindeutig als kriminelle Organisation klassifiziert. Allerdings dauerte es mehrere Jahre, bis die Auflösung auch umgesetzt worden war. Es entstanden in Tschechien vier neue Dienste: der Sicherheits- und Nachrichtendienst BIS, das Amt für ausländische Kontakte und Information USZI, der Nachrichtendienst der Armee und ein weiterer Geheimdienst des Generalstabs. Die führenden Posten wurden meist mit Dissidenten und Gefolgsleuten der Bürgerlichen Koalition besetzt.

    So lobenswert dieser Schritt war: Die Unerfahrenheit der neuen Leute führte zu personellen Mißgriffen und viel Schlamperei. So wurden wenige Monate vor dem NATO-Gipfel in Madrid im Juli 1997 der Verlust von Partnerschaftsdokumenten reklamiert. Darauf machte der Geheimdienst monatelang Schlagzeilen, weil er nicht nur politische Extremisten, sondern auch respektable Mitglieder der bürgerlichen Koalitionsparteien beschattete. Besonders peinlich war die Ausladung des ehemaligen Wiener Oberbürgermeisters Helmut Zilk, dem eine frühere Betätigung für den tschechischen Geheimdienst vorgehalten wurde, kurz bevor ihm Präsident Vaclav Havel eine hohe Auszeichnung verleihen wollte. Die Vorwürfe erwiesen sich angeblich als haltlos, Prag mußte sich entschuldigen. Dennoch werden sie immer wieder aufgewärmt, erst letzte Woche gab es entsprechende Meldungen. Der Auslandsgeheimdienst USZI fiel seltener unangenehm auf, weil er – wie man ironisch meinte - seine Mißgeschicke länger vertuschen konnte – wie zum Beispiel den Verlust eines Notebooks mit sensiblen Daten wie der Liste tschechischer Geheimagenten, Kontakt- und Finanzadressen sowie die Veruntreuung von Millionenbeträgen zur Bezahlung von Agenten. Und Ende Januar 1999 kurz vor der NATO-Aufnahme mußte der wichtigste Geheimdienstchef Karel Vulterin wegen angeblicher Rechtsbeugung und Schädigung der tschechischen Interessen gehen.

    Neben den erwähnten Skandalen verstärkte die Regierungsübernahme der Sozialdemokraten im Westen das Mißtrauen gegenüber Tschechien wegen der möglichen Reaktivierung alter Seilschaften. Ministerpräsident Milos Zeman wurde im Zusammenhang mit einer Parteispendenaffäre der Korruption beschuldigt, später aber von Polizei und Geheimdienst angeblich entlastet. Dem neuen Außenminister Jan Kavan, der in England im Exil gelebt hatte und Angehöriger der britischen Labour-Party war, wurden Kontakte zur kommunistischen Staatssicherheit nachgesagt. Zudem erregte er durch die Infragestellung der NATO-Mitgliedschaft seines Landes Aufsehen. Der neue tschechische Finanzminister Pavel Mertlik erklärte dreist, er habe keinen Grund, sich seiner früheren Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei zu schämen, und bekannte sich auch weiterhin zur "linken Ideologie".

    Das gesunkene Prestige der Bürgerlichen wie auch der Sozialdemokraten ging einher mit einem gefährlichen Anwachsen der Neokommunisten. Auch wandte sich während des Kosovo-Kriegs die Stimmung gegen die NATO. Präsident Havel versuchte den Unmut mit den Hinweis zu kitten, daß die tschechischen Geheimdienste doch durch ihre Präsenz in schwer zugänglichen Regionen wie zum Beispiel am Golf für den Westen von unschätzbarem auf Nutzen seien. Angeblich habe dieser Faktor bei der Einladung Tschechiens zum NATO-Beitritt eine Rolle gespielt.

    Das in ähnlich exponierter Lage befindliche Ungarn verfügt über eine überraschend hohe Zahl an Geheimdiensten, die alle samt nach der Wende aus der berüchtigten Staatssicherheit hervorgingen: nämlich das "Nachrichtenamt für Aufklärung" IH als wichtigster Geheimdienst, das für Abwehr zuständige "Amt für nationale Sicherheit" NBH sowie zwei militärische Geheimdienste. Hinzu kommt das "Amt für technologische Nachrichtenunterstützung", das die vier Geheimdienste mit der erforderlichen technischen Ausrüstung zur Informationsbeschaffung versorgt.

    Die Vielzahl der Dienste führte mangels gesetzlicher Regelungen immer wieder zu Kompetenzstreit. Erst 1995 trat ein Gesetz über die nationale Sicherheit in Kraft. Kritisiert wurde die mangelnde Loyalität der Geheimdienstler, was angesichts des hohen Anteils an alten Kadern aus der berüchtigten Staatsschutzabteilung nicht verwunderlich war. Der damalige Sicherheitsminister Istvan Nikolits verstieg sich sogar zu der Behauptung, daß die nationalen Interessen nicht einen Austausch des gesamten Personals zuließen.

    Die Reform des ungarischen Geheimdienstes wurde durch die Rückkehr der Postsozialisten an die Macht im Juli 1994 verzögert. Durch die Besetzung der Spitzenposten in den Geheimdiensten mit alten Kadern, Abhörskandalen und illegale Datensammlungen zur Diskreditierung der Opposition geriet die Regierung Gyula Horn ins Zwielicht. Trotz dessen Verdienste um die Öffnung des Landes verdichteten sich Vorwürfe wegen seiner kommunistischen Vergangenheit. So war Horn nach Angaben von Veteranen des Ungarnaufstands von 1956 an der Erschießung von Zivilisten nach Niederschlagung des Aufstands in Budapest beteiligt. Nach Ansicht der Opposition sei ein solcher Mann als Regierungschef untragbar. Ungarns Ruf als Reformland wurde außerdem durch das Ausmaß an Terror und Gewaltakten (seit 1991 über 140 Bombenanschläge) und den Einfluß der Mafia beeinträchtigt. Zugleich beunruhigten den Westen offenbar fortbestehende Kontakte der Ungarn zu Rußland.

    Es schien, als würde ab Juni 1998 unter der liberal-konservati-ven Regierung von Viktor Orban alles besser. Sie versprach einen kompromißlosen Kampf gegen das organisierte Verbrechen durch Säuberung der Polizei und Justiz, Schaffung von Spezialeinheiten. Im Hinblick auf die bevorstehende NATO-Aufnahme nahm Sicherheitsminister Laszlo Köver endlich auch die Reform des militärischen Geheimdienstes in Angriff. Ein im August 1998 bestellter Geheimdienstoordinator sollte die Arbeit effektiver machen. Auch hoffte man, mit westlicher Hilfe (zum Beispiel des FBI) die gefährliche Verquickung von krimineller Szene, Schwarzmarktelementen und politischer Elite eindämmen zu können. Doch neue Skandale dämpfen die Erwartungen. So wurde es russischen Hilfskonvois ermöglicht, während des Kosovo-Kriegs über Ungarn Raketenersatzteile nach Jugoslawien zu schmuggeln. Eine Schlüsselfigur der Russenmafia konnte Budapest ungehindert verlassen. Und wie eine Zeitbombe wirkt ein Kreditskandal der Ungarischen Postabank, in den über 100 Prominente verwickelt sind. Ein Risiko sind auch die vielen nicht enttarnten Agenten, die einst für den KGB arbeiteten.

    Noch vor dem Beitritt drängte die NATO die drei Kandidaten, ein Durchleuchtungsgesetz zu verabschieden, das die Überprüfung der Personen, die Zugang zu klassifiziertem NATO-Material haben, gestattet, und ein Amt einzurichten, das den Durchleuchtungsprozeß überwacht. Auch mußten sichere Kommunikationssysteme und Lagerungsstätten eingerichtet werden. In Ungarn wurden 600 Militärs und Zivilbeamte im Hinblick auf den Zugang zu NATO-Material überprüft. Ausgenommen wurde lediglich Ministerpräsident Orban. Von diesen haben nach Mitteilung des Direktors des Nationalen Sicherheitsamts nur 100 Beamte tatsächlich Zugang zu Material höchster Geheimstufe.

    Schon 12 Tage nach ihrem Beitritt zur NATO wurde die neuen Mitglieder durch Aufnahme den Beginn des Kosovo-Kriegs am 24. März einem Loyalitätstest unterzogen. Ungarn als einziges an Jugoslawien angrenzendes NATO-Mitglied fiel dabei eine Schlüsselrolle zu. Die ungarischen Geheimdienste vermerkten die wachsenden Aktivitäten jugoslawischer Spione bei der Beobachtung der beiden NATO-Basen in Ungarn sowie die Operationen der in jugoslawischem Besitz befindliche Firmen. Die ungarische Auslandsspionage konzentriert sich auf die von starken ungarischen Minderheiten bewohnten Nachbarländer Slowakei und Rumänien sowie auf die Risikoländer in Ex-Jugoslawien und im GUS-Raum. Ungarn verweist zudem auf seine alten Kontakte zu den Ländern des ehemaligen Ostblocks und der Dritten Welt wie Irak, Iran und Libyen, die zwar Risiken mit sich bringen, aber auch für den Westen von Nutzen sein können. Ende September 1999 trafen CIA-Chef George Tenet und FBI-Direktor Louis Freeh in Budapest mit Ministerpräsident Urban zusammen, um eine engere Kooperation zwischen den ungarischen und US-amerikanischen Geheimdiensten zu sprechen. Dabei ging es insbesondere um organisiertes Verbrechen, Geldwäsche, Aktivitäten der russischen Mafia und allgemeine europäische Sicherheitsfragen.

    Trotz der dargestellten Mängel haben die drei NATO-Neulinge Polen, Tschechien und Ungarn bei der Umstrukturierung des Nachrichtendienstwesen erhebliche Fortschritte gemacht. Die Aussicht auf die Aufnahme in die NATO gab dazu den erforderlichen Nachdruck. Risiken bleiben wegen des Fortwirkens diverser Seilschaften, Mafiagruppen und fremder Dienste. Defizite weisen aber auch die alten NATO-Mitglieder auf. Vor diesem Hintergrund fragen einige, was man soll von der sehr freundlichen Behandlung ehemaliger SED-Genossen durch westdeutsche Politiker und Medien halten, vom Verrat der NATO-Einsatzpläne an Jugoslawien durch Franzosen und von der Entwendung von Stasi-Akten durch die Amerikaner.