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Wiederkehr der Nationalismen

Worte lassen sich politisch besetzen, teils auf perfide Weise. Sprache kann aber auch ein neues Miteinander schaffen. Beispiele dafür nennt Heinrich Detering, Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung.

Heinrich Detering im Gespräch mit Beatrix Novy | 28.09.2013
    Beatrix Novy: Im Moment ist es gerade Griechenland, das mit seiner Partei Goldene Morgenröte von sich reden macht, gestern war es, morgen könnte es wieder Ungarn sein mit seiner Version einer extremen und gewaltbereiten Rechtspartei. Die massive Wiederkehr erstorben geglaubter Radikal-Nationalismen beunruhigt ein Europa, das sich in dieser Hinsicht ja eigentlich auf einem besseren Weg glaubte. Dagegen werden Zeichen gesetzt: Im Mai tagte der jüdische Weltkongress in Budapest, um den offenen Antisemitismus in Ungarn bloßzustellen. Und voriges Jahr – jetzt kommen wir zum Thema - begann eben dort eine Diskussionsreihe über die europäische Kultur der Freiheit und ihre Bedrohung durch die Wiederkehr des Nationalismus. Es gab im Mai bei der Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung eine Fortsetzung dieser Debatte und seit gestern findet das das zweite Treffen der Reihe in Budapest statt. Veranstaltet wird es vor allem von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, gemeinsam mit ungarischen Partnern. - Heinrich Detering, Präsident der Akademie, kann ich deswegen jetzt begrüßen.

    Heinrich Detering: Guten Tag.

    Novy: Sie haben Ihre Tagung eingeleitet, Herr Detering, mit einer Diskussion zur europäischen Wirklichkeit, nämlich über multiethnische, multinationale und vielsprachige Regionen. Davon gibt es ja viele in Europa mit einer zum Teil sehr traurigen Geschichte. Der Titel lässt etwas von Ermutigung ahnen, aber sind das ermutigende Beispiele, diese Regionen?

    Detering: Ja. Was wir da gestern Abend gehört haben auf dem Panel, das sind ganz erstaunliche Beiträge sogar gewesen, die gezeigt haben, wie dort, wo in den Grenzregionen wie zum Beispiel der Vojvodina von jeher unterschiedliche Sprachen, Kulturen aufeinanderstoßen, neue Möglichkeiten von Mehrsprachigkeit schon von Kindesbeinen an sich entwickelt haben, ein Miteinander der Kulturen, das so lange funktioniert, wie nicht eine davon auf die Idee kommt, jetzt einen möglichst ethnisch-homogenen Nationalstaat oder ethnisch reine Gruppen herstellen zu wollen. Wir haben da Erfahrungsberichte von Schriftstellern gehört aus ihrer eigenen Lebensgeschichte, die tatsächlich etwas Ermutigendes, manchmal fast ein bisschen Utopisches hatten, und zwar umso mehr, je mehr es ins Regionale, ins Kleinteilige und Konkrete ging.

    Novy: Zum Beispiel auch Karl-Markus Gauß, der selber, weiß ich nicht, aus einer dieser Gegenden kommt, aber der sehr viel darüber geforscht hat.

    Detering: Ja. Wir haben bewusst darauf geachtet, dass wir Schriftsteller, Intellektuelle, Kritiker einladen, nicht nur aus Deutschland und Österreich auf der einen Seite, Ungarn auf der anderen, sondern dass wir auch Autoren aus Serbien, aus Mazedonien, aus der Slowakei und anderen Ländern mit ähnlichen Erfahrungshorizonten zu diesen Diskussionen dazubitten.

    Novy: Also nicht nur Ungarn, sondern auch andere?

    Detering: Ja, wenn es natürlich auch einen guten Grund dafür gibt, dass wir zum zweiten Mal jetzt diese Veranstaltung, oder schlechten Grund eigentlich dafür, dass wir diese Veranstaltung gerade in Budapest durchführen.

    Novy: Und zwar zum zweiten Mal, weil letztes Jahr war das ja auch da. Sie wollen aber in Zukunft in anderen europäischen Städten weitermachen?

    Detering: Wir wollen das fortsetzen auf jeden Fall und wahrscheinlich werden wir eine der nächsten Veranstaltungen in Rumänien machen - es sind von Anfang an rumänische Intellektuelle beteiligt gewesen -, dann auch in Serbien, und dann wollen wir mal sehen, wie sich das weiterentwickelt. Aber es ist natürlich ganz klar, dass im vergangenen Jahr wie auch jetzt das, was hier unter der Orbán-Regierung geschieht, eigentlich durchgängig ein roter Faden der Diskussionen ist.

    Novy: …, der allerdings auch eine Spaltung im Land hervorgebracht hat. Man hätte ja eigentlich auch Schriftsteller einladen können – und das ist, soviel ich sehe, nicht der Fall -, die für Orbán sind.

    Detering: Ja! Wir haben darüber im Ernst mit unseren ungarischen Freunden und unserem Partner, dem unabhängigen ungarischen Schriftstellerverband, gesprochen, und soweit ich es verstehen kann, der ja nicht ungarischsprachig ist, wird von diesen Leuten niemand bereit sein, mit unseren Freunden gemeinsam überhaupt aufzutreten.

    Novy: Ach so ist das.

    Detering: Das geht bis in rassistische und antisemitische Vorwürfe hinein, die auch ziemlich unverhohlen vorgebracht werden.

    Novy: Kommen wir auf den heutigen Tag, der nun zu Ende ist. Die Sprache der Macht und die Kraft der Sprache, das waren die Themen zweier Diskussionsdurchgänge. Was haben Schriftsteller wie Katja Lange-Müller oder Ingo Schulze zum Beispiel zur Sprache der Macht zu sagen, in Ungarn, in Budapest?

    Detering: Da gab es ganz erstaunlich konkrete Beispiele, über die wir gesprochen haben: zum Beispiel die Enteignung und Umwertung von vertrauten Worten wie in der ungarischen Tradition "Freiheitskampf" oder "Nation" oder "Glaube" zu Worten, die besetzt werden durch die regierende Partei und ihre Anhänger und die dann vor allen Dingen ausschließende Kraft bekommen, oder Neubildungen wie das Wort "Fremdherzig", das schon eigentümlich klingt und andeuten soll, jemand sei in seinem Herzen nicht wirklich ungarisch gesinnt, eine verbreitete Umschreibung für Juden oder, wie man meint, Juden nahestehende Intellektuelle, die sozusagen unzuverlässige Patrioten seien. Und das geht hinunter bis in banale Alltagsereignisse wie zum Beispiel die jüngst erfolgte Umbenennung der Tabakläden in nationale Tabakläden, um auch an dieser Front zu demonstrieren, dass die Ungarn ein starkes, selbstbewusstes, unabhängiges Volk seien. Ich könnte viele weitere Beispiele hinzufügen.

    Wir haben aber auch gesprochen über vergleichbare Entwicklungen der Sprache im deutschen Sprachraum, etwa, da morgen ja in Österreich Wahlen sind, über den Slogan der sogenannten Freiheitlichen Österreichischen Partei, also der Rechtspopulisten, mit dem Schlagwort "Nächstenliebe", wir brauchen mehr Nächstenliebe, und dann geht aus den Plakaten und Kampagnen hervor, dass mit Nächstenliebe die Österreicher und eben nicht die Ausländer, die Asylanten, die anderen gemeint seien – ein besonders perfides Beispiel, das heute ausführlich besprochen wurde.

    Novy: … und deshalb auch das Thema des zweiten Panels, nämlich die Kraft der Sprache. Ich nehme an, dass Sie da eigens nicht dem Wortspielerlegen sind, da die Macht der Sprache hinzuschreiben. Was kann die Sprache ausrichten gegen solche Sprachspiele der anderen Seite?

    Detering: Ja das ist etwas, wozu wir schon performativ beizutragen versuchen, eben durch diese Tagungen und durch die Wahl des Tagungsortes. Es geht ja unter den jetzigen medialen Umständen in Ungarn auch darum, beizutragen, soweit wir das nach unseren Kräften können – und einige der Betroffenen sind ja Mitglieder der Deutschen Akademie -, beizutragen zu einer Gegenöffentlichkeit, diejenigen zu stärken, von denen wir glauben, dass sie sich für eine offene Gesellschaft und für die Freiheit des Wortes einsetzen, oder eben auch solche sprachlichen Entwicklungen zu diskutieren und offenzulegen, worin die Zusammenhänge zwischen Denkweisen, die wir gefährlich finden, latenter Gewaltbereitschaft in der alltäglichen Praxis und sprachlichen Verhalten eigentlich bestehen. Und schließlich sind da natürlich durch Lesungen zum Beispiel von Gedichten von Autoren auch einfach andere Arten der Sprachverwendung sehr handfest, anschaulich, hörbar demonstriert worden.

    Novy: Vielen Dank – Heinrich Detering, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, über die Tagung in Budapest, die demnächst Fortsetzungen finden wird.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.