Freitag, 29. März 2024

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Katja Schönherr: "Marta und Arthur"
Dies ist kein Liebeslied

Über 40 Jahre lang sind Marta und Arthur ein Paar. Aber die beiden trennt weit mehr als nur ein großer Altersunterschied und ein gemeinsames Kind, dass Arthur nie wollte. Psychologisch versiert lotet Katja Schönherr in ihrem Debütroman aus, was Menschen aneinander kettet, obwohl die Liebe fehlt.

Von Christel Wester | 09.01.2020
Die Schriftstellerin Katja Schönherr und ihr Buch „Marta und Arthur“
Liebeshass-Spezialistin: Katja Schönherr erzählt eine Paargeschichte ohne Rosa-Wölkchen-Romantik (Foto: Politycki & Partner / Suzanne Schwiertz, Buchcover: Arche Verlag)
Katja Schönherr beginnt ihren Roman "Marta und Arthur" mit einem dramatischen Bild:

"Sie kommt kaum voran in diesem Wind, auf dem weichen Sand, und die Nässe ist längst durch das Stiefelleder gedrungen. Außer Marta ist kein Mensch unten am Strand. Über den Boden verteilt liegen Hunderte von verlassenen Panzern, abgebrochenen, dünnen Beinen, angespülten Scheren; ein Schlachtfeld toter Strandkrabben."
Böses Omen: Ein Strand voller toter Krabben
Wie ein böses Omen kündigt dieses "Schlachtfeld toter Strandkrabben" ein unheilvolles Geschehen an. Symbolhafter kann man einen Roman kaum anfangen.
"Der Wind schlägt Marta ins Gesicht, die Luft beißt kalt."
Natürlich hängen auch "schwere, grauschwarze" Wolken am Himmel - und dann heißt es:
"Auftakt eines tobenden Sturms."
Da hört man förmlich schon die pathetische Filmmusik im Hintergrund. Doch dieser erste Eindruck täuscht. Katja Schönherr wählt für ihren ersten Roman eine nüchterne, fast spröde Sprache, die untauglich ist für ein opulentes Melodram. Und die Autorin hat auch genau das Gegenteil geschaffen: Sie hat ihr Debüt wie ein strenges Kammerspiel aufgebaut. Die spärliche Handlung vollzieht sich weitgehend in einer Mietswohnung, die in einer fiktiven Kleinstadt am Meer liegt. Über vierzig Jahre lang haben Marta und Arthur hier gemeinsam gewohnt. Nun wacht Marta am Morgen nach ihrem 59. Geburtstag auf, umgeben von einer eigentümlichen Stille, die sie irritiert. Der rasselnde Atem auf der anderen Seite des Bettes ist verstummt. Arthur war lungenkrank, jetzt ist er tot. Es dauert eine Weile, ehe Marta das begreift. Dass jemand beim plötzlichen Tod eines nahestehenden Menschen nicht erwartungsgemäß reagiert, kann man sich gut vorstellen. Doch die Brutalität, mit der Marta den reglosen Körper Arthurs auf eventuelle Lebenszeichen untersucht, ist verstörend. Als er auf ihre erste Berührung nicht reagiert, boxt sie ihn mit Wucht in die Rippen und beobachtet den Leichnam mit einer eigentümlichen Gefühllosigkeit:

"Zwar wackelte sein Oberkörper kurz, das spürte Marta, aber es war eine marionettenartige Bewegung ohne Nachhall."
In Hass, nicht in Liebe, tief verbunden
Katja Schönherr inszeniert das Ende einer Paarbeziehung wie eine Groteske. Marta richtet Arthurs leblosen Körper auf eine Weise zu, die man als eine späte Rache deuten kann: Rache für ein verpfuschtes Leben. "In Hass verbunden, bis dass der Tod Euch scheidet", könnte über diesem Roman stehen. Marta und Arthur trennte weit mehr als ein großer Altersunterschied und ein Sohn, den sie bekam, obwohl er kein Kind wollte. Martas makabrer Umgang mit dem Leichnam wird begleitet von ihren Erinnerungen, in denen sie ihr gesamtes Leben noch einmal durchschreitet. Denn anders als der Titel "Marta und Arthur" vermuten lässt, ist Marta die alleinige Hauptfigur dieses Romans. Die Geschichte wird ausschließlich aus ihrer Perspektive erzählt. Dies geschieht bruchstückhaft, in kurzen Abschnitten, die zwischen zwei Zeilen und drei Seiten lang sind. Dabei springen die Zeitebenen ständig hin und her. So entsteht ganz allmählich das Psychogramm einer schwer traumatisierten Frau. Marta wächst in einem Alkoholikerhaushalt auf, der Vater stirbt früh an den Folgen der Sucht. Die nun alleinerziehende und ebenfalls trinkende Mutter lässt zu, dass ihr Liebhaber ihre Tochter missbraucht, um sie anschließend zu beschimpfen.
"Du bist ein fickriges Luder, weißt du das?"
Der Missbrauch steht indessen nicht im Vordergrund des Romangeschehens, sondern ist nur unterschwellig präsent. In der Schule ist Marta eine Außenseiterin. Als sie 17 ist, taucht Arthur auf, ein 16 Jahre älterer Referendar auf seinem zweiten Bildungsweg. Er hospitiert in Martas Klasse und setzt sich zielsicher neben sie:
"Bei dir hier ist frei, gell?"
Beide scheinen magisch voneinander angezogen, aber zugleich auch abgestoßen.
"Da sah sie es: das Blitzlicht seiner eisbonbonblauen Augen. Es schnappte zu. Es fing sie ein. Es blendete."
Gefangen vom "Blitzlicht seiner eisbonbonblauen Augen"
Marta wittert die Gefahr und sucht doch Arthurs Nähe. Er verführt sie, hält sie aber gleichzeitig so lange auf Distanz, bis sie volljährig ist. Dann schnappt die Falle zu: Martas und Arthurs Beziehung entwickelt sich zu einer zwanghaften Symbiose. Es bieten sich Auswege an, doch keiner von beiden schafft den Absprung. Stattdessen belauern sie sich gegenseitig, quälen einander.

Katja Schönherr hat einen Anti-Liebesroman geschrieben, dessen bedrückende Atmosphäre schwer auszuhalten ist. Unwillkürlich entwickelt man eine Abwehr gegen die Lektüre, die man dennoch nicht aus der Hand legen kann. Denn Katja Schönherr arbeitet erzähltechnisch höchst raffiniert, indem sie Dinge zuerst nur andeutet, dann später erneut aufgreift, die Leerstellen aber nie komplett füllt. Auf diese Weise erzeugt sie nicht nur Spannung, sondern sie wirft auch Fragen auf, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt. So lässt sich am Ende nicht sagen, wer in dieser Beziehung Opfer - und wer Täter ist. Stattdessen fragt man sich, was diese beiden Menschen zueinander treibt und was sie aneinanderkettet. Zugleich aber wird Martas Missbrauchs-Trauma keineswegs relativiert, im Gegenteil. Psychologisch versiert führt Katja Schönherr am Beispiel Martas vor, wie Verdrängung funktioniert. Gerade deshalb zeigt ihr Roman sehr subtil, wie eine Missbrauchserfahrung einem ganzen Leben einen prägenden Stempel aufdrückt. Damit ist der Autorin ein starkes Debüt gelungen.
Katja Schönherr: "Marta und Arthur". Roman
Arche Verlag, Hamburg. 235 Seiten, 20 Euro