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Wiener Picus Verlag
"Ein bisschen größenwahnsinnig"

Der Wiener Picus Verlag ist für seine Gründer Dorothea Löcker und Alexander Potyka gelebter Luxus. Seit 30 Jahren erscheinen unterm Logo des pochenden Spechts Kinderbücher, Belletristik und literarische Reise-Reportagen.

Von Nils Kahlefendt | 27.02.2015
    Hohe Decken, durch die Fenster geht der Blick direkt aufs Rathaus: Das Palais am Rand der Wiener Josefstadt, 1839 vom Grafen Eugen Czernin erbaut, ist eine noble Adresse für einen kleinen Verlag. Als Alexander Potyka die Räume 1984 günstig anmietete, glaubte er an ein Lockinserat. Doch es war ein Glücksgriff: Nicht nur Kleider machen Leute.
    "Wenn man einen Verlag gründet, ist das ja ein ziemlich waghalsiges Unterfangen. Weil man von Anfang an behaupten muss, gegenüber Autoren, gegenüber Buchhändlern, gegenüber Druckern, dass man etwas kann - was sich aber erst unterwegs herausstellen wird. Und neben unserem klassischen Verlagsnamen hat diese sehr elegante Adresse in einem sehr eleganten Palais uns, glaub' ich, sehr geholfen, eine gewisse Glaubwürdigkeit auszustrahlen - die wir wirtschaftlich nicht hatten."
    Picus nannten Alexander Potyka und Dorothea Löcker ihren Verlag - nach dem König der römischen Sage, der dem Werben der schönen Circe widerstand und deshalb in einen Buntspecht verwandelt wurde. Der gab nicht nur ein hervorragendes Verlags-Signet ab, sondern konnte - seriös und völlig ironiefrei - für die unterschiedlichen Themenfelder stehen, die Potyka und Löcker im Sinn hatten. Ein Architekturtitel und vier Kinderbücher im ersten Programm deuteten bereits jene Vielfalt an, die ihren Verlag bis heute prägt.
    "Wir haben von Anfang an uns nicht auf ein Gebiet beschränken wollen - auch, weil wir das lustbetont gemacht haben. Einen Verlag zu betreiben, ist ein Luxus und ein bisschen größenwahnsinnig. Und wir wollten diesen Luxus auch leben. Und als Leserinnen und Leser, die wir ja auch sind, würden wir uns ja auch nicht auf ein Gebiet beschränken. Ich kenne keinen kultivierten Menschen, der in seiner Wohnung nur Bücher aus einem Segment hat. Das ist sozusagen der eine Grund, warum wir die verschiedenen Gebiete gemacht haben. Der andere war ein ökonomischer: In unterschiedlichen Phasen haben unterschiedliche Gebiete aus unserem Programm das ganze Programm getragen."
    "Wir leben auf einem Markt mit einem unglaublichen Überangebot"
    Die Architektur ist über die Jahre auf der Strecke geblieben, auch zeitgeschichtliche Themen finden sich heute nur noch vereinzelt. 1988, auf dem Höhepunkt der Waldheim-Debatte, war das anders: Da publizierte Picus mit "Wir leben im Verborgenen", den Erinnerungen von Ceijka Stojka, eines seiner folgenreichsten Bücher:
    "Es war die erste Biografie einer Angehörigen der Roma und Sinti im deutschen Sprachraum, die den Holocaust angesprochen hat. Und dieses Buch war für uns nicht nur die Begegnung mit einer wunderbaren Frau, sondern war politisch von großer Bedeutung für Österreich. Weil es am Beginn der Diskussion um diese Volksgruppe gestanden ist. Die Roma und Sinti sind in Österreich - im Gegensatz zu Deutschland - eine anerkannte Minderheit. Und das hat unter anderem dieses Buch bewirkt. Also, es hat eine große, große Auswirkung gehabt."
    Heute finden sich unterm Logo des pochenden Spechts neben Kinderbüchern, Belletristik und ausgewählten Sachbüchern auch literarische Reise-Reportagen. Die Reihe "Lesereisen", in der inzwischen mehr als 200 Titel erschienen sind, bedeutete für den kleinen Verlag einen Quantensprung. Fragt man Alexander Potyka, was Picus-Bücher angesichts der Heterogenität des Programms kennzeichnet, muss der Verleger nicht lang überlegen:
    "Wir leben ja auf einem Markt mit einem unglaublichen Überangebot. Und wir sind der Meinung, all die Mühe, die wir aufwenden, lohnt sich nur, wenn dieses Buch in irgendeiner Weise außergewöhnlich ist. Es stimmt, es muss uns beiden gefallen, das ist das Hauptkriterium. Und nachdem wir aber ja keine Zufalls-Generatoren sind, sondern Menschen, gibt's dann auch eine Linie in dem Ganzen: Ich würde sagen, die Bücher müssen alle eine Wahrhaftigkeit haben. Pathetisch gesagt: Sie müssen der Aufklärung dienen. Wir machen keine Bücher, die irgendwie nur Selbststilisierungen sind. Und von der anderen Seite her angesehen - also, wenn Sie das fertige Buch in der Hand haben - macht ein Picus-Buch aus, dass es mit Sorgfalt produziert ist. Und die Sorgfalt ist eben im Text, in der Ausstattung und in der Art, wie es an die Leute herangetragen wird."
    Von Anfang an hat sich Picus dabei bemüht, im gesamten deutschsprachigen Raum vertreten zu sein. Heute werden etwa 70 Prozent der Bücher in Deutschland verkauft, rund 26 Prozent auf dem heimischen Markt. Das Fehlen potenter österreichischer Verlage ist ein Erbe des Absolutismus; doch nicht nur mit der erdrückenden deutschen Marktmacht haben sich die Independents der Alpenrepublik über Jahrzehnte als Einzelkämpfer herumgeschlagen müssen. Lange Zeit gab es in Österreich keine Ausbildung zum Verlagskaufmann, viele in der Branche kannten nicht einmal ihre Kollegen. Mit der von Potyka mitangeschobenen Arbeitsgemeinschaft österreichischer Privatverlage entstand 1987 endlich ein Netzwerk, dem heute 21 meist kleinere Häuser angehören. Anfang der Neunzigerjahre gelang es der "ARGE" schließlich, das Kunstministerium für eine neue Form der Verlagsförderung zu gewinnen. Ein Modell, das es gerade unabhängigen Verlagen ermöglichen sollte, qualitätsvolle Programme zu machen - und dabei nicht ständig am Rand des Konkurses entlangzuschlittern.
    "Der Paradigmenwechsel war damals, dass von dem Konzept einer Druckkostenförderung, also einer Verlustabdeckung für bestimmte Titel, das Prinzip des "Verlags an sich" gefördert wurde - mit pauschalen Prämien nach Qualitätskriterien. Es gibt eine Jury, die zwei Mal im Jahr tagt. Und die die eingereichten Verlagsprogramme nach ihrer Plausibilität, nach der Stichhaltigkeit beurteilt. Also nicht mehr schaut nur: Sind das gute Texte? Sondern: Ist das, was der Verlag damit tut, auch richtig und sinnvoll?"
    "Wir sind noch nicht am Ende der Entwicklung"
    Als zeitgemäße Old-School-Verleger sehen sich Löcker und Potyka; so wie sich die Welt ständig verändert, wandelt sich ihr Verlag. An die Seite der Autoren, die vor 30 Jahren mit Picus begonnen haben, rücken neue, junge Talente - wie die 1990 geborene, im Burgenland lebende Theodora Bauer, deren turbulenter Debüt-Roman "Das Fell der Tante Meri" schon erste Preise einheimste.
    "Das Großartige ist bei diesem Beruf, dass wir ja nicht nur ständig mit neuen Projekten, mit neuen Hoffnungen, mit neuen Erwartungen zu tun haben. Es ist ein bisschen so ein Lotterie-Effekt auch, dass man dauernd neue Lose kauft. Aber abgesehen davon können wir so wahnsinnig viel lernen. Es ist ja so, dass es kein Jahr gibt, wo wir genau so gearbeitet haben wie im Jahr davor. Wir versuchen ständig, zu optimieren. Und mit "optimieren" meine ich natürlich nicht, wie ein Geschäftsführer eines Großkonzerns, Leute entlassen! Sondern ich meine mit optimieren, Dinge noch besser zu machen. Wieder einen anderen Weg zu finden für gewisse Probleme. Und das ist so wahnsinnig faszinierend und befriedigend, dass wir auch täglich das Gefühl haben: Wir sind noch nicht am Ende der Entwicklung. Wir haben noch etwas vor uns, der Verlag könnte noch besser werden."
    Da fügt es sich, dass Picus, der umtriebige Buntspecht, sein Jubiläum mit einer Krimi-Anthologie feiert: Eine Melange aus absonderlichen Verbrechen, in denen die Zahl "30" eine tragende Rolle spielt. "Mordserfolg" heißt sie - und den wünschen wir dem sympathischen Verleger-Duo im Palais Czernin von Herzen.
    Die von Dorothea Löcker und Alexander Potyka herausgegebene Krimi-Anthologie "Mordserfolg", die 16 Autorinnen und Autoren aus der Geschichte des Verlags versammelt, umfasst 240 Seiten und ist für 15 Euro erhältlich.