Umbettung von Deutschland nach Polen

Heimkehr eines NS-Widerstandskämpfers

Porträt des NS-Widerstandskämpfers und evangelischen Bischofs in Polen Juliusz Bursche.
Mit höchster Auszeichnung posthum geehrt: der NS-Widerstandskämpfer und evangelische Bischof in Polen Juliusz Bursche. © Sebastian Engelbrecht
Von Sebastian Engelbrecht · 28.11.2018
Juliusz Bursche gilt heute in Polen als Nationalheld. Der polnische evangelische Bischof starb 1942 in Berlin an den Folgen seiner Haft im KZ Sachsenhausen. Nun wurden die Überreste, 76 Jahre nach seinem Tod, nach Warschau überführt.
"Protokoll nach Durchführung invasiver archäologischer Ausgrabungen zwecks Exhumierung sterblicher Überreste des verstorbenen Juliusz Bursche."
In einer Verwaltungsbaracke des Friedhofs Berlin-Reinickendorf steht eine schwarze Urne auf dem Esstisch. Arkadiusz Lisowski, Sprecher der Nachfahren von Bischof Juliusz Bursche, steht am Kopf des Tisches und verliest ein Protokoll: Die Grabung am 19. Oktober 2018 von 9 bis 16 Uhr habe nichts ergeben. Dr. Andrzej Ossowski von der Medizinischen Universität Stettin, ist bereits unverrichteter Dinge abgereist. Die Geräte für geomagnetische Messungen, das Georadar konnten nichts nachweisen. Deshalb befindet sich in der Urne auf dem Tisch gewöhnliche Erde vom Friedhof, die eben abgefüllt wurde.
"Das entnommene Material wurde entsprechend der geltenden Vorschriften gesichert und wird entsprechend den Bewilligungen des Bezirksamtes Berlin-Reinickendorf, der Botschaft der Republik Polen in Berlin sowie der Präsidentin der Hauptstadt Warschau nach Warschau überführt, wo es im Familiengrab bestattet wird."

"Der Erinnerung an ihn sollte kein Ort belassen werden"

Einen Monat und fünf Tage später, am 24. November, steht die Urne in einem schwarzen Kasten inmitten der Warschauer Trinitatis-Kirche, einem strahlend weißen klassizistischen Rundbau im Stadtzentrum, umgeben von spiegelglatten Marmorfliesen und gelbgoldenem Stuck. Der Berliner Pfarrer Bernd Krebs verliest stellvertretend für den Bischof von Berlin-Brandenburg, Markus Dröge, ein Grußwort an 150 Polen und Deutsche im Raum.
"Als die SS am 28. Februar 1942 die Urne mit den sterblichen Überresten von Juliusz Bursche auf dem Städtischen Friedhof in Berlin-Reinickendorf vergraben ließ, sollten alle Spuren verwischt werden. Die Nationalsozialisten wollten nicht nur sein Lebenswerk zerstören. Der Erinnerung an ihn sollte kein Ort und kein Raum belassen werden."

Mit höchster Auszeichnung Polens geehrt

Juliusz Bursche wird in Polen verehrt – nicht nur von Protestanten. Zum 100. Jahrestag der polnischen Unabhängigkeit am 11. November erhielt Bursche posthum die höchste Auszeichnung des Staates: den Orden des Weißen Adlers.

Die Vorfahren Bursches waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus Sachsen nach Polen eingewandert. Trotz seiner Herkunft war er überzeugt, dass der Protestantismus in Polen nur dann eine Chance haben würde, wenn er die Sprache der Menschen spricht.
Deshalb wehrte er sich gegen die Kräfte in der Kirche, die das Luthertum als Bastion des deutschen "Volkstums" in Polen verstanden. Für diese Haltung hassten ihn die Nationalsozialisten.
Am 3. Oktober 1939 nahm ein Einsatzkommando des Sicherheitsdienstes Bursche in Lublin fest. Zehn Tage später wurde er ins Reichssicherheitshauptamt nach Berlin gebracht und wochenlang immer wieder verhört. Am 22. Januar 1940 kam Bursche ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Im Februar 1942 starb er mit fast 80 Jahren im Polizeikrankenhaus in Berlin.

Gegen Nationalismus und Chauvinismus

Piotr Gaś, Pfarrer an der Trinitatiskirche in Warschau, führt durch den Gedenkgottesdienst. Mit dem symbolischen Begräbnis Bursches, wünscht sich Gaś, soll auch ein Neuanfang im polnisch-deutschen Verhältnis markiert werden.
"Ich finde, der heutige Tag ist nicht nur Abschied, aber auch eine Probe, ein sehr hartes und schweres Kapitel zu schließen in der Geschichte der evangelisch-lutherischen Kirche in Polen, aber auch in den Beziehungen zwischen evangelischen Kirchen in Deutschland und in Polen."

Auf keinen Fall, meint Piotr Gaś, dürfe die Rückkehr Bursches im polnisch-nationalistischen Sinne gedeutet werden.
"Bischof Bursche hat ganz deutlich wörtlich das ausgedrückt, dass er gegen deutschen und gegen polnischen Nationalismus und Chauvinismus ist. Also gegen gottlose Ideologien, die wir auf beiden Seiten manchmal beobachten können, damals und ab und zu heute. Deswegen, wenn wir über Bursche nachdenken, müssen wir sagen: Es kommt wieder in das Vaterland, nach Polen, jemand, der als Zeuge immer gegen Nationalismus war – auf beiden Seiten, auf der deutschen und auf der polnischen Seite."
Die Leitung der evangelischen Kirche in Polen hat genau darauf geachtet, dass die Erinnerung an Juliusz Bursche nicht vom polnischen Staat für seine Interessen genutzt wird. Kein Regierungsvertreter ist eingeladen. Der Urenkel des Bischofs, Juliusz Gardawski, ist froh darüber.
"Es gab einige Anzeichen dafür, dass man versucht hat, das Erbe dieses Mannes zu instrumentalisieren. Aber gegenwärtig bin ich sicher, das da nichts Unpassendes in dieser Hinsicht geschieht."
Symbolisches Begräbnis Juliusz Bursches nach einem Gedenkgottesdienst in der Trinitatiskirche in Warschau.
Symbolisches Begräbnis Juliusz Bursches nach einem Gedenkgottesdienst in der Trinitatiskirche in Warschau.© Sebastian Engelbrecht

Ein Manifest des polnischen Luthertums

Zwei Mal ertönt während der Trauerfeier Frederic Chopins Mazurka in h-moll. Ein Sprecher im schwarzen Anzug verliest Zitate aus Predigten und Briefen des Bischofs.
"Ich war sehr tief bewegt von der Zeremonie, insbesondere von den Worten meines Urgroßvaters von 1932, die für das polnische Luthertum sehr wichtig sind. Ein Manifest des polnischen Luthertums. Sehr bewegt war ich auch von den Worten aus dem Gefängnis Sachsenhausen."
Juliusz Gardawski, 70 Jahre alt, Professor für Volkswirtschaft in Warschau, hält auf der kurzen Autofahrt zum Friedhof am Blumenladen.
Auf dem Friedhof stehen schon elf Pfarrer und Bischöfe und eine gemischte Gemeinde aus Polen und Deutschen am Grab. Gardawski kommt zu spät.
"Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub", spricht Jerzy Samiec, Bischof der Evangelischen Kirche Polens. Er steht an einem leeren Grab, das schon seit Jahrzehnten existiert – als Symbol, als Gedenkstätte. Die schwarz glänzende Grabplatte ist zur Seite geschoben. Ein Friedhofsarbeiter legt den schwarzen Kasten mit der Erde aus Berlin-Reinickendorf in das von Stein umrandete Grab. Später sagt Bischof Samiec:
"Wir wollen heute nur sagen: Wir sprechen jetzt nicht über den Zweiten Weltkrieg oder über diese Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Wir wollen jetzt über die Zukunft und heutige Tage sprechen."
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