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Wiederkäuer
Warum Politik bei Tierseuchen eine wichtige Rolle spielt

Voraussetzung für die Ausrottung einer Tierseuche wie die sogenannte Pest der kleinen Wiederkäuer sind effektive Impfungen, Schnelltests und die passende Infrastruktur. Doch selbst wenn alle diese Faktoren erfüllt sind – ausschlaggebend ist immer noch der politische Wille.

Von Sophia Wagner | 12.12.2017
    Eine Ziegenherde auf einer trockenen Weide in Alentejo, im Süden Portugals.
    Bis in die 1980er-Jahre waren fast ausschließlich Nutztiere von der Pest der kleinen Wiederkäuer betroffen. Dann tauchten auch erkrankte Antilopen auf. (picture alliance / dpa)
    Erreger: RNA Virus
    Befällt: Ziegen und Schafe, Antilopen und Gazellen
    Symptome: Durchfall, Ausfluss aus Augen und Mund, Fieber
    Ansteckung: Hoch. Über Körperflüssigkeiten, verunreinigte Gegenstände
    Todesrate: 90 Prozent
    Bekämpfung: Lebend Impfung, Isolation und Tötung
    Status: Ausbreitung seit den 1940ern von Westafrika bis nach Arabien, Vorder- und Zentralasien
    Bis Ende der 1980er-Jahre gab es die Pest der kleinen Wiederkäuer nur in einer Handvoll Ländern in Afrika und in Indien. Weil sich aber Jahrzehnte niemand um die Kontrolle der Krankheit gekümmert hat, zieht sich ihr Ausbreitungsgebiet heute in einem breiten Streifen von der afrikanischen Westküste über den Nahen Osten bis in den gesamten asiatischen Raum.
    "Wir konnten in der ersten Hälfte des Jahrhunderts sehen, wie das Virus sich ausbreitet. Und jetzt ist die Krankheit so ziemlich in ganz Asien und in großen Teilen Afrikas. Es ist wirklich bedauerlich, dass wir an diesen Punkt kommen mussten. Jetzt wird es extrem teuer werden, die Krankheit auszurotten."
    Trotz der extremen Ausbreitung waren von der Krankheit aber nur Nutztiere befallen. Bei wilden Tieren gab es nur vereinzelte Fälle. Dann kamen Anfang des Jahres die Meldungen über tote Saiga-Antilopen aus der Mongolei.
    "Die Tatsache, dass das Virus jetzt auch in eine ganze Wildtierpopulation eingetragen wurde, ist tragisch, denn wir hätten es schon viel früher stoppen können."
    Wenn Krankheiten sich in Wildtieren festsetzen, wird die Kontrolle direkt schwieriger. Auch deshalb will die FAO eine weitere Ausbreitung verhindern. Zusammen mit der Welttiergesundheitsorganisation OIE, hat die FAO zur globalen Ausrottung der Pest der kleinen Wiederkäuer aufgerufen: Eingrenzung der betroffenen Gebiete, flächendeckende Impfungen, Monitoring.
    Ausrottung der Krankheit bis 2030 geplant
    Die Antilopenart Bergriedbock ist vom Aussterben bedroht.
    Wildtiere kennen keine Landesgrenzen und können Krankheiten daher weitertragen (imago / robertharding)
    Bis 2030 soll die Krankheit komplett vernichtet sein - ob man das schafft, ist aber fraglich.
    Richard Kock ist ein erfahrener Experte im Kampf gegen Tierseuchen. Der Tierarzt vom Royal Veterinary College in London war schon an der Ausrottung der Rinderpest beteiligt. Der Wildtierveterinär hat 2001 in Kenia den weltweit letzten Ausbruch dieser Krankheit diagnostiziert.
    Bei seiner Arbeit in einem Nationalpark waren ihm wilde Büffel aufgefallen, die irgendwie nicht ganz in Ordnung wirkten. Weil die Regierung in Kenia die Möglichkeit eines erneuten Rinderpestausbruchs aber nicht wahrhaben wollte, testete Richard Kock die Büffel ohne Genehmigung - mit einem Schnelltest.
    Politik und Tierseuchenbekämpfung
    Politik und Diplomatie spielen auch bei der koordinierten Ausrottung der Pest der kleinen Wiederkäuer ei ne ausschlaggebende Rolle.
    Die medizinischen Mittel sind gut: Der Impfstoff schützt lebenslang und ist hitzestabil. Verbesserungsbedarf gibt es aber bei der Überwachung der Krankheit: Schafe und Ziegen werden oft in Schluchten und Gebirgen gehalten, wo sie sich mehr oder weniger frei bewegen. In solchen Gebieten ist es schwierig, ein Auge auf die Tiere zu haben und flächendeckende Impfungen durchzuführen.
    Richard Kock ist überzeugt, dass die Ausrottung nur dann erfolgreich sein wird, wenn man die Bevölkerung intensiv einbindet. Die Besitzer wissen am besten, wo sich ihre Tiere aufhalten.
    "Wir arbeiten grade an einem Forschungsprojekt in Ostafrika, im Land der Massai. Dort testen wir den Ansatz, die lokalen Hirten in die Impfkampagnen einzubeziehen. Das könnte den gesamten Prozess wirklich beschleunigen."
    Die nationalen Regierungen wehren sich oft gegen einen dezentralisierten Ansatz. Die klassischen Ausrottungskampagnen spülen internationale Gelder in die staatlichen Kassen, auf diese Mittel wollen sie nicht verzichten.
    "Wir müssen akzeptieren, dass solche Krankheiten von Regierungen auch dafür genutzt werden, um ihre Veterinärsysteme zu verbessern."
    Tiere halten sich nicht an Grenzen
    Auch die Kooperation der Länder untereinander ist wichtig, denn Tiere halten sich nicht an Grenzen. Erstreckt sich zum Beispiel ein Gebirge über Landesgrenzen hinweg, macht es wenig Sinn, nur die Ziegen in einem Land zu impfen. Problematisch ist das vor allem in den Krisenregionen in Nordafrika und im Nahen Osten. In Somalia, in Syrien und im Irak haben die Menschen momentan andere Probleme als die Optimierung der globalen Ausrottungsstrategie für eine Tierseuche.
    "Wir wollen, dass es so schnell wie möglich passiert, aber in manchen Regionen werden wir einfach noch ein wenig geduldig sein müssen. Es gibt bei der Erforschung der Krankheit noch einiges zu tun; ich denke, das ist die Priorität. Dann können wir nur hoffen, dass die Vernunft siegt und wir es in ein paar Jahren mit einer friedlicheren Weltlage zu tun haben als heute. "
    Damit man dann, in naher Zukunft, nach der Rinderpest auch eine zweite Krankheit von der Liste der Tierseuchen streichen kann: die Pest der kleinen Wiederkäuer.