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Wie viele sind wir?

Die Statistiker sind gespannt auf die tatsächliche Einwohnerzahl. Bei einem Testzensus im Jahr 2001 stellte sich heraus, dass gut 1,3 Millionen Menschen weniger in Deutschland leben als bisher angenommen. Die Kritiker des Zensus 2011 bemängeln, dass die Daten nicht anonym gespeichert werden und warnen vor Missbrauch.

Von Claudia Sanders | 06.05.2011
    Telefonansage der statistischen Ämter 1983:
    "Guten Tag. Sie hören eine Sonderansage der Statistischen Ämter zur Volkszählung. Die Zählung erfasst die gesamte Bevölkerung. Das sind schätzungsweise 61 Millionen Einwohner. Trotz aller Fortschritte in den statistischen Erhebungsmethoden und -techniken, geht das nur mit einer Totalzählung."

    "Hunderttausende von Bürgern und Bürgerinnen haben sich inzwischen zusammengefunden, die sich dieser Totalerfassung widersetzen wollen. Sie wollen durch einen Boykott der Volkszählung verhindern, dass am 27. April die Durchleuchtung, Überwachung und Verplanung des einzelnen Bürgers möglich wird."

    Ärgert sich im Jahr 1983 der Bundestagsabgeordnete Klaus Hecker von den Grünen über die geplante Totalzählung - allein schon wegen dieser Wortwahl regte sich Anfang der 80er-Jahre Widerstand in der Bundesrepublik. Zu Tausenden gingen die Gegner damals auf die Straße, riefen "Meine Daten könnt Ihr raten". Einige reichten damals auch Klage beim Bundesverfassungsgericht ein und bekamen Recht.

    Im Dezember 1983 entschieden die Karlsruher Richter, dass jeder Bürger ein Grundrecht auf "informationelle Selbstbestimmung" hat. Also jeder erfahren muss, welche Daten der Staat wann und wo über ihn speichert. Wenn das nicht der Fall sei, so die Richter, ändert der Mensch aus Vorsicht sein Verhalten. Das beeinträchtigt sowohl die Handlungsfreiheit des Einzelnen, als auch das demokratische Gemeinwesen. Denn nur ein selbstbestimmter Bürger kann auch demokratisch handeln, meinten damals die Karlsruher Richter.

    Das Urteil des Verfassungsgerichts stoppte den geplanten Zensus. Das Bundesdatenschutzgesetz musste grundlegend überarbeitet werden. Die Volkszählung fand erst vier Jahre später - 1987 - in geänderter Form statt. Zu diesem Zeitpunkt hat die Entscheidung zur informationellen Selbstbestimmung längst Rechtsgeschichte geschrieben. Sie bildet die Grundlage für die Arbeit der heutigen Datenschützer.

    Sabine Bechtold:
    "Ich war damals noch nicht in der Statistik tätig und war auch nicht als Befragerin unterwegs, sondern hab sie in Erinnerung als jemand, der befragt wurde. Der damals natürlich auch die Diskussionen mitbekommen hat und auch das Erstaunen darüber, als man dann den Fragebogen sah, worüber man sich eigentlich aufgeregt hat."

    Martin Ebeling:
    "Ich hab sie so in Erinnerung, dass ich mich noch grob erinnern kann, dass dieser Fragebogen bei uns zu Hause auf dem Tisch lag, damals war ich aber nicht volljährig, und ich gehe mal davon aus, dass meine Eltern das ganz vernünftig und ordnungsgemäß beantwortet haben."

    Sagen Martin Ebeling und Sabine Bechtold. Beide spielen beim Zensus 2011, der heutigen Volkszählung, eine wichtige Rolle. Sabine Bechtold arbeitet im Statistischen Bundesamt als zuständige Projektleiterin. Und Martin Ebeling ist einer der größten Kritiker. Er gehört dem Arbeitskreis Zensus an - einem bundesweiten Zusammenschluss von Initiativen, die akribisch beobachten, wie der Staat mit den Bürgerrechten umgeht.
    Mitglieder dieses Arbeitskreises hatten vor dem Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde gegen den Zensus 2011 eingelegt. Diese lehnten die Richter im vergangenen Jahr allerdings ab - da die informationelle Selbstbestimmung nicht gefährdet sei.

    Damit machte das Gericht den Weg frei für die erste gesamtdeutsche Volkszählung. Stichtag ist der kommende Montag. Rund 80.000 Interviewer ziehen dann durchs Land; in ihren Aktentaschen: Fragebögen und Kugelschreiber. So entschied es vor drei Jahren Brüssel.

    Auf europäischer Ebene wünschte man sich schon lange vergleichbare Daten über die Lebensverhältnisse aller EU-Bürger. Eine freiwillige Erhebung in den Mitgliedsstaaten aber musste vor zehn Jahren abgebrochen werden - mangels Interesse. Deutschland und Schweden zum Beispiel hatten gar nicht erst teilgenommen.

    Deswegen beschlossen das Europäische Parlament und der Rat im Jahr 2008 eine verpflichtende Regelung. Alle zehn Jahre - jeweils am Anfang des Jahrzehnts - soll es eine Volks- und Wohnungszählung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geben. Die erste folgt jetzt.

    In Deutschland regelt die Umsetzung das sogenannte Zensusgesetz, das von Bundestag und Bundesrat im Jahr 2009 verabschiedet wurde. Es bestimmt, welche Daten über die Fragebögen erhoben werden müssen, und welche nicht. Denn in Deutschland gibt es bereits viele verschiedene Datenbanken mit Informationen über die Bürger. Die aber bieten kein umfassendes Bild, erklärt Sabine Bechtold vom Statistischen Bundesamt:

    "Wir haben zum Beispiel zu den Erwerbstätigen keine Angaben für Selbstständige, keine Registerdaten zum Bildungsstand der Bevölkerung, die man sinnvoll auswerten könnte. Es gibt keine Registerinformationen über Gebäude mit Wohnraum, von daher gibt es einfach bestimmte Daten, die man nicht aus Registern nehmen kann. Dafür brauchen wir noch zusätzliche Befragungen."

    Besonders gespannt sind die Statistiker auf die tatsächliche Einwohnerzahl. Bei einem Testzensus im Jahr 2001 stellte sich nämlich heraus, dass hochgerechnet gut 1,3 Millionen Menschen weniger in Deutschland leben als bisher angenommen. Sollte die Zählung jetzt ähnlich gravierend abweichen, wird sich das direkt auf die Kommunen auswirken. Denn:

    "Die amtliche Einwohnerzahl der Gemeinde ist für ihren Finanzausgleich von großer Bedeutung, und wenn wir exaktere Zahlen haben, wird dieser Finanzausgleich gerechter. Das Geld wird dahin fließen, wo die Menschen leben, und nicht dahin, wo sie fälschlicherweise in der Statistik noch gezählt werden. Als Beispiel aus der letzten Volkszählung: Da hatte man ja dieselbe Situation, da hatte man danach aktuelle Zahlen, hat den Finanzausgleich auf die aktuellen Zahlen angepasst und alleine im ersten Jahr gab es ein Umverteilungsvolumen von umgerechnet etwa einer Milliarde Euro."

    Und so dürften manche Gemeindeväter - besonders in den neuen Bundesländern - schon mit Schrecken an die Ergebnisse der Volkszählung denken. Denn die Zahlen können sie bares Geld kosten. Je weniger Einwohner eine Stadt hat, umso weniger Steuergelder erhält sie über den kommunalen Finanzausgleich.

    Neben den finanziellen Folgen, wirkt sich der Zensus auch politisch aus. Denn die genaue Einwohnerzahl eines Bundeslandes entscheidet über die Sitzverteilung im Bundesrat. Hessen beispielsweise hat knapp über sechs Millionen Einwohner, dem Bundesland stehen damit fünf Sitze zu. Sinkt die Einwohnerzahl unter sechs Millionen verliert Hessen jedoch einen Platz in der Länderkammer - was auch den Einfluss der schwarz-gelben Landesregierung auf die Bundespolitik mindert.

    46 Fragen umfassen die Bögen für die Haushaltsstichprobe. Gedruckt sind sie auf zwölf lindgrünen Papierseiten, inklusive zwei Seiten eng beschriebener Rechtsbelehrungen. Welche Bundesbürger diese Fragebögen beantworten müssen, entscheidet laut Statistischem Bundesamt ein mathematisches Zufallsprinzip. Denn im Gegensatz zur Totalzählung in den 80er-Jahren soll es jetzt nur eine Stichprobe geben: Nur etwa zehn Prozent der Bürger sollen befragt werden. Nur zehn Prozent? Von wegen, rechnet Martin Ebeling vor:

    "Es sind alle, wirklich alle Wohnungs- und Gebäudebesitzer, ungefähr 17,5 Millionen Menschen in Deutschland, die werden vollständig befragt, müssen auch Auskünfte über ihre Mieter geben und deren Wohnungen. Zum Zweiten sind das diese zehn Prozent zufällig ausgewählte Menschen der gesamten Bevölkerung, diese Haushalte-Stichprobe. Und zum Dritten der Fragebogen für diese, wie ich finde sehr heiklen Sonderbereiche, das sind etwa noch einmal zwei Millionen Menschen. Das zusammen ergibt ungefähr ein Drittel der Bevölkerung."

    Umstrittener jedoch als die Zahl der Befragten, ist das ein oder andere Detail, welches die Bürger über ihre Lebensumstände preisgeben sollen. Denn abgefragt werden in Deutschland Informationen, die über den Fragenkatalog der Europäischen Union weit hinausgehen. Dazu gehört zum Beispiel die freiwillige Angabe, zu welcher Religionsgemeinschaft jemand gehört. Projektleiterin Sabine Bechtold erläutert:

    "Zunächst war es der Wunsch der Kirchen, die die Religion als weitere Frage noch dabei haben wollten, und man kam dann im parlamentarischen Verfahren zu dem Beschluss, dass man dann, wenn man die Religion abfragt, natürlich nicht nur nach den großen Kirchen abfragen kann, sondern dass man dann ein Gesamtspektrum der in Deutschland vorhandenen Religionen abfragen sollte."

    "Da war ich doch eher kritisch gewesen, ich hab auch eigentlich nicht eingesehen, wozu man diese Angabe auch wirklich als Pflichtangabe braucht."

    Bemängelt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar.
    Neben der Frage zur Religion hat er auch noch andere Kritikpunkte. Zum Beispiel werden die Daten nicht anonym gespeichert. Denn: Um nachzuprüfen, ob tatsächlich jeder befragt worden ist, notieren die Interviewer auf den Fragebögen noch eine Kennziffer. Darüber lassen sich zweifelsfrei der Name und die Adresse des Befragten zurück verfolgen. Später dann - so die Planung - sollen diese persönlichen Details gelöscht werden.

    Was sich in der Theorie gut anhört, führt in der Praxis zu großen Problemen, findet der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. Zensus-Kritiker Martin Ebeling ist gleicher Meinung. Denn es werden auch Daten von Menschen erhoben, deren Adressen aus gutem Grund geheim sind und auch geheim bleiben sollen. Es geht um die so genannten Auskunftssperren. Martin Ebeling erklärt, wer davon betroffen ist:

    "Alle Leute, die in Deutschland eine solche Auskunftssperre haben, weil sie im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms, weil sie Stalker-Opfer sind, weil sie die Richter sind, die irgendwie heikle Urteile mal gesprochen haben, weil sie vielleicht Nazi-Aussteiger sind, ehemalige V-Leute, die eine neue Existenz zugewiesen bekommen haben - alle diese Leute werden namentlich in diese Datenbank eingefasst, mit diesem Merkmal aufgeführt, und das macht diese Datenbank ziemlich heikel."

    Namen und Adressen, all das taucht dann in den Datenbanken der Statistiker auf und das kann - bei Missbrauch - und Datenklau brandgefährlich werden.

    "Da geht es eben nicht mehr um irgendwelche Kontonummern, Kreditkartennummern, die verloren gehen könnten, falls diese Daten mal rauskommen, sondern da geht es um Leib und Leben und Gesundheit von Menschen. Und die Behörden, das weiß ich, geben sich wirklich Mühe, die behaupten es zumindest, diese Daten zu schützen. Ich weiß aber auch, weil ich mit vielen Leuten aus dieser Branche, mit Hackern und IT-Technikern zu tun habe, dass das nie auszuschließen ist. Es gibt halt auch da dieses Restrisiko, und deswegen bin ich der Meinung: So eine Datenbank darf per se erst mal nicht entstehen."

    Dass dieser Personenkreis nun trotzdem Auskunft geben muss und in die Datenbank aufgenommen wird, ist auch für den Datenschützer Peter Schaar ein unhaltbarer Zustand. Eigentlich sei das nämlich anders geplant gewesen:

    "Dass die in diese Zehn-Prozent-Stichprobe nicht einbezogen werden. Aber jetzt stellt sich heraus, dass die statistischen Landesämter das doch machen, und sie sagen, sie begründen es damit, dass sie diese Personen nicht besonders kennzeichnen wollten. Das wäre ja auch eine Form von Stigmatisierung. Ich bin da doch eher skeptisch. Dann fragt man sich ja auch sofort, warum ist überhaupt die Tatsache, dass eine entsprechende Sperre vorliegt, an die Statistiker gegangen, wenn die Statistiker daraus doch keine Konsequenzen ziehen?"

    Und welche Vorsichtsmaßnahmen haben die Statistiker nun getroffen, um diese besonders gefährdeten Personen wie beispielsweise V-Leute oder Stalking-Opfer zu schützen? Bei dieser Frage wird Sabine Bechtold vom Statistischen Bundesamt unkonkret:

    "Die statistischen Landesämter, die die Befragungen durchführen, sind gehalten, besonders sensibel damit umzugehen, um auszuschließen, dass diese Personen gefährdet werden. Das funktioniert zum Teil auch damit, dass über diverse Kanäle diese Menschen informiert werden, dass es sein kann, dass sie befragt werden. Sie werden darüber ganz besonders aufgeklärt, wie sie reagieren sollen, wenn sich ein Interviewer bei ihnen ankündigt. Es muss zum Beispiel niemand einen Interviewer in die Wohnung lassen."

    Ob das tatsächlich jemanden in einem Zeugenschutzprogramm beruhigt? Wurde zudem eigentlich das Risiko bedacht, dass solche Personen auch über die so genannten "diversen Kanäle" von Dritten aufspürbar sind? Dritte, die nicht nur gute Absichten verfolgen.

    Der Zensus macht vor solchen Bedenken keinen Halt. Genauso wie vor sogenannten sensiblen Sonderbereichen. Gemeint sind etwa Haftanstalten. Auch hier wird eine genaue Auskunft erwartet, bemängelt der Bundesdatenschutzbeauftragte:

    "Also speziell in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Haftanstalten auch gezählt wird. Da hat das Bundesverfassungsgericht vor 25 Jahren, als es um die letzte Volkszählung ging, gesagt, dass sind besonders sensible Bereiche, und der Gesetzgeber hatte damals darauf verzichtet. Und ich kann nicht so richtig sehen, warum man damals darauf verzichten konnte und heute diese Angaben en Detail braucht."

    Frauenhäuser, Obdachlosenunterkünfte, Flüchtlingswohnheime oder psychiatrische Anstalten - auch sie zählen zu diesen sensiblen Orten. Name für Name wird in den Datenbanken vermerkt, wer sich dort aufhält. Alles Details, die die Betroffenen bestimmt nicht öffentlich machen wollen. Denn wer will schon gerne, dass Dritte wissen, wie lange man im Gefängnis oder der Psychiatrie war?
    "Bei den Sonderbereichen hat man gesagt, man wolle dann quasi als Kompensation für die besondere Sensibilität dieser Daten, die dort erhoben werden, dass jemand zum Beispiel sich in Haft befindet, die Daten möglichst schnell anonymisieren. Und nun stellt sich heraus, dass die Statistiker die entsprechenden Softwareprogramme noch gar nicht fertig haben."

    Personen, für die eine Auskunftssperre gilt oder die in sensiblen Bereich leben, sind keine verschwindende Minderheit. Etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen. Für die Statistikerin Sabine Bechtold aber kein Grund zur Besorgnis:

    "Die Sorge, dass wir diese Daten nicht schützen können, sowohl im Hinblick auf IT-Sicherheit oder im Hinblick auf Datenschutz, die nehmen wir natürlich sehr ernst. Wir haben natürlich auch hier große Anstrengungen unternommen. Zum einen ist es so, dass es unser tägliches Geschäft ist, Einzeldaten zu erheben. Es gab auch noch nie einen Datenskandal in der Statistik. Trotzdem haben wir jetzt für dieses Zensus noch eine Schippe drauf gelegt und haben gesagt: Wir müssen diesen Schutzbedarf dieser Daten noch höher ansetzten. Wir haben den höchsten Schutzbedarf."

    Doch absolute Sicherheit gibt es natürlich nicht. Das belegen nicht zuletzt die jüngsten Hackerattacken auf die Datennetze von Sony. Und: Wo Daten gesammelt werden, treten auch immer Begehrlichkeiten auf - manchmal von staatlicher Seite, wie den Sicherheitsbehörden, und noch öfter sind es Kriminelle, die Kontodaten missbrauchen. Das sei bei den Zensusergebnissen aber kein Problem, versichert die Projektleiterin beim Statistischen Bundesamt:

    "Einzeldaten fließen immer nur in die Statistik herein zum Zweck, dass wir ein statistisches Ergebnis produzieren. Es fließt nichts mehr als Einzeldaten in die Verwaltung zurück. Wenn wir im Rahmen unserer Fragen feststellen, dass wir an einer Adresse jemanden antreffen, der nach unseren Angaben dort gar nicht gemeldet ist, weil das Melderegister uns den nicht gemeldet hat, dann werden wir das berücksichtigen bei der Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl. Das Meldeamt erfährt von uns nichts."

    Die Ergebnisse des Zensus' 2011 sollen also auf den Festplatten der Statistik-Behörden verbleiben. Keine Informationen sollen nach außen gehen: zum Beispiel an die Ausländerbehörde oder das Finanzamt. Viele Bürger haben offensichtlich keine Angst um ihre Daten und vertrauen den Statistik-Ämtern. Sonst hätte sich wohl längst breiter Protest formiert - wie in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrtausends.""

    Heutzutage geht der Bürger mit den eigenen Daten locker, fast leichtsinnig um. In diesem Punkt sind sich Sabine Bechtold, Datenschützer Peter Schaar und Kritiker Martin Ebeling übrigens ausnahmslos einig: In den Zeiten von sozialen Netzwerken wie Facebook und Co., wo sogar intimste Details freiwillig veröffentlicht werden, finden es die meisten Bürger offenbar unproblematisch, auch dem Staat persönliche Daten anzuvertrauen. Das hätte sich bei der letzten Volkszählung wohl noch niemand vorstellen können. Martin Ebeling will trotzdem hart bleiben:

    "Ich werde, wenn Sie das so nennen wollen, boykottieren. Ich werde auf jeden Fall keine Antworten geben. Was dann passiert, werde ich abwarten."

    Eine Verweigerung kann teuer werden - wer seiner Auskunftspflicht nicht nach kommt, muss mit einem Bußgeld von bis zu 5000 Euro rechnen. Und wer sich dann dem Fragebogen noch immer verweigert, dem droht ein Zwangsgeld von bis zu 50.000 Euro.""

    Und apropos Geld: Schlug die Volkszählung 1987 mit etwa 760 Millionen Mark zu Buche, kostet das statistische Großprojekt heute fast das Doppelte, nämlich 710 Millionen Euro. Übrigens obwohl im Vergleich viel weniger Menschen befragt werden."

    Die ersten Fragebögen für die Haus- und Wohnungseigentümer liegen längst in den Briefkästen. Ab Montag klingeln dann die Interviewer an der Tür. Es sind rund 80.000 Freiwillige, die von den Städten und Gemeinden ausgewählt - oder vielmehr: händeringend gesucht wurden. Als dann auch noch bekannt wurde, dass die rechtsextreme NPD möglichst viele ihrer Mitglieder zum Interviewerdienst schicken wollte, reagierten die Verantwortlichen alarmiert - allerdings hilflos: Denn schnell war klar, es ist unmöglich, jeden der Interviewer auf Herz und Nieren zu überprüfen. Immerhin: Die Kommunen haben alle Fragesteller im Umgang mit den Bürgern geschult. Doch bevor der Interviewer klingelt, muss er sich schriftlich angemeldet haben. Und, so Peter Schaar:

    "Niemand muss den Zähler ins Haus lassen, man kann auch verlangen, dass die entsprechenden Angaben dann schriftlich gemacht werden. Diese Möglichkeit hat man, und wenn man da Bedenken hat, dann sollte man auch davon Gebrauch machen."

    Innerhalb von zwei Wochen müssen die Fragebögen wieder zurückgeschickt werden. Dann können die Statistiker die Datensätze auswerten. 18 Monate soll es dauern, bis das Statistische Bundesamt in Wiesbaden die neuen Einwohnerzahlen präsentieren kann. Und ein halbes Jahr später sollen auch alle anderen Ergebnisse veröffentlicht werden.

    Bleibt es bei 82 Millionen Bundesbürgern - oder sind wir weniger geworden? Vielleicht müssen bald neue Schulbücher gedruckt werden mit den aktuellsten Zahlen. Ob der Zensus auch Konsequenzen auf politischer Ebene hat, diese Frage wird sich wohl erst nach der neuen Datenlage beantworten lassen.