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Wiki-Schummler im Visier

US-Student Virgil Griffith will mit einem sogenannten Wiki-Scanner interessengeleitete Änderungen in der Online-Enzykloplädie Wikipedia entlarven. Der Scanner soll anhand der IP-Adressen anzeigen, wer Änderungen vorgenommen hat. Mathias Schindler, Vorstand von Wikimedia e.V, begrüßte das Bemühen um mehr Transparenz.

22.08.2007
    Stefan Koldehoff: Das Internet-Lexikon Wikipedia, 2001 gegründet, hat sich längst zu einer der größten weltweit verfügbaren Enzyklopädien entwickelt. Das Prinzip ist einfach: Wer etwas weiß, schreibt es hinein, wer Fehler entdeckt, verbessert sie. Auf diese Weise sind in den vergangenen sechs Jahren rund 630.000 Artikel entstanden, und täglich kommen neue hinzu.

    Die Bekanntheit von Wikipedia wird längst auch missbraucht. Dass Politiker wie Unternehmen wie Privatpersonen die Website benutzen, um ihre ganz eigene Sicht auf bestimmte Dinge als allgemeingültig zu verkaufen, das ist seit Langem kein Geheimnis. Die US-Supermarktkette Wal-Mart tilgte zum Beispiel Hinweise auf Lohn- und Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter, und selbst CIA und Vatikan manipulierten Texte zu bestimmten Themen in ihrem Sinne.

    Der amerikanische Student Virgil Griffith hat nun ein unabhängiges Internet-Programm mit Namen Wiki-Scanner geschrieben, das es möglich macht, solche Veränderungen nachzuvollziehen, konkret also zu sehen, wer was wie wann umgeschrieben hat. Das Programm listet nämlich zu jedem Eintrag akritisch die sogenannten IP-Adressen auf, aus denen hervorgeht, von welchem Computer aus verändert wurde. Frage an Mathias Schindler, Vorstand von Wikimedia e.V.: War eine solche Kontrolle bislang denn überhaupt nicht möglich?

    Mathias Schindler: Seit der Gründung von Wikipedia sind alle Änderungen an Artikeln einsehbar. Wenn die Person nicht angemeldet ist, dann wird ihre IP-Adresse angezeigt, das heißt, jede Person in Wikipedia, die muss selbst angemeldet sein, kann die IP-Adresse nachvollziehen, kann schauen, wo kommt die Person her, und kann dann dementsprechend auch eine Beziehung zu einer Firma oder zu einer Organisation setzen.

    Koldehoff: Was ist denn jetzt das Neue an diesem Wiki-Scanner?

    Schindler: Der Wiki-Scanner macht das etwas bequemer. Sie haben nicht mehr eine einzelne IP-Adresse, die Sie mühsam nachvollziehen können, sondern Sie können nachschauen, welche IP-Adressen gehören einer bestimmten Firma, und so kann ich diese ganzen IP-Adressen auf einen Schlag nachvollziehen.

    Koldehoff: Konkret also, ich lese bei Wikipedia einen Artikel über den Irak-Krieg, wundere mich, dass der Irak-Krieg dort als ausschließlich positive Aktion dargestellt wird, gebe diesen Artikel dann in den neuen Wiki-Scanner ein und stelle fest, den Artikel hat geschrieben ein gewisser Herr Bush mit einer IP, also einer Internet-Adresse im Weißen Haus, und weiß dann, woher der Wind weht?

    Schindler: Wenn George W. Bush die Zeit hat, in der Wikipedia zu arbeiten, und er sich nicht an die Regeln hält von Neutralität, von Quellennennung, dann werden Sie wahrscheinlich diesen Artikel so nicht sehen, dann werden Sie ihn höchstens in der Versionsgeschichte sehen, dass mal jemand mit dieser IP-Adresse da was versucht hat zu editieren. Der Wiki-Scanner zeigt eigentlich relativ deutlich, dass das, was in den Medien gerade rumgereicht wird, diese Veränderungen, dass die keinen langen Bestand haben. Man entdeckt sie, man hält sie in der Regel für unbrauchbar, und man korrigiert das in der Form.

    Koldehoff: Gibt es so eine Art Wikipedia-Polizei, also eine Gruppe von Usern, die sich quasi dazu berufen fühlt, solche Sachen aufzuspüren, oder wer ist dieses "man", von dem Sie gerade gesprochen haben - man sieht es, man korrigiert es?

    Schindler: Also wenn Sie wollen, dann kann dieser "man", das können Sie sein. Wenn Sie ein bisschen Zeit haben, wenn der Deutschlandfunk Ihnen Freiräume lässt, können Sie zum Beispiel sich ein paar Minuten nehmen und schauen, ob in der Wikipedia die Artikel neutral gehalten sind und dann mithelfen, die neutral zu halten.

    Koldehoff: Wie sieht denn Wikipedia Deutschland diesen Scanner? Ist das eher eine Einmischung in innere Angelegenheiten von Wikipedia, oder wird das betrachtet als durchaus sinnvolle Ergänzung der Arbeit?

    Schindler: Wir sehen diesen Wiki-Scanner extrem positiv, weil: Er macht genau das, was wir seit Jahren den Leuten sagen: Schaut euch die Inhalte an, schaut nicht nur den Artikeltext an, sondern halt eben auch die Metadaten, die wir sonst bereitstellen. Virgil Griffith hat jetzt genau das gemacht. Er hat die Daten von "download.wikipedia" heruntergeladen, hat die analysiert und stellt einen Service bereit für Menschen, um die Artikel besser nachvollziehen zu können.

    Koldehoff: Bislang gibt es diesen Scanner "nur" in Anführungsstrichen für die englischsprachige Version von Wikipedia. Wissen Sie denn von Virgil Griffiths, dem Entwickler, ob das auch für die deutsche Fassung geplant ist?

    Schindler: Ich habe heute Morgen mal die Chance gehabt, in einer sehr, sehr frühe der deutschsprachigen Ausgabe des Wiki-Scanners nachzuschauen. Da sind noch nicht alle Edits eingebaut, es ist noch sehr langsam. Virgil Griffith arbeitet ja als Privatperson in dem Fall und hat auch noch ein paar Bemühungen, das Ding jetzt am Laufen zu halten, wo alle Welt da nachschaut. Das, was ich mir angeschaut habe, war zum Beispiel die Edit-Historie des Deutschlandfunks. Also alle Personen des Deutschlandfunks, die mitgearbeitet haben an Wikipedia, das sind 200 Änderungen, 250, und davon sind die meisten richtig schön. Das sind Korrekturen, das sind Tippfehlerverbesserungen, das sind ein paar Aktualisierungen, auch teilweise in Bereichen, die im Deutschlandfunk relevant sind. Und, ja, so soll das doch eigentlich sein.

    Koldehoff: Also niemand, der so platt war, Sätze hineinzuschreiben, die zum Beispiel lauten, schalten Sie nie wieder einen anderen Sender ein, hören Sie nur noch den Deutschlandfunk?

    Schindler: Nein, bisher nicht, vielleicht kann es sein, dass mal jemand sich angemeldet hat und das geschrieben hat, aber auch so kann man ja sich jetzt gerade als Leser vergewissern, dass das im Moment so nicht in Wikipedia drin steht.

    Koldehoff: Obwohl es doch stimmt. Mathias Schindler war das, vielen Dank, Vorstandsmitglied des deutschen Wikipedia-Vereins Wikimedia e.V.