Berlin Art Week

"Meine Pupillen vibrieren deluxe“ – Vom Versuch, Kunst zu kaufen

56:09 Minuten
Die Ausstellung "Bettina Pousttchi. In Recent Years" in der Berlinischen Galerie, die im Rahmen der Berlin Art Week eröffnet wurde. Zu sehen sind verschiedene Darstellungen von Uhren in schwarzweiß.
Die Ausstellung "Bettina Pousttchi. In Recent Years" in der Berlinischen Galerie, die im Rahmen der Berlin Art Week eröffnet wurde. © imago images/snapshot-photography/F.Boillot
Von Thorsten Jantschek · 15.09.2019
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Die „Art Week“ in Berlin ist ein Event. Zwei Kunstmessen und Galerieöffnungszeiten bis in die späten Abendstunden. Thorsten Jantschek macht sich auf die Suche nach einem Kunstwerk, das an eine ganz bestimmte Wand in seinem Büro passen soll.
Rechts von meinem Schreibtisch im Büro ist noch eine Wand, an der kein Bild hängt. Tatsächlich sammele ich ein bisschen. Kunst, zumeist zu erschwinglichen Preisen. Und wann wäre der Moment besser geeignet, ein neues Werk zu suchen, als während der Berlin Art Week. Einem der beiden jährlichen Kunstevents in der deutschen Stadt, in der die meisten Künstler leben und in der es die meisten Galerien gibt. Begleiten wird mich der Bremer Künstler und Freund: Christian Haake. Als Künstler hat er oft einen anderen Blick auf Kunst und Markt als ich. Wir beginnen mit den Messen, der Hauptmesse "Art Berlin" und der Nebenmesse, den "Positions".

Ein junger Bekannter

Als erstes verschlägt es mich an den Stand von "Maus Contemporary", einer Galerie aus den USA, wo ich Gemälde des jungen Berliner Malers Felix Becker sehe, der schon einmal in "Stunde1" zu Gast war. Abstrakte Ölbilder, die in ihrer großen Sinnlichkeit und dennoch formalen Strenge eine große Anziehung auf mich ausüben und mir ziemlich gut vertraut sind. Galerist Guido Maus schaut sich das Foto meiner Bürowand genau an. Er glaubt, anders als ich das erwartet habe, dass es am Ende ein kleines, hochformatiges Bild sein könnte, das hier am besten wirkt.


1200 Euro soll ein schönes türkisfarbenes Bild kosten, abbezahlen könnte ich langfristig. "Wir sehen ja, dass die meisten Sammler 60 bis 80 Jahre alt sind. Da hat der Markt ein ungesundes Vakuum kreiert", meint Guido Maus, "jüngere Sammler haben gar nicht erst angefangen zu sammeln, weil das so elitisiert wird." Da müssten Galerien eben großzügig sein.
Eine weiße Wand in einem Büro. Links steht ein Regal mit Büchern. 
Wand sucht Bild! Hier soll das Kunstwerk zukünftig hängen.© Deutschlandradio / Thorsten Jantschek

Große Kunst für kleines Geld?

Nur einen Steinwurf weit entfernt von der Galerie "Maus Contemporary" geschieht etwas Merkwürdiges: Sechs Leute stehen gut gelaunt hinter einem hüfthohen Schrank mit unendlich vielen Schubladen, holen Boxen heraus mit Kunstwerken, zeigen sie lustvoll vor. Schöne Kunst ist da zu sehen, von bekannten und unbekannten Künstlerinnen und Künstlern. "oqbo" – so nennt sich ein "Projektraum für Bild, Wort und Ton". Betrieben wird er von sechs Künstlern, die hier mit Herzblut die eigenen Werke und die der von ihnen vertretenen Künstler zeigen und dabei mit Sammlern ins Gespräch kommen.


Im Gegensatz zu den Galerien rundherum ist das hier eine lässige, demokratische Atmosphäre, weil jeder, der möchte, auch in den Schachteln der Künstlerinnen und Künstler selbst nachschauen darf, mit weißen Stoffhandschuhen freilich. "Erst mal geht’s darum", so die Künstlerin und Mitbetreiberin des Projektraums Seraphina Lenz, "über Kunst ins Gespräch zu kommen." Jenseits des Marktes, jenseits der Spekulationsobjekte, die Kunstwerke ja auch sind: "Es gibt eine Qualität von Kunst, die unabhängig davon stattfindet."
Am Stand des Künstlerkollektivs "oqbo". Menschen stehen in einer Halle und schauen sich Kataloge an.
Am Stand des Künstlerkollektivs „oqbo“.© Deutschlandradio / Thorsten Jantschek
Und das stimmt. Hier kann ich in jedem Fall etwas für mein Büro finden, wenn nicht nach über zwei Stunden auf den Messen nicht das Gefühl hätte, gar nichts mehr zu sehen. "Meine Pupillen vibrieren deluxe", raunt mir mein Begleiter, der Künstler Christian Haake, zu. Genauso ist es! Glücklicherweise treffe ich Elke Buhr, Chefredakteurin des Kunstmagazins "Monopol". "Was dann hilft", rät sie, "ist, wieder anzuhalten und mit den Galeristinnen und Galeristen zu reden, weil die einem eine Geschichte erzählen, dann macht man eine Pause, bekommt einen Kontext zur Kunst und sieht dann auch wieder etwas."

Irgendwas passiert immer!

Und genau diesen Rat befolge ich. Lasse mich durch die Messe "Art Berlin" treiben und werde elektrisiert angezogen von einem Stand, der selber Kunst zu sein scheint. Ein riesiges düster verrätseltes Bild erstreckt sich über die ganze Wand der Düsseldorfer Galerie Pfab, auf der noch dazu einzelne Fotografien gehängt sind. Eine eindrucksvolle Präsentation der Künstlerin Astrid Busch, die sich sehr konkret mit der vom zweiten Weltkrieg erschütterten Stadt Le Havre auseinandersetzt. Sie schichtet Bilder übereinander, fotografiert neu und so entstehen fast abstrakte Fotografien.
"Man kann dann gar nicht mehr entschlüsseln, was das einzelne Motiv einmal war", so Galerist Rupert Pfab, "aber die Assoziation: Krieg, Hafen, Metall – das bleibt!" Er wolle, so der Galerist, mit dieser Einzelausstellung ein Statement in diesem Messerummel setzen, damit die Galerie aus Düsseldorf auch in Berlin wahrgenommen werde. Mit den ganz großen Verkäufen rechne er nicht, aber: "Irgendwas passiert immer!" Mit dieser positiven Einsicht und einer für mich neuen Künstlerin auf meiner persönlichen Watchlist ziehe ich weiter. Und werde nicht weit davon entfernt erneut wie magisch angezogen.

Eine echte Entdeckung!

Von weitem sehen sie noch aus, wie Bilder aus der minimalistischen Tradition oder wie Bauhausstudien. Beim Näherkommen erkennt man, das die formale Strenge, die der niederländische Künstler Bram Braam in der Galerie Burster (Karlsruhe/Berlin) erzeugt, eigentlich aus gebauten Alltagsmaterialien entsteht, gefundenen Holzstücken, Baustoffen, die er in der Umgebung seines Ateliers in Berlin sammelt. Und die dadurch auch so etwas wie eine Geschichte des gelebten Lebens erzählen, dessen was als Gebäude abgerissen wurde, als Wohnung samt der Bewohner verschwunden ist.

Kunswerk des niederländischen Künstlers Bram Braam in der Galerie Burster. Zu sehen ist ein Werk gebaut aus Alltagsmaterialien: gefundenen Holzstücke und Baustoffe.
Kunswerk des niederländischen Künstlers Bram Braam in der Galerie Burster.© Deutschlandradio / Thorsten Jantschek
"Damit spielt er natürlich", so Galeristin Rita Burster, "aber diese Materialien behalten natürlich ihre Geschichte, auch wenn er diese in einem anderen Kontext zeigt." Dieser Künstler ist eine echte Entdeckung für mich, vielleicht nicht für mein Büro, aber für mein Gedächtnis. Und schon komme ich mit diesem jungen gepiercten Mann ins Gespräch. Eigentlich sei so eine Messe nichts für Künstler, höre ich oft. Schließlich werde das, was im Atelier entsteht, hier ganz offensichtlich zur reinen Ware. Wie das für ihn ist, will ich von Bram Braam wissen. Der bleibt entspannt: "Als Künstler machst du das ja auch, um auszustellen und willst, dass viele Leute das sehen." Er sei gespannt, wie die Reaktion der Leute ist. Meine jedenfalls ist enthusiastisch.

Kunst an der Grenze zum Nichts

Wenig geschlafen, viel gegoogelt, ich treffe mich am nächsten Tag mit Christian Haake zum Gallery Hopping, zu einer ausschweifenden Tour durch die Topgalerien der Stadt. Aber schon nach kurzer Zeit wird klar: So komme ich meinem Ziel, ein Bild für mein Büro zu finden, keinen Schritt näher. Zu groß alles, zu elitär, zu teuer! Nach etlichen monomentalen Ausstellungen landen wir im Bezirk Berlin Tiergarten – mittlerweile ein Hotspot der Berliner Galerienszene.
Ausstellungsansicht der Galerie Aurel Scheibler mit Werken von Tom Chamberlain.
Ausstellungsansicht der Galerie Aurel Scheibler mit Werken von Tom Chamberlain.© Courtesy Galerie Aurel Scheibler Berlin/Gunter Lepkowski
Und plötzlich kommen wir bei all dem Trubel in die Galerie Aurel Scheibler in eine ungewohnte Situation: Wir sind alleine dort. Alleine mit der Kunst des Britischen Künstlers Tom Chamberlain. Ein wahrer Raum der Stille, erzeugt von den Gemälden und Aquarellen, die so zurückhaltend sind, dass diese Kunst beinahe an der Grenze zum Nichts stattfindet. Zartester Farbauftrag, kaum zu sehen, oder ein Bild, das von weitem aussieht, als wäre auf einem Blatt Papier schlicht nichts zu sehen. Erst wenn man ganz nahe herantritt, erkennt man, dass es von einem feinen Netz von Linien überzogen ist. Fantastisch! Doch leider fürs Büro zu teuer.

Stunde1 – Stunde der Entscheidung

Gut, ich habe jetzt zwei Nächte darüber geschlafen, habe immer wieder an die Editionen des sympathischen Kollektivs von "oqbo" gedacht, aber mich dann doch für ein Gemälde von Felix Becker entschieden, für ein Werk, das es nur einmal gibt, das kleine Bild in türkis. Ja, das soll ins Büro, das soll an diese Wand, die letzte freie Wand. Nur leider habe ich den Galeristen – als ich die Sendung produziert habe – telefonisch nicht erreicht. Ob es nicht vielleicht schon verkauft ist?
Ein Bild in Türkis.
Das Bild, das es schließlich geworden ist: Felix Becker, o.T. 2019.© Deutschlandradio / Thorsten Jantschek
(Am Ende habe ich ihn doch erreicht, das Bild wird mir gehören, wenn es irgendwann einmal abgezahlt ist, ich bin glücklich, und pleite!)
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