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Wieker will Attraktivität der Bundeswehr verbessern

Neuausrichtung, Strategiewechsel und Afghanistan bestimmen seit dem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren den Terminkalender von Volker Wieker. Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat sich dafür ausgesprochen, Truppenstandorte nicht allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen zu schließen. Bei der Rekrutierung müsse man darauf achten in der Nähe der Bewerber zu bleiben.

Volker Wieker im Gespräch mit Rolf Clement | 03.07.2011
    Rolf Clement: Herr General Wieker, Sie sind jetzt eineinhalb Jahre im Amt des Generalinspekteurs. Wo drückt Ihnen eigentlich am meisten der Schuh?

    Volker Wieker: Nun, von Anbeginn war es eigentlich die Parallelität der Ereignisse, die mich am meisten forderte: Die Neuausrichtung – der Strategiewechsel – in Afghanistan, die Entscheidungen aus dem Koalitionsvertrag und deren Umsetzung, also Einsetzung einer externen Kommission, die Verkürzung der Wehrdienstzeit, und dann eben mit den Beschlüssen der Kabinettsklausur im Mai – der beschleunigende Reformdruck auf die Streitkräfte. All das hat eigentlich die Schlagzahl vorgegeben und bestimmt eigentlich bis heute maßgeblich meinen Terminkalender.

    Clement: Und wie ist es – das erste Wochenende, wo die Bundeswehr keine Wehrpflichtarmee mehr ist? Wie sieht es denn aus mit dem Nachwuchs?

    Wieker: Also ganz offen gestanden, Herr Clement, waren die Zahlen im ersten Halbjahr 2011, die Bewerberzahlen, nicht ermutigend. Das hat sich in den letzten sechs Wochen grundlegend geändert. Ich selbst führe dazu als Grund die Unsicherheit an, die bezüglich der Ausgestaltung dieses freiwilligen Wehrdienstes bis in den späten Mai hinein bestand. Die gesetzliche Grundlage war noch nicht gegeben – die Rahmenbedingungen, die Bezahlung beziehungsweise die Besoldung etc. waren noch nicht geklärt. Das ist nun alles gegeben, und wir wissen ja: Junge Leute entscheiden sich dann auch spontan. Es mag ein wenig begünstigend wirken, dass wir zwei Jahrgänge haben, insbesondere Abiturientenjahrgänge, die sich bei den Universitäten bewerben, die zu einem Anziehen des Numerus clausus führten und hier möglicherweise auch Überbrückungserwägungen greifen. Aber in der Tat sind die Zahlen ermutigend.

    Clement: Aber Sie sind, sowohl was den freiwilligen Wehrdienst wie auch, was die Zeit- und Berufssoldaten angeht, im Moment sehr zufrieden?

    Wieker: Ja, bei den Zeit- und Berufssoldaten haben wir uns ja orientiert an den vergangenen Jahren. So hatten wir im Jahr 2010 rund 45.000 Bewerber, aus denen wir 14.500 Zeit- und Berufssoldaten gewinnen konnten, also das entspricht in etwa dem Faktor 1: 3. 15.000 ist auch das, was wir ermittelt haben, was meine Fachleute ermittelt haben – im Umfang dessen, was wir benötigen, um einen Personalkörper von 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten regenerieren zu können. Die Basis für die Freiwilligen war eben noch ein wenig unsicher, und daher haben wir uns zu der Formel "170 plus 5 plus X" entschlossen.

    Clement: Wenn Sie jetzt in die Zukunft schauen – wir kommen im Herbst in die Diskussion um die Standortschließung –: Ist für Sie die Nähe des Arbeitsplatzes für einen möglichen Soldaten ein Kriterium, wenn Sie über Standorte nachdenken? Also würden Sie, um bei den Leuten zu bleiben und um Leute zu gewinnen, Standorte auch offen halten, die Sie aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen vielleicht geschlossen hätten?

    Wieker: Ja, das ist in der Tat, da stimme ich Ihnen zu, ein ganz wichtiges Argument. Ich glaube, wir verkennen ein wenig, dass junge Leute, bevor sie sich vollständig von zu Hause abnabeln, zunächst eine regionale Berufsperspektive suchen. Das heißt, man orientiert sich in seinem persönlichen Umfeld, möchte den rückwärtigen Gefechtsstand noch nicht ganz aufgeben und den Versorgungspunkt, der dort abgebildet ist, und orientiert sich in einem näheren Umfeld. Wenn wir in der Lage sind, in diesem näheren Umfeld ein ordentliches Angebot zu machen, denke ich, dass das sowohl unsere eigene Attraktivität verbessert als auch für den Jugendlichen eine Perspektive bieten kann, die nicht gleich die vollständige Abnabelung von zu Hause bedeutet.

    Clement: Welche anderen Kriterien spielen für Sie bei der Standortauswahl eine Rolle?

    Wieker: Funktionalität natürlich, also was die Ausbildung und die Übungshaltung der Truppenteile anbetrifft, der Zustand der Infrastruktur, Attraktivität im Gesamtkontext dieser eben genannten Punkte und natürlich auch die Kosten, die müssen wir im Auge behalten, insbesondere wenn es um den Investitionsbedarf jetzt für die Infrastruktur geht.

    Clement: Wenn ich Sie so höre: Ist die Spekulation völlig falsch, dass das eine Diskussion wird, die vielleicht jetzt größer diskutiert wird, als sie nachher sein wird, wenn man an die Entscheidung geht?

    Wieker: Ja, das ist eine Erkenntnis, die wir eigentlich schon bei den vorherigen Reformschritten, insbesondere unter Bundesminister Dr. Struck, schon machten. Die Diskussion war durchaus prominent im Vorfeld der Entscheidung. Nachdem die Entscheidung getroffen wurde und auch mit den Ministerpräsidenten der Länder besprochen war, hat es eigentlich keine große Aufregung gegeben.

    Clement: Also es kommt nicht so dick, wie man jetzt fürchtet?

    Wieker: Nein, das denke ich nicht.

    Clement: Sie wollen auch eine ganze Reihe von Kommandoebenen herausnehmen aus der Bundeswehrstruktur. Wie funktioniert das, wie muss man sich das vorstellen?

    Wieker: Ja, einer der entscheidenden Schritte ist natürlich die Zusammenführung der Führungsstäbe der Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche mit ihren Führungskommandos. In der Teilstreitkraft, zum Beispiel der Führungsstab des Heeres wird jetzt fusionieren mit dem Führungskommando in Koblenz, gleiches gilt für alle anderen auch. Das bedeutet schon eine erhebliche Reduzierung der Führungsebenen. Dann werden wir natürlich die Anzahl der Kommandos reduzieren, beim Heer zum Beispiel die Anzahl der Divisionen, die Anzahl der Brigaden. In der Luftwaffe wird es die Divisionsebene nicht mehr geben, sondern Fähigkeitskommandos. Also, es tut sich dort eine ganze Menge.

    Clement: Haben Sie das Gefühl, dass da alle mitziehen? Ich meine, man könnte sich ja vorstellen, dass derjenige, der seine eigene Behörde, sein eigenes Kommando abbauen muss, dass der sich erst mal sagt: Moment mal, macht mal ganz langsam.

    Wieker: Nein, wir haben die Entscheidungen bis heute, also bis zu einer Grobstruktur in den Teilstreitkräften im MFR begleitet ...

    Clement: ... MFR ist der Militärische Führungsrat ...

    Wieker: ... das ist der Militärische Führungsrat – in nahezu vierwöchentlichen Sitzungen. Das wird durch alle getragen. Es ist natürlich unserer aller vornehmste Aufgabe, unsere nachgeordneten Bereiche dabei auch mitzunehmen. Da wird es hier und da sicherlich auch Widerstand geben, wo es dann den ureigenen Bereich betrifft. Aber ich denke, es besteht breite Einsicht, dass diese Reform notwendig ist.

    Clement: Also, wenn man mit dem einen oder anderen spricht, dann merkt man schon ein gewisses Verhalten, das Herangehen an die Auflösung des eigenen Kommandos.

    Wieker: Ja, das mag hier und da durchaus der Fall sein. Natürlich, das ist ja dann auch dann eine Frage der persönlichen Betroffenheit und der Auswirkung für das familiäre Umfeld. Insofern kann ich das durchaus verstehen. Aber wenn denn Einsicht in die Reform an sich besteht, dann muss man auch bereit sein, diesen Weg mitzugehen.

    Clement: Besonders viel Bremswirkung vermutet der eine oder andere im zivilen Bereich. Ist das ein Punkt, dass Sie von der Seite her Probleme mit der Gesamtreform bekommen könnten?

    Wieker: Das kann ich so nicht sehen. Die Reform wurde ja in einer Hierarchiebegleitung angelegt. Es geht los beim Minister, der die Oberaufsicht natürlich führt – über einen sogenannten Lenkungsausschuss, der aus den beiden beamteten Staatssekretären und mir besteht, bis hinunter zu Projektleitenden – sowohl zivil wie auch militärisch. Alle unterliegen den gleichen Zeitplänen. Ich halte das auch für erforderlich, damit der ganze Prozess im Grunde verläuft. Und diesen Zeitlinien sind auch alle verpflichtet, ansonsten wäre der Gesamtprozess gefährdet, das muss man sicherlich so sagen. Daher gehe ich davon aus, dass da auch die entsprechende Entschlossenheit besteht.

    Clement: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk heute Generalinspekteur Volker Wieker. Herr Wieker, in Afghanistan hat es diese Woche einen Anschlag auf das Interconti in Kabul gegeben – einen sehr großen Anschlag, von dem man eigentlich nicht erwartet hätte, dass er dort passieren kann, weil das ein sehr bewachtes Gebiet ist. Man hört immer wieder von Anschlägen, die Bundeswehr selber ist auch immer wieder davon betroffen. Auf der anderen Seite hört man, dass die Strategie erfolgreich ist. Das ist zunächst mal ein Widerspruch.

    Wieker: Ja. Diese Anschläge sind natürlich immer auch Rückschläge und lösen große Betroffenheit aus, sowohl bei den Truppen in Afghanistan, den Afghanen selbst, aber natürlich auch hier in der Heimat und werden auch entsprechend kommentiert. Das darf aber nicht ganz den Blick verstellen für die gesamte Entwicklung. Insgesamt ist es so, dass dort, wo wir tief gestaffelt mit den afghanischen Sicherheitskräften aufgestellt sind, um auf der einen Seite die Bevölkerung zu schützen, aber eben auch den Aufwuchs und die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte sicherzustellen, wir Erfolge konstatieren können dahin gehend, dass man fast nicht mehr in der Lage ist, in komplexen Angriffen, insbesondere mit Hand- und Panzerabwehrhandwaffen uns zu gefährden, auch die Bevölkerung Repressalien auszusetzen oder dort Mitläufer zu rekrutieren. Das hat dazu geführt, dass die Taliban insbesondere natürlich ihre Strategie wechseln und versuchen, uns durch Hinterhalte oder auch eben anonyme Sprengstoffanschläge zu beeindrucken. Das geschieht nur punktuell, erzeugt aber natürlich immer ein breites Medienecho, darf aber für die Gesamtentwicklung nicht den Blick verstellen. Hier, denke ich, ist vorsichtige Zuversicht sicherlich eine treffende Beschreibung, was den Prozess der Übergabe betrifft, der nun natürlich an Fahrt gewinnt.

    Clement: Ist der nicht gefährdet durch so einen Anschlag wie der in Kabul, der genau an dem Tag stattfinden sollte, wo eine Konferenz diese Übergabe im Prinzip besprechen sollte? Das ist doch ein Signal, was die da gegeben haben.

    Wieker: Ja, das ist natürlich genau die Zielsetzung, die die andere Seite damit verfolgt – eine breite Öffentlichkeit weltweit herzustellen und deutlich zu machen, dass man immer noch zu solchen Aktionen in der Lage ist. Solche Aktionen werden aber nicht geeignet sein, den Prozess insgesamt zu gefährden, denn man hat natürlich auf der anderen Seite erkannt, dass nicht wir es sind, die den Prozess unumkehrbar machen, sondern die afghanischen Sicherheitskräfte selbst. Wenn man nicht mehr in der Lage ist, sie zu treffen, wird der Prozess unumkehrbar. Das darf man durchaus auch sagen mit Blick auf die Ankündigungen, insbesondere durch den amerikanischen Präsidenten, aber jetzt auch der Allianz, nun bis 2014 dieses Ziel erreichen zu wollen. Das heißt, wir sind eher eine Frage der Geduld. Die Unumkehrbarkeit entsteht durch den Aufwuchs und die Fähigkeiten der afghanischen Sicherheitskräfte.

    Clement: Geht Ihnen der amerikanische Abzug zu schnell?

    Wieker: Er ist natürlich ambitioniert, wenn man bis Mitte nächsten Jahres dieses Ziel erreicht haben will. Wir waren ...

    Clement: 33.000 wollen die USA bis zum nächsten Sommer ...

    Wieker: 33.000, das ist genau der sogenannte Search, der 2010 zur Verstärkung eingeführt wurde. Man hätte vielleicht ein etwas gestreckteres Zeitfenster erwarten können. Aber insgesamt ist diese Ankündigung keine Überraschung und deckt sich mit der Rede des amerikanischen Präsidenten am 1. Dezember 2009 in Westpoint.

    Clement: Keine Überraschung kann ja aber trotzdem sein, dass man in Deutschland zu der Erkenntnis kommt angesichts der Lage, es ist vielleicht ein bisschen zu schnell.

    Wieker: Nein. Es ist ja zunächst einmal nur eine quantitative Ankündigung, die jetzt durch den Com ISAF, den Kommandeur aller ISAF-Truppen in Kabul umzusetzen ist in militärische Fähigkeiten, in Einheiten und Verbände, die abgezogen werden sollen. Erst dann können wir beurteilen, wie sich dieser Abzug in den unterschiedlichen Regionalkommandos auswirkt. Sie stellen bei uns im Norden Kernfähigkeiten. Und wir sind natürlich mit ihnen in engen Verhandlungen, um sicherzustellen, dass wir – und nicht nur wir Deutschen, sondern alle Verbündeten im Norden, das sind ja 18 Nationen – weiterhin ihren Auftrag erfüllen können.

    Clement: Also, da muss noch geredet werden?

    Wieker: Da wird auch geredet, sodass wir auch entlang unserer Mandatierung gegen Ende des Jahres auf einer soliden Lagebeurteilung dann die entsprechenden Entscheidungen treffen können, wie es dort insbesondere mit neuem Mandat weiter geht.

    Clement: Gesetzt den Fall, die Lage bleibt, wie sie ist, in welchem Umfang könnten Sie sich vorstellen, dass der deutsche Anteil reduziert wird?

    Wieker: Das hängt erstens von den verfügbaren Fähigkeiten der Amerikaner im Norden ab, aber eben auch von der Absicht aller anderen Truppen stellenden Nationen. Hier beabsichtige ich, mich im September mit meinen Kollegen zusammenzusetzen, insbesondere den Skandinaviern, die dort den Löwenanteil mit stellen, sodass wir ein abgestimmtes Vorgehen realisieren können, das dann eben als militärischer Ratschlag in die politische Entscheidungsfindung einfließt.

    Clement: Die US-Vorgabe, ein Drittel abzuziehen, ist das für Sie eine Größenordnung?

    Wieker: Nein, die Amerikaner haben uns da keine Vorgabe gemacht.

    Clement: Aber ist das für Sie ein Modell?

    Wieker: Nein. Die Amerikaner haben ja nicht gesagt, sie ziehen ein Drittel ab, sondern sie ziehen das ab, was sie zur Verstärkung 2010 eingebracht haben. Wenn ich das auf uns beziehe, dann reden wir über 500 Soldaten.

    Clement: Gut. Das ist dann so ungefähr die Messlatte.

    Wieker: Das will ich noch gar nicht sagen. Das hängt dann von der Lagebeurteilung ab. Aber das wird sicherlich ein Rahmen sein, an dem man sich orientieren kann.

    Clement: Im Umfeld der NATO-Verteidigungsminister-Tagung Anfang Juni in Brüssel ist darüber diskutiert worden, dass die zivile Unterstützung, also das Ausfüllen des Sicherheitsrahmens durch zivile Anstrengungen, dass das schwer hinterher hängt. Haben Sie den Eindruck auch?

    Wieker: Mein Eindruck ist, dass das in den Nationen unterschiedlich läuft und auch gehandhabt wird. Ich muss sagen, dass ich mit der zivilen Unterstützung, insbesondere durch das Auswärtige Amt, durch das BMZ, aber auch durch das BMI in der Polizeiarbeit sehr zufrieden bin. Wir konnten sicherstellen, dass wir im Rahmen der militärischen Operationsführung unverzüglich nach Nehmen eines Raumes zivile Wiederaufbauprojekte anschieben konnten. Das gilt für den Straßenausbau wie für die Stromversorgung. Das wurde dann auch für die Bevölkerung gleich spürbar. Das ist eigentlich der Idealfall. Das ist nicht auf alle Regionen übertragbar in dieser Weise, da haben Sie völlig Recht. Aber da kann ich natürlich nur uns selbst zum Maßstab nehmen.

    Clement: Herr Wieker, wenn man auf die anderen Einsätze schaut, dann hat der Minister gerade in Brüssel angedeutet, dass in einer Nach-Gaddafi-Ära die Bundeswehr auch Aufgaben in Libyen übernehmen könnte, wenn es da um Absicherung von Friedensabkommen geht, um Absicherung von Versorgung. Bereiten Sie sich darauf schon vor?

    Wieker: Wenn ich es richtig verstanden habe, dann hat der Minister lediglich gesagt, dass er sich in einer Ära nach Gaddafi eine Beteiligung und eine Unterstützung am Wiederaufbau Libyens unter deutscher Beteiligung vorstellen kann. Das muss man nicht unbedingt auf den militärischen Bereich verengen. Zunächst einmal muss man ja sagen, Post-Gaddafi ist nur ein Schlagwort. Tatsächlich relevant ist ja der Status des Landes, in dem es sich nach Gaddafi befindet. Haben wir eine legitimierte Übergangsregierung? Hat diese Regierung oder dieser Übergangsrat Kontrolle über die Sicherheitskräfte? Wie ist die Lage bei der Aufstandsbewegung? Stehen möglicherweise diese Kräfte noch in einer konfrontativen Aufstellung? Wenn all das vorliegt, dann erst kann man sagen, welchen Zustand möchte ich jetzt erreichen und welche Unterstützung ist dazu notwendig. Erst dann kann man eigentlich Optionen entwickeln, die dann auch erfüllbar sind.

    Clement: Besteht da die Gefahr, dass man in ein neues Afghanistan schlittert?

    Wieker: Das kann ich so nicht sagen. Es ist in der Tat so, dass wir abwarten müssen, auf welchen Status wir nach Gaddafi schauen und was notwendig ist, um da Land dann sowohl politisch als auch mit Blick auf die Sicherheitslage zu stabilisieren.

    Clement: Die Bundeswehr beteiligt sich ja nicht an den Luftoperationen in Libyen. Sie ist beteiligt in den NATO-Stäben bei der Planung von den Einsätzen und dann im Embargo von See mit der Marine. Nun kommt deutsche Munition noch zum Einsatz.

    Wieker: Ja, das ist nichts Ungewöhnliches. Hier geht es um ein NATO-Standardverfahren, das nicht nur bei Einsätzen, sondern eigentlich durchgängig stattfindet, indem die logistische Agentur, das ist die sogenannte NAMSA, grundsätzlich bei Engpässen alle Nationen abfragt, ob sie diese Mittel bereitstellen können. Jede Nation lässt sich dazu ein und es erfolgt im Grunde ein Ausgleich entweder durch Rücklieferung neuer Munition oder durch Bezahlung.

    Clement: Also das ist ein Verfahren, das ...

    Wieker: Das ist ein Standardverfahren. Nicht nur bei Einsätzen, sondern auch zu Übungszwecken, zum Beispiel bei der Lieferung von Übungsmunition. Wir haben es gelegentlich auch beim Air-Policing gehabt et cetera. Also, das kann man nicht nur auf Libyen verengen.

    Clement: Es gibt ja Einsätze, wo man eigentlich sagen muss, wenn man nichts davon hört, laufen die erfolgreich. Trotzdem mal die Frage – Atalanta, Piratenbekämpfung, wie ist da der Stand der Dinge, was läuft da eigentlich ab?

    Wieker: Erfreulicherweise konnten wir uns gerade in diesem Jahr in der Europäischen Union auf eine Verschärfung der Einsatzregeln verständigen, die aus Sicht des operativen Kommandeurs auch notwendig war. Hier geht es maßgeblich um die Markierung der sogenannten Mutterschiffe, die diese Skiffs tragen, mit denen dann der eigentliche Piratenakt durchgeführt wird. Es geht um die Zerstörung der Skiffe, es geht um die Erlaubnis von Boarding-Operationen bei entführten Schiffen unter einer bestimmten Konditionierung, also wenn keine Geiseln an Bord sind, wenn sich die Besatzung in einem Safe-Room befindet et cetera. All das muss man nun mal abwarten auf seine Auswirkungen. In letzter Konsequenz muss man sagen, wir bekämpfen Symptome, wir bekämpfen nicht die Ursache der Piraterie, die natürlich in Somalia selbst begründet liegt. Und hier ist natürlich Somalia selbst gefordert, das dazu aber gegenwärtig überhaupt nicht in der Lage ist, die tatsächlichen Ursachen der Piraterie zu bekämpfen.

    Clement: Herr Wieker, die sicherheitspolitische Diskussion in Deutschland, wird immer wieder beklagt, läuft nicht richtig gut. Wie kann man die intensivieren?

    Wieker: Ich weiß nicht, ob man hier nicht eine zu hohe Erwartungshaltung zum Maßstab nimmt. Ich denke, gerade über die vergangenen 18 Monate, wenn ich meine Zeit reflektiere, hatten wir hier in Berlin eine sehr intensive politische Diskussion um den weiteren Weg der Bundeswehr und die Neuausrichtung, aber auch eine intensive Diskussion über die Einsätze. Das findet in der breiten Öffentlichkeit so nicht statt, möglicherweise auch aus Mangel an persönlicher Betroffenheit. Die Wahrnehmung in der Bevölkerung ist doch gerade mit Blick auf die Einsätze – das ist weit weg und da wird eigentlich nur ein Schlaglicht erzeugt, wenn negative Ereignisse einschlagen. Insgesamt denke ich, dass die Bundeswehr ganz und gar nicht an mangelnder Reputation leidet. Andere Berufsgruppen würden sich ein Ranking, wie wir es haben, in der Bevölkerung wünschen. Das heißt, wir finden eine interessierte Aufmerksamkeit und ich kann auch nicht recht erkennen, was man zum Maßstab einer solchen öffentlichen Diskussion heranziehen sollte. Die Medienreflektion ist eigentlich sehr zufriedenstellend.

    Clement: Sollten mehr Soldaten an dieser Diskussion teilnehmen?

    Wieker: Nun, wir beide tun das gerade. Ich würde mir in der Tat wünschen, dass hier und da doch etwas offensiver kommentiert wird, auch in meinem nachgeordneten Bereich. Erfreulicherweise ist es so, dass die verantwortlichen Führer, aber auch die Soldaten in den Einsätzen durchaus Stellung beziehen. Und ich denke, das trägt auch zu einem objektiven Gesamteindruck bei.

    Clement: Herr Wieker, wir haben Einsätze besprochen, wir haben die Bundeswehrreform besprochen, wir haben die politische Diskussion in Deutschland besprochen. Wenn ein junger Mensch zu Ihnen kommt, inzwischen ja Frauen und Männer, und Sie fragt, warum soll ich meinen freiwilligen Dienst bei der Bundeswehr tun und nicht irgendwo anders das freiwillige Jahr, was sagen Sie dem oder der?

    Wieker: Weil wir ihm eine sehr interessante Zeit bieten können, zum einen. Weil wir ihm mit diesem freiwilligen Dienst ein Hineinschnuppern in die Streitkräfte gewähren, wie es sich durchaus später als mögliches Berufsbild darstellen kann in unterschiedlichen Laufbahnen bei uns. Weil es ein sehr erfüllender Dienst sein kann, der eine gesellschaftliche Anerkennung findet und er für sich selbst dort sehr viel mitnehmen kann.

    Clement: Herr Wieker, wir danken Ihnen für das Gespräch.

    Wieker: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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