Dienstag, 19. März 2024

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Wiederaufbau von Palmyra
Prähistoriker warnt vor Aktionismus

Der syrische Altertumsforscher Mamoun Fansa hat vor einem undurchdachten Wiederaufbau der von Regierungstruppen zurückeroberten Oasenstadt Palmyra gewarnt. Man müsse verhindern, dass in irgendeiner Form ein "Disneyland" errichtet werde, sagte er im Deutschlandfunk. Erst einmal müsse es eine Bestandsaufnahme geben.

Mamoun Fansa im Gespräch mit Thielko Grieß | 29.03.2016
    Der syrische Prähistoriker Mamoun Fansa.
    Der syrische Prähistoriker Mamoun Fansa auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2011. (dpa-Bildfunk / Ingo Wagner)
    Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad hatten die antike Oasenstadt am Wochenende wieder erobert. Zuvor hatte die Terrormiliz "Islamischer Stadt" das Unesco-Weltkulturerbe eingenommen und mitgeteilt, dass sie historische Bauten zerstört hätten. Inzwischen aber ist klar, dass die Zerstörung geringer ausfällt als befürchtet.
    Altertumsforscher Mamoun Fansa sagte, anhand der Fotos sei sichtbar, dass man an einen Wiederaufbau denken könne. Er warnte aber vor Aktionismus. "Man muss darüber nachdenken, was man genau macht." Eine Bestandsaufnahme sei unheimlich wichtig.
    Ein Problem sei, dass das Personal in der syrischen Antikenverwaltung ständig wechsle. Der aktuelle Direktor zeige allerdings viel Kooperationsbereitschaft, sagte Fansa. Zudem müsse die Bevölkerung miteinbezogen werden. Bisher gebe es bei vielen Menschen kein Bewusstsein für das Kulturerbe. "Man muss das behutsam wieder aufbauen und kein Disneyland in irgendeiner Form herstellen."

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Wer einst vom Mittelmeer zum Euphrat reiste in den Zeiten, als es noch zu Fuß oder mit Eseln vorwärts ging, der brauchte irgendwann Wasser. Und eine der wenigen Möglichkeiten, Wasser zu schöpfen, war die Oase Palmyra. Sie liegt heute im Zentrum Syriens, jedenfalls ungefähr. Um die Oase herum war eine Stadt gewachsen, vom einstigen Wohlstand zeugen die Ruinen. Im trockenen Klima dieser Gegend haben sie die Jahrhunderte überdauert, Archäologen haben sie in den vergangenen Jahrzehnten ausgegraben, jedenfalls die meisten. Und dann kam der Mai 2015 im vergangenen Jahr, der Rückzug syrischer Regimetruppen und das Einrücken des sogenannten Islamischen Staates, der Palmyra besetzt hatte und danach, im Sommer, etliche antike Bauwerke gesprengt hatte, außerdem Götterskulpturen pulverisiert hat. Am vergangenen Wochenende erklärte nun die syrische Armee, sie habe den IS aus Palmyra vertrieben. Und manch einer, zum Beispiel die Weltkulturerbe-Organisation UNESCO, spricht bereits vom Wiederaufbau der Stadt. Im syrischen Staatsfernsehen waren etliche Bilder zu sehen, ein Reporter des syrischen Staatsfernsehens hat seine Eindrücke so geschildert:
    O-Ton Reporter: Das ist das Museum in Palmyra. Wir betreten jetzt das Gebäude und wir sehen hier zerstörte Monumente, zerstörte Statuen, darunter die Statue der Göttin Athene.
    Grieß: Ein Reporter des syrischen Staatsfernsehens. Jetzt bin ich verbunden mit Mamoun Fansa, in Aleppo geboren und dann in Deutschland lange Jahre Direktor des Landesmuseums Natur und Mensch in Oldenburg gewesen, inzwischen pensioniert lebt er in Berlin. Herr Fansa, guten Morgen!
    Mamoun Fansa: Guten Morgen!
    "Ich freue mich, dass diese Zerstörung nicht so stark ist, wie es uns nach dem Einmarsch von ISIS gezeigt wurde"
    Grieß: Inzwischen gibt es ja auch Berichte, Palmyra sei nicht so schwer zerstört, wie manche befürchtet hatten. Hat Ihr Herz daraufhin einen Sprung gemacht?
    Fansa: Ja, das hat es auch. Aber ich freue mich eigentlich auch einerseits, dass Palmyra befreit ist, ich freue mich auch wirklich deshalb viel mehr, als ich die Bilder gesehen habe gestern, dass diese Zerstörung nicht so stark ist, wie es uns auch nach dem Einmarsch von ISIS gezeigt wurde. Und das ist für mich eine große Freude, dass es nicht so weit zerstört ist, dass man überhaupt nicht mehr an Wiederaufbau denken kann, sondern das gibt uns Mut, doch mal darüber nachzudenken, wie das aufgebaut wird.
    Grieß: Würden Sie denn sagen, dass Palmyra jetzt gerettet ist? Denn die syrische Armee, die dort jetzt das Kommando führt, ist ja für ihre denkmalpflegerischen Aktivitäten auch nicht bekannt.
    Fansa: Ja, das ist natürlich nicht unser Problem, weil wir wissen, dass bei allen Kriegen … Es gibt ja keinen Krieg, auch ein böser Krieger oder ein guter Krieger … Also, wenn Krieg ausbricht, dann gibt es überhaupt gar keine Grenzen. Wir sehen auch in Aleppo und woanders, dass Krieg auch mehr zerstört, direkt durch Zerstörung wie ISIS oder auch direkt durch Kriegshandlungen haben wir natürlich immer wieder Probleme, die überhaupt nicht kontrolliert werden können. Aber der Wiederaufbau in Palmyra ist natürlich eine Sache für sich, wo viele auch darüber sprechen und wer alles eigentlich auch mit aufbauen will … finde ich, das ist ein Aktionismus erster Klasse.
    Grieß: Ein Aktionismus, haben Sie gerade gesagt?
    Fansa: Ja.
    Grieß: Warum ist es Aktionismus, wenn man jetzt schon von Wiederaufbau spricht?
    Fansa: Ja, man sollte wiederaufbauen, aber nicht so, wie die Engländer gedacht haben, wir bauen den Triumphbogen mitten in London, oder die Japaner bauen das digital irgendwo anders. Und das finde ich also auch … Dieses Ausschlachten, Zerstörung von Kultur für politische oder sonstige Informationszwecke, finde ich nicht geeignet. Man muss wirklich in Ruhe darüber nachdenken, wie so ein Aufbau vor sich geht, und vor allen Dingen auch bestimmte Dinge, was man da eigentlich auch machen … Also zuerst ist eigentlich so eine Bestandsaufnahme unheimlich erforderlich, bevor man da richtig loslegt.
    "Es ist wichtig, dass internationale Experten die syrische Antikenverwaltung beraten"
    Grieß: Sie warnen, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Fansa, vor einem Wettlauf sozusagen darum, wer als Erster Palmyra wieder aufbauen darf. Und Sie sagen, wenn man Palmyra überhaupt – oder die zerstörten Teile – wiederaufbauen will, dann muss man was beachten?
    Fansa: Ja, also, zuerst eine Bestandsaufnahme machen, was ist eigentlich zerstört, und das Zweite ist auch, dokumentieren und gucken, dass das alles da ist. Und vor allen Dingen natürlich auch der Zerstörungsprozess da mal vor sich … dass man auch rekonstruieren kann, das ist auch sehr wichtig für Leute, die bewusst eigentlich auch diese archäologischen, denkmalpflegerischen Tätigkeiten … nach Plan auch arbeiten und nicht einfach irgendwie loslegen. Dann auch ist wichtig, dass internationale Experten auch die syrische Antikenverwaltung beraten. Das ist eine Sache, die auch nicht jeden Tag passiert. Das ist ein Prozess, der auch bedacht werden soll, wie das da aufgebaut wird. Dann gibt es natürlich auch intern, auch bei den Wissenschaftlern unterschiedliche Meinungen, die einen wollen das aufbauen und den Tourismus wieder in Gang setzen, auf der anderen Seite die, die auch wissenschaftlich denken und sagen, lasst uns das alles beobachten, lasst uns auch die Fragestellungen an Bau, an Technik, auch an die viele Information, die da drinsteckt, wenn man das aufbaut … Das muss alles auch dokumentiert und überlegt werden.
    Grieß: Halten Sie denn die syrische Antikenverwaltung für beratungswillig oder beratungsresistent?
    Fansa: Das ist sehr schwierig. Man kann das natürlich nicht wissen, weil sie ständig auch wechselt. Zurzeit haben wir einen Direktor der Antikenverwaltung, der sehr offen, der sehr Kompromissbereitschaft und auch Kooperationsbereitschaft zeigt. Ich denke, die müssen eigentlich alle, die dort tätig sind, dieses Kulturerbe hoch schätzen und auch bewusst damit umgehen, dass das nicht weiter zerstört wird. Wir wissen auch an vielen Stellen in dieser Welt, dass der Wiederaufbau manchmal so schnell passiert und unüberlegt, sodass hinterher auch gesagt wird, hätten wir das und das auch machen können. Hier ist es auch genauso zu überlegen und ich halte es auch für unheimlich wichtig, die Bevölkerung miteinzubeziehen, zu überlegen, wie man dieses Kulturerbe bei der Bevölkerung jetzt weckt. Und unser Problem auch in Syrien durch die Zerstörung, das ist so leicht für die Leute, die ISIS und auch Regierungssoldaten, wie die alle heißen, die haben da überhaupt kein Bewusstsein für dieses Kulturerbe. Und da wird es natürlich auch schwierig jetzt beim Aufbau, das allein zu machen.
    Nicht völlig auf Geschichte verzichten
    Grieß: Dazu fehlen ja auch erst mal noch die friedlichen Bedingungen einer größeren Region als eben nur Palmyra. Herr Fansa, es gibt ja unter Historikern da ganz unterschiedliche Schulen, es gibt ja auch Historiker, die sagen, Wiederaufbau ist abzulehnen, weil das immer eine Geschichtsfälschung sei. Also, warum überhaupt wiederaufbauen?
    Fansa: Ja, wenn wir nicht Palmyra wiederaufbauen oder die Altstadt von Aleppo nicht wiederaufbauen, dann haben wir also völlig auf die Geschichte verzichtet. Und Geschichte ist nur deshalb auch zu erhalten, wenn man natürlich auch die Örtlichkeiten wiederhat. Das ist sicherlich auch für Leute, die sich bewusst mit diesem Kulturerbe auseinandersetzen, die wissen, dass das um eine Rekonstruktion teilweise, aber auch einen Wiederaufbau mit Originalmaterial … Aber immerhin gibt es auch wieder da … Da bin ich natürlich Verfechter dieser Theorie, man muss das wiederaufbauen, aber auch mühsam aufbauen und kein Disneyland in irgendeiner Form jetzt herstellen. Sondern da muss wirklich auch mit dem Kulturerbe viel bewusster umgegangen werden, jetzt gerade nach dem Krieg, als vorher der Fall war.
    Grieß: Wenn Sie sagen, nach dem Krieg: Das klingt ja geradezu so, als seien die Kampfhandlungen schon zu Ende, aber das ist ja noch nicht der Fall in Syrien, es gibt weitere Stätten, weitere Orte mit historischer Bedeutung in Syrien, die nach wie vor umkämpft sind, in Gefahr sind. Welche sind das vorrangig?
    "Die Altstadt von Aleppo ist immer noch in Gefahr"
    Fansa: Südlich von Damaskus, Busra ist ständig in Gefahr, weil auch die Regierungssoldaten versuchen, diese Region zu erobern. Zurzeit haben die Rebellen das Sagen dort. Das ist auch ein Weltkulturerbe. Die Altstadt von Aleppo ist immer noch in Gefahr, sie ist zwar nicht mehr bewohnt, aber sie ist so stark zerstört, dass man auch genau diese Argumentation, die Sie vorhin angebracht haben, ob es sich lohnt, das wiederaufzubauen … Ich bin eigentlich ein Verfechter des Wiederaufbaus von der Altstadt von Aleppo, nicht weil ich dort geboren bin, weil ich meine, die Altstadt von Aleppo ist nicht nur ein Symbol für Tourismus, sondern ein Wirtschaftszentrum. Und das spielt eine Rolle, die kann nur wiederhergestellt werden, wenn man die Altstadt wiederaufbaut, und zwar so historisch wie möglich. Natürlich ist übersteigt es unsere Kapazität, so eine Altstadt mit 100.000 Bewohnern …
    Grieß: Auch finanziell, oder?
    Fansa: … das wieder herzurichten.
    Grieß: Wer soll das bezahlen, Herr Fansa?
    Fansa: Ja, es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten. Es gibt auch viele Sponsoren, Investoren, die wirklich Interesse an dem Wiederaufbau haben, es gibt natürlich reiche Aleppiner, Syrer, die irgendwo im Ausland sind. Und wenn dann noch dieses Bewusstsein für ihr Kulturerbe auch geweckt wird, dann werden sie sicherlich auch mal … Ich mache das hier vor Ort, indem ich auch versuche, Leute zusammenzubringen, die so was … Ich mache das auch umsonst, auch der Kontakt mit internationalen Verbänden, die auch eventuell Geld mitbringen. Es gibt natürlich auch aus den arabischen Ländern Katar und Vereinigte Emiraten, die haben das auch teilweise … tatsächlich diesen Krieg mitverursacht haben, da muss man auch an ihr Gewissen appellieren und sagen, jetzt muss das auch wiederaufgebaut werden, das ist unsere gemeinsame Geschichte. Also, es gibt da viele Möglichkeiten, wo man auch Mittel dafür bekommen kann, um den Aufbau in irgendeiner Form durchzuführen. Aber das muss natürlich auch wieder genauso, was ich für Palmyra gesagt habe, bedacht, überlegt … und viele Möglichkeiten vielleicht diskutieren und dann vielleicht das Beste aus dem, was wir meinen, das ist das Beste, nachdem wir alles genau untersucht haben.
    Grieß: Der Altertumsforscher Mamoun Fansa, früher am Museum in Oldenburg, heute in Berlin lebend, aber in Aleppo geboren. Herr Fansa, danke für Ihre Eindrücke, Ihre Analysen heute Morgen!
    Fansa: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.