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Wie verletzlich der Mensch ist

Politische Gewalt ist ein zentrales Thema der Künstlerin Mona Hatoum aus Palästina. In ihrem Werk setzt sie sich mit dem menschlichen Körper und dessen Verhältnis zur jeweiligen Lebenswelt auseinander. Die Sammlung Goetz hat ihr eine Einzelausstellung gewidmet.

Von Christian Gampert | 21.11.2011
    Eine barfüßige Frau, von der man nur die Beine sieht, zieht ihre Militärstiefel hinter sich her, deren Schnürsenkel sie an ihre Fesseln gebunden hat. Das Foto ist ein Standbild aus einer frühen Performance von Mona Hatoum, aus den 1980iger Jahren, und es macht ein Programm auf: hier wendet sich jemand nicht nur so allgemein gegen den Krieg, hier ist jemand auch mit der eigenen Geschichte beschäftigt.

    Mona Hatoum stammt aus dem Libanon. Ihre christlich-palästinensischen Eltern waren aus Haifa geflüchtet; sie selber lebt in London. Die politische Gewalt wurde zu ihrem Lebensthema. Hatoum erzählt davon mit dem (eigenen) Körper, mit Aktionen, mit einer Re-Inszenierung ihrer Traumata und Verletzungen. Das sieht man in den Videos aus der Frühphase, wo geschlachtet und Blut geschrubbt wird; das sieht man aber auch in den später hinzugekommenen Skulpturen, den harten Betten, den vergrößerten und zu scharfkantigen Wandteilern umfunktionierten Haushaltsgeräten. Manchmal geht das bis zur Selbstkasteiung - wenn Hatoum uns ihr Innenleben, ihre Innereien mit einer endoskopischen Kamerafahrt darbietet: auf einem sorgfältig gedeckten Tisch steht ein Teller, der als Monitor funktioniert. Wenn man ihn betrachtet, dann erwartet einen kein schönes Essen, sondern ein Blick in den Verdauungstrakt. Oder Schlimmeres, meint Nina Holm von der Sammlung Goetz.

    "Ich find’s schon sehr abschreckend, an einem Tisch zu sitzen, zu Messer und Gabel zu greifen.. und im Endeffekt wird mir der Weg meines Essens schon vorgezeichnet. Man hofft natürlich, dass es nur der Schlund ist und keine andere Körperöffnung. Sie hat ja damals eine endoskopische Kamera in alle möglichen Öffnungen ihres Körpers einführen lassen."

    Der sich beim Zuschauer alsbald einstellende Ekel-Effekt ist das eine, die offensichtliche Naivität der Inszenierung das andere: der Blick auf den Teller als Blick in den Orkus, in die Gedärme – ist das nicht ein bisschen arg didaktisch und platt?

    Mona Hatoum hat dieses Video in den unterschiedlichsten Arrangements benutzt, und im Grunde speist sich die gesamte Münchner Ausstellung aus einem feststehenden Repertoire von Formeln, Metaphern, Bruchstücken, die in diversen Medien wiederholt werden. Die Schau in der Sammlung Goetz ist luftig inszeniert, sie führt über Fotos und Einzelobjekte in den oberen Räumen in einen unterirdisch gelegenen Teil mit Installationen, wo der elektrische Strom knisternde Geräusche macht, düstere Videos flackern und eine Weltkugel quasi in Flammen steht, mit blutrot leuchtenden Erdteilen. Das ist der berühmte "Hot Spot" von 2009; gleich daneben die Küchengeräte der documenta-Installation "Home" von 2002, die mit Glühbirnen zu einem wirklich lebensgefährlichen Stromkreis verbunden sind: bitte Abstand halten.

    Überzeugender als diese zumeist pathetischen Metaphern, die die Leiden der modernen Hausfrau mit den Leiden der unterdrückten Dritten Welt kurzschließen, scheinen die etwas bescheideneren Arbeiten, der stumme Schrei in dem frühen Video "So much I want to say", der harte Diwan aus schwarzem Stahl, der kalte Rollstuhl aus Messing, dessen Handgriffe aus Messern bestehen. Gerade die Skulpturen, oft verfremdete Haushaltsgeräte, sind Kippfiguren.

    "So ist es ja mit vielen Arbeiten von ihr. Ich seh etwas, das ist mir wohlvertraut, und wenn ich näher hingehe, dann stimmt irgendwas nicht. Ich finde, das löst auch so ein Unbehagen aus im Betrachter. Weil das wohlbekannte Dinge sind, die aber sone ganz komische Wendung nehmen."

    Viele der alten Aktionsvideos und auch manche der neuen Installationen spielen jedoch mit der Holocaust-Assoziation, mit Duschen, mit Stromkreisen, Kabeln, Drahtgittern, gesammelten Haaren und dergleichen. Sagen wir es so: zwischen Palästina und einem KZ bestehen gewisse Unterschiede, und eine Mittelstandswohnküche ist auch kein Schlachthaus. Mona Hatoums Wirkung ist eine eher theatralische. Im Kontext der Kunstgeschichte wirkt das alles sehr bemüht: Es ist konzeptuelle Betroffenheitslyrik.