Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Wiener Staatsoper
Eine völlig wirre "Elektra"

Von Jörn Florian Fuchs | 30.03.2015
    Von merkwürdigen Ereignissen ist zu berichten, wobei wir vielleicht das Wort "Ereignis" besser durch "Ding" ersetzen sollten. Also reden wir über seltsame Dinge, gesehen auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Graue Wände stehen da herum, links gibt es einen Kohlehaufen und rechts – kein Witz! – einen Paternoster. Dieser ist selten in Betrieb, aber wenn doch, so transportiert er etwa die alte, im Rollstuhl sitzende Klytämnestra oder ihren blassen Gatten Aegisth. Die beiden fallen Orests Rachegelüsten zum Opfer. Dies ist so ziemlich das Einzige, was Uwe Eric Laufenberg klar und vorlagengetreu erzählt. Der Rest ist ein einziger Wirrwarr aus Ideenfetzen, Gedankensplittern und völlig kruden Bildern.
    Zu Beginn werden mehrere junge, hübsche, splitternackte Frauen abgeduscht, am Ende läuft Elektra tänzelnd herum, auf einmal kommen Ballettpaare herbei und bewegen sich nach Elektras Fingerzuckungen. Irgendwann verschwindet die Titelheldin, nur ihre ständig in weißem Hochzeitskleid herumlaufende Schwester Chrysothemis bleibt zurück, blutverschmiert und ängstlich schauend. Kurz vorher transportierte der Paternoster Leichen, Leichenteile, Gedärme und weiteres Gruselgedöns.
    Der Inszenierungsanfang verweist auf ein Mädchenwohnheim oder einen Folterkeller, der Schluss auf eine Alptraumvision von Chrysothemis, wie das zusammen hängen soll, weiß der Geier. Dass Klytämnestra als Herzogin von Alba-Double auftaucht, mag witzig gemeint sein, doch dadurch wird ausgeschlossen, dass sie mit Aegisth irgendetwas Sexuelles verbindet. Eigentlich ist Elektra ja eine Ausgestoßene, die vor dem Palast der Mykene lebt. Da aber der Paternoster von jedermann beliebig und offenbar ohne irgendeine Sicherheitskontrolle benutzt werden kann – auch Orest fährt zum Mordgeschehen einfach eine Etage höher – stimmt schon das ganze Raumkonzept nicht.
    Viele Einzelstimmen sind gut herausgearbeitet
    Die eigentlich verwilderte Elektra trägt ein ordentliches schwarzes Kleid und schleppt die ganze Zeit einen edlen Koffer mit, darin finden sich neben diversen Kleidungsstücken auch das berüchtigte Beil und ein Revolver. Diesen nimmt Orest mit. Damit jedoch erledigt sich die berühmte Klage Elektras, sie habe ihrem Bruder das Beil nicht geben können. Reicht ihm die Knarre nicht? Entgegen der Musik und der Dramaturgie des Stücks dichtet Laufenberg den beiden übrigens eine inzestuöse Beziehung an. Nimmt man noch die recht konventionelle, streckenweise sehr schwache Personenführung hinzu, ist das Debakel komplett. Das Publikum reagierte zu Recht mit einem wahren Buhorkan.
    Leider trafen auch Dirigent Mikko Franck viele Unmutsäußerungen. In der Tat tönt manches zu laut, doch Franck entlockt dem Orchester der Wiener Staatsoper oft eindringliche, schwer parfümierte Klangkaskaden. Viele Einzelstimmen sind gut herausgearbeitet, manch bärbeißig Grobes wird durch lockere, sehr Wienerische Tempi feinsinnig aufgehoben. Anna Larssons Klytämnestra ist schön dunkel getönt, Ricarda Merbeths Chrysothemis nicht nur vokal eine echte Powerfrau. Die großartige Wagnersängerin Nina Stemme gibt ihr Wiener Elektra-Debüt und das gerät zweischneidig. Einerseits fehlt es ihr an Wucht, andererseits fügt ihre oft geradezu lyrische Interpretation der Mordspartie ungewohnte und spannende Facetten hinzu.
    Lange Zeit spielte die Staatsoper Harry Kupfers Elektra-Inszenierung. Diesen Publikumsliebling durch Laufenbergs nicht einmal halbgare Neudeutung zu ersetzen, war keine gute Idee. Aber vielleicht sind die alten Kulissen ja noch irgendwo auf Lager.