Donnerstag, 28. März 2024

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Wiener Zentralfriedhof
"Was da alles liegt…"

Ludwig van Beethoven, Johannes Brahms oder auch Curd Jürgens: Auf dem Wiener Zentalfriedhof sind zahlreiche Musiker, Schauspieler und sonstige Künstler bestattet. Von den meisten Fans aufgesucht werden derzeit aber die Gräber zweier anderer Prominenter.

Von Gisela Jaschik | 10.01.2016
    "Udo Jürgens, das ist jetzt die erste Anlaufstätte. Früher war Falco. Jetzt kommen's alle: Udo. Wir wollen den Udo sehen! Na klar. Der Flügel: sechs Tonnen."
    Christian Schuh ist Fiaker auf dem Wiener Zentralfriedhof. Sein schwarzer Zweispänner parkt an Tor 2, unter hohen Bäumen beim Hauptportal. Mit Lenke und Livi – seinen braven braunen Rössern – kutschiert er Touristen über den Friedhof. Unterwegs hat der Mann in der schwarzen Weste und dem blütenweißen Hemd den Fahrgästen viel zu erzählen, schließlich sei der Zentralfriedhof "ein guter Teil der Geschichte Wiens, Österreichs und Europas. Was da alles liegt,.. viele interessante Persönlichkeiten. Was du da an Denkmälern siehst. Reiche Familien haben sich Denkmäler gesetzt, unglaubliche Sachen."
    Wer gut zu Fuß ist, spaziert am besten selbst spontan los. Am Ende der mit Hecken und Bäumen dichtbepflanzten Hauptallee glänzt die Rundkuppel der Friedhofskirche: prächtiger Jugendstil. Jung und Alt flaniert entspannt über diesen Friedhof, der wie ein gepflegter Landschaftspark wirkt. Manche radeln, selbst Autos sind erlaubt, im Schritttempo. Vorbei geht's an Grabsteinen und –skulpturen aller Art: pompöse Kunst, schlichte Steinplatten:
    "Viele Wiener Kunstschaffende haben in der Gruppe 40 ihre letzte Ruhestätte gefunden. Im übernächsten Grab liegt ... "
    Zu den Grabstätten berühmter Persönlichkeiten leitet ein Audio-Guide. Am Eingang gegen Gebühr auszuleihen. Eine Familie aus Niedersachsen ist damit auf der Suche nach dem Ehrengrab von Udo Jürgens:
    "So, jetzt habe ich berühmte Musiker: Johann-Strauß-Vater. Österreichische Künstler vielleicht. Jürgens, hier! Das ist Curd... Er ist österreichischer Künstler. Ist er nicht 33 G? Aber, das ist noch ne andere Liste. Jetzt kommt's!"
    Eher zufällig sehen sie plötzlich auf einer Rasenfläche ein Gebilde aus weißem Marmor. An der Seite die schwungvolle Signatur von Udo Jürgens. Einige Frauen mittleren Alters stehen davor, unterhalten sich. Eine legt eine Rose auf den markanten Grabstein:
    "Wir wollten Strauß und dergleichen sehen. Wegen Udo wären wir jetzt nicht extra hergefahren. Aber jetzt sind wir grad mal da, und da geht man hier auch vorbei, klar."
    Die Hamburgerin ist auf Gruppenreise in Wien. Eifrig macht sie von allen Seiten Fotos von Udo Jürgens Grabdenkmal:
    "Es war nicht so meine spezielle Musikrichtung. Ich hab viele in meinem Bekanntenkreis, denen ich damit vielleicht eine Freude mache, wenn ich Bilder mache. Vom Flügel bin ich enttäuscht. Ich war ja so gespannt. Ich würde nicht vermuten, dass sich darunter ein Flügel verbirgt."
    Mit einer Freundin ist Marion Zenk aus München angereist. Die 70-Jährige mit dem hochgesteckten Blondhaar umrundet die Grabstätte und plaudert munter drauflos. Opernsängerin sei sie gewesen und kein Udo-Fan. Na ja, eigentlich:
    "Nur teilweise, bedingt. Ich fand schon: er war großartig. Heute wollte ich unbedingt das Udo-Jürgens-Grab sehen. Grad wegen dieser Konzeption. Sein Bruder hat das konzipiert. Ah, da gehört ihm die ganze Ecke? Na ja... Ich hab leider niemand, der den Udo gemocht hat in meiner Familie. Aber er war ein großer Show-Man. Aber ich war nie in einem Konzert. Ja, Udo mach's gut da droben. Weiß net, ob er gläubig war. Er wird's uns nicht verraten."
    "Und Falco suche ich noch!"
    Weitere Besucherinnen bleiben stehen, legen Blumen ab, Gedichte in Bilderrahmen. Kerstin Muth aus Hannover hat ihren Mann im Schlepptau . Distanziert tippt er auf seinem smartphone herum:
    "Ich glaube, er ist mir zuliebe mitgekommen. Ich finde alte Friedhöfe immer sehr interessant, mit den Grabsteinen. Wenn ich einmal hier bin, wollte ich es gern mal sehen. Fan würde ich nicht sagen. Ich mochte seine Musik sehr gern, die begleitet einen irgendwie."
    Gesprächsthema Nummer eins unter den Frauen: der ganz ungewöhnliche Grabstein:
    "Gefällt mir nicht so gut. Also, das hatte ich mir anders vorgestellt. Find ich so'n bisschen zu mächtig. Hätt ich gedacht, dass die Familie was Moderneres, Schlichteres vorzieht. Ich weiß nicht, war das eigentlich abgesprochen? Und dass der gleich verbrannt worden ist und so.
    Aber, da sind ja noch so viele Grabstätten berühmter Menschen zu erkunden."
    "Ja, auf jeden Fall. Ich suche Beethoven noch. Den hab ich noch nicht gefunden. Eben war ich noch bei den alten Schauspielern: Hans Moser, Theo Lingen. Das fand ich auch ganz schön. Und Falco suche ich noch! Das sieht auf dem Bild etwas moderner, futuristischer aus. Mal schauen, wie mir das gefällt.
    Das Ehepaar aus Hannover hat gerade eine Friedhofs-App entdeckt:
    "In der 300.000 Menschen gespeichert sind. Sowas Beknacktes überhaupt zu entwickeln. Ich fass es nicht: ne Friedhofs-App!"
    Diese führt ohne große Umwege, zum sogenannten Ehrenhain:
    "Müsste jetzt nächste Reihe, hinter den Ehrenreihen..."
    Falcos Grab ist eines der meist besuchten Gräber in der Gruppe 40. Ein drei Meter hoher Obelisk überragt alle anderen Grabsteine: Falcos Grab ist nicht zu übersehen. 1998 verunglückte der österreichische Rock-me-Amadeus-Barde tödlich. Bis heute pilgern Fans und Neugierige an seine letzte Ruhestätte, bringen Blumen und persönliche Grußbotschaften. Eine bogenförmige Panzerglasscheibe mit der lebensgroßen Figur des Musikers überspannt das Grab in voller Länge. Kerstin Muth nickt zustimmend:
    "Also, passt zu ihm. Bisschen exzentrisch, ein ungewöhnliches Grab. Ist das von Udo ja auch. Aber das spricht mich halt nicht so an. Find ich bisschen antiquiert. Dieses gefällt mir besser, ja. Aber ist ja alles Geschmacksache."
    Hinter der Hecke steigen Besucher aus einem Fiaker. Ein Touristenpaar aus dem Westerwald ist erstmals auf dem Zentralfriedhof in Wien.
    "Ich hab sehr viel darüber gelesen. Und jetzt durch Udo Jürgens nochmal verstärkt. Also, wenn unser Reiseführer das nicht gesagt hätte, ich hatte beim Vorbeifahren nur gedacht: wat is dat für ne weiße Kiste. Dann sind wir natürlich gucken gegangen. Aber, es kommt mir gar nicht vor wie'n Flügel. Ich hab's mir anders vorgestellt. Hier mit dem Falco, ist mal was ganz anderes. Also, wenn man so 'nen Friedhof sieht, dat is schon doll. Vom Falco, so wie er gelebt und sich dargestellt hat, hätte ich nicht so'n Schlichtes gedacht. Ungewöhnlich schon, aber trotzdem schlicht, find ich."
    Ganz in der Nähe von Beethovens Grabstätte mit dem imposanten Denkmal, ist die Münchnerin Marion Zenk jetzt unterwegs. Beim Besuch unzähliger Gäber berühmter Persönlichkeiten falle ihr vor allem auf:
    "Dass wenig Kreuze sind. Also, ich bin ja katholisch, christlich, wenn's wollen. Und dass das gar nicht so üblich mehr ist, auch bei den Künstlern.. Da ist jetzt a Kreuz wieder mal.. "
    Übrigens: Gleich hinter der nächsten Hecke sei ein Prominenten-Grab, dass man sich nicht entgehen lassen sollte, wie sie sagt:
    "Das Grab vom Hrdlicka, von diesem ... haben Sie's gesehen, dieser nackte Torso? Das wär vielleicht in Deutschland gar nicht möglich, so´nen nackten halbkaputten Mann. Und da nen Pferdehuf, Pferdefuß. Na, der war ja auch umstritten, der Hrdlicka.. war ein großer Wiener Künstler natürlich. War ich eigentlich entsetzt. Die sind da viel offener. Bei uns ist alles strenger. Ja, also a Künstler. Also, ja – ich muss zurück."
    Alfred Hrdlicka – nach seinem Tod vor sechs Jahren war der ebenso bekannte wie umstrittene Wiener Bildhauer fast noch mehr im Gespräch als vorher. Die von ihm selbst geschaffene liegende Bronzebüste "Liebesakt mit dem Tod" sorgte für reichlich Gesprächsstoff - und viel Besuch am Grab. Es scheint zu stimmen, was man in Wien eh schon lange weiß – und was auch der Audio-Guide sagt:
    "Von Helmut Qualtinger stammt der legendäre Ausspruch: In Wien musst du erst sterben, bevor sie dich hochleben lassen. Aber, dann lebst du lange."