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Wiege im Schlamm?

Paläontologie. - Für Charles Darwin stand die Wiege des Lebens an Land - ein flacher, warmer Tümpel, in dem alle Reaktionen ablaufen konnten, damit aus organischer Chemie Biologie wird. Für ein paar Jahrzehnte war diese Idee ins Hintertreffen geraten, aber nun erlebt sie seit einigen Jahren wieder eine Renaissance.

Von Dagmar Röhrlich | 02.03.2012
    Es ist die größte Frage der Wissenschaft: Wie hat das Leben begonnen? Mögliche Orte gibt es viele: vom warmen Tümpel, den sich Charles Darwin vorgestellt hat über einen unbekannten Platz im Weltall bis hin zu heißen Quellen in der Tiefsee. Nachdem letzteren lange Zeit besonders viel Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, möchte Armen Mulkidjanian den Blick nun wieder an Land lenken. Für den Osnabrücker Physiker und seine Kollegen, sind warme vulkanische Quellen die Bühne für den Urknall des Lebens:

    "Die Chemie der Zellen spiegelt die Chemie der Anfänge wider. Offensichtlich passen die Bedingungen, wie sie in den Meeren herrschen, nicht zum Zytoplasma einer Zelle. Ganz so wie heute hatten die frühen Ozeane beispielsweise mehr Natrium als Kalium im Wasser, und auch die Phosphatkonzentration war niedrig. Das salzige Meerwasser weicht zu stark von der Chemie im Inneren lebender Zellen ab. Wir suchten deshalb nach einem geologischen Umfeld, in dem es mehr Kalium als Natrium gibt, aber auch viel Phosphat, denn Phosphat ist für das Funktionieren der Zelle wichtig."

    Armen Mulkidjanian macht eine weitere Annahme: Die ersten Zellen hätten die Zusammensetzung ihrer Zellflüssigkeit nicht aktiv regulieren können:

    "Während moderne Zellmembranen sehr komplex aufgebaut sind und gezielt den Salzhaushalt im Zellinneren regulieren, müssen die ersten sehr viel einfacher und für kleine Moleküle durchlässig gewesen sein."

    Die ersten Zellen waren passiv, konnten nur existieren, wo die chemischen Verhältnisse ihrer Umgebung genau passten. Die Frage ist, ob es einen solchen Platz auf der Erde gibt. Nach ausgedehnten Feldstudien glaubt Armen Mulkidjanian ihn gefunden zu haben: die Mutnovsky Thermalquellen in Kamtschatka. Würde man die Uhr um mehr als drei Milliarden Jahre zurückdrehen, käme - unter den Umweltbedingungen der frühen Erde - die Brühe dieser geothermalen Tümpel dem internen Milieu der Zellen am nächsten. Dabei wäre nicht nur der Chemikalien-Mix richtig:

    "Diese Quellen wären nicht einfach nur Schlammtöpfe, sondern darin gäbe es reichlich poröse Mineralien, die so etwas wie Brutplätze für die ersten Zellen abgeben könnten."

    Für andere Wissenschaftler wirft diese neue Hypothese einige grundsätzliche Frage auf. So beruhten alle Rekonstruktionen, wie frühe Zellen beschaffen sein können, auf den Informationen moderner Organismen. Über ausgestorbene Linien verraten die aber nichts. So argumentiert ein Kritiker, Martin Brasier von der Oxford University:

    "Meiner Meinung nach sollten wir bei der Suche nach der Entstehung des Lebens ehrlich sagen, was wir alles nicht wissen und auch etwas bescheiden sein. Nehmen wir die Zellmembran. Sie ist ganz zentral, wenn es darum geht den Salzhaushalt auszugleichen. Beispielsweise behaupten die Autoren, dass eine aktiv die Bedingungen im Zellinneren regulierende Membran erst zum Schluss entstanden sein muss. Das ist nicht offensichtlich."

    Außerdem sei fraglich, ob heiße Quellen geologisch betrachtet langlebig genug sein können, um als Ort für die Entstehung von Leben zu taugen. Seiner Kritik zum Trotz befürwortet auch Martin Brasier, die Wiege des Lebens ebenfalls an Land zu suchen. Im vergangenen Jahr hat er mit 3,43 Milliarden Jahre alten Bakterien die ältesten bislang bekannten Lebewesen entdeckt: in nicht-marinen Gesteinen, die in einer Bucht entstanden sind. Vielleicht sei es an der Zeit, den Suchraum zu erweitern: auf die uralten kontinentalen Ablagerungen.