Freitag, 29. März 2024

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WikiLeaks-Enthüllungen
"Wir fordern eine lückenlose Aufklärung"

Die WikiLeaks-Enthüllungen über Hackerangriffe der CIA seien ernstzunehmen, sagte der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer im Deutschlandfunk. Er forderte eine lückenlose Aufklärung, da schwerwiegende Vorwürfe im Raum stünden. Zugleich zeigte er sich skeptisch, dazu "von den US-Amerikanern fundierte Informationen zu bekommen".

Stephan Mayer im Gespräch mit Sandra Schulz | 09.03.2017
    Stephan Mayer, Mitglied des CDU/CSU-Fraktionsvorstandes im Bundestag (CSU), aufgenommen am 18.12.2014 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner".
    Stephan Mayer (CSU) (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Sandra Schulz: Smartphones, Computer, Fernseher, egal ob ein- oder ausgeschaltet – nach den jüngsten Veröffentlichungen von Wikileaks scheint, wirklich nahezu kein internetfähiges Gerät sicher zu sein vor Hacker-Angriffen. Und der US-Geheimdienst CIA, der löst – auch das legen die Veröffentlichungen nahe – einmal mehr den Anspruch ein, dass die USA das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind. Vor wenigen Minuten konnte ich darüber mit Stephan Mayer sprechen, dem innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und als erstes habe ich ihn gefragt, ob Wikileaks jetzt die Spionageabwehr für Deutschland übernimmt.
    Stephan Mayer: Das ist mit Sicherheit nicht so, und da muss man auch einen klaren Unterschied ziehen. Das Interesse von Wikileaks ist es nicht, Spionageabwehr in deutschem Interesse zu betreiben, wie es die Aufgabe insbesondere des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist, das dieser Aufgabe aus meiner Sicht auch sehr ordentlich und auch sehr umfänglich nachkommt. Diese Enthüllungen sind gleichwohl ernst zu nehmen. Sie werden nicht nur in Deutschland ernst genommen; sie werden hoffentlich auch vor allem in den USA ernst genommen. Und natürlich muss diesen Vorwürfen auch sehr nachdrücklich nachgegangen werden und wir fordern natürlich eine lückenlose Aufklärung. Ich sage aber auch ganz offen dazu: Nach den Erfahrungen der Vorgänge nach den Snowden-Enthüllungen wird es aus meiner Sicht relativ schwer werden, von den US-Amerikanern hier wirklich fundierte Informationen und umfangreiche Sachverhaltsdarstellungen zu bekommen.
    "Es kann natürlich auch zu strafrechtlichen Ermittlungen kommen"
    Schulz: Das heißt, der Satz, der ja die große Lektion auch aus dieser NSA-Affäre war, Abhören unter Freunden, das geht sehr gut, der gilt fort?
    Mayer: Da bitte ich wirklich erst mal um eine gewisse Zeit, auch um diesen Vorwürfen nachzugehen. Es sind jetzt bestimmte Vorwürfe im Raum, die sind sehr schwerwiegend. Aber es ist ja noch überhaupt nicht klar, wer mittels dieser Abhörmaßnahmen Gegenstand der Spionage war, ob dies Deutsche waren. Eines muss auch feststehen: Wenn ein Rechtsbruch in Deutschland vorliegt, durch US-Amerikaner beispielsweise, dann muss diesem auch nachdrücklich nachgegangen werden, sprich dann muss auch der Generalbundesanwalt Ermittlungen aufnehmen. Aber so weit sind wir jetzt noch nicht. Es gibt jetzt diese Dokumente, die müssen auf Plausibilität, auf Echtheit überprüft werden. Dann kann man weitere Schritte einleiten. Und wie gesagt: Wenn der Vorwurf erhoben würde oder wenn der Vorwurf erhoben wird, dass die US-Amerikaner beispielsweise vom Generalkonsulat in Frankfurt aus auch deutsche Behörden, deutsche Unternehmen oder deutsche Staatsbürger ausgespäht hätten, dann wäre dies ein sehr schwerwiegender Vorwurf. Aber es gibt noch überhaupt keine Hinweise und Indizien, selbst nach den jetzt vorliegenden Dokumenten, dass dem so ist.
    Schulz: Das sind in der Tat viele Dokumente. Vieles muss auch inhaltlich erschlossen werden, vieles noch auf seine Authentizität geprüft werden. Aber wenn sich das so bewahrheitet, da sprechen wir ja über ausgesprochen schwerwiegende Straftaten. Das könnte dann bis hin zur Konsequenz von Ausweisungen gehen?
    Mayer: Das könnte dann natürlich auch im Extremfall bis zur Konsequenz Ausweisungen gehen. Aber Ausweisungen sind aus meiner Sicht hier noch gar nicht das schärfste Mittel. Es kann natürlich auch zu strafrechtlichen Ermittlungen kommen. Die Frage ist dann wieder, steht den Personen, die Gegenstand dieser Ermittlungen sind, möglicherweise diplomatische Immunität zu. Aber wie gesagt, soweit sind wir jetzt noch gar nicht. Es gilt hier, zwar nichts auf die lange Bank zu schieben, aber man muss hier trotzdem, auch trotz dieser schwerwiegenden Vorwürfe aus meiner Sicht aufpassen und sich davor hüten, vorschnell Konsequenzen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber natürlich stehen auch mögliche strafrechtliche Ermittlungen insbesondere durch den Generalbundesanwalt im Raum.
    Schulz: Wir sprechen über Aktivitäten, die von Frankfurt am Main aus gesteuert worden sein sollen. Gehen Sie davon aus, dass die Bundesregierung davon was wusste?
    Mayer: Davon gehe ich persönlich nicht aus. Aber wie gesagt, das sind alles Dinge, die jetzt erst aufzuklären sind. Aber ich kann es mir, ehrlich gesagt, beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Bundesregierung, dass Mitglieder der Bundesregierung, aber auch, dass andere Bundesbehörden, sage ich hier auch ganz bewusst, auch insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz von diesen Vorgängen, von diesen Vorkommnissen wusste. Man muss ehrlicherweise auch wieder jetzt dazu sagen, dass diese Dokumente insbesondere ja eine Urheberschaft haben in Langley, also im Hauptquartier der CIA in der Nähe von Washington. Man muss, wenn man diesen Vorwürfen konkret auf den Grund gehen will – und das sollte man nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern -, natürlich auch sich immer vor Augen führen, was ist tatsächlich wo passiert, welche Aktivitäten sind in den USA entfaltet worden, welche Aktivitäten sind in Frankfurt am Main, möglicherweise auch in anderen europäischen Städten entfaltet worden. Deswegen ist es aus meiner Sicht zum jetzigen Zeitpunkt viel zu früh, konkrete Bewertungen und vor allem dann auch Schlussfolgerungen vorzunehmen.
    Schulz: Sie haben das Wort Aufklärung jetzt ganz oft benutzt. Das schreit danach und die Forderung steht ja auch schon im politischen Raum, dass wir wieder einen Untersuchungsausschuss sehen.
    Mayer: Natürlich ist auch ein Untersuchungsausschuss denkbar und man sollte sich, glaube ich, zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht gegen einen Untersuchungsausschuss stellen. Das mag dann möglicherweise auch eine Aufgabe des neu gewählten deutschen Bundestages in der nächsten Legislaturperiode sein. Das ist mit Sicherheit in dem Instrumentenkasten, der uns zur Verfügung steht, neben strafrechtlichen Ermittlungen, neben diplomatischen Vorgängen, sprich auch dem bilateralen Konfrontieren der US-Regierung mit diesen Vorwürfen, natürlich auch ein Mittel, dass sich der Deutsche Bundestag mit einem Untersuchungsausschuss diesen Dingen zuwendet. Ich bin auch der Überzeugung, der Deutsche Bundestag hat hier ein Stück weit auch eine Vorbildfunktion eingenommen. Ich würde sogar sagen, weltweit nach den Enthüllungen der Snowden-Dokumente. Ich bin der festen Überzeugung, dass es in keinem Land der Welt eine so intensive Beschäftigung mit diesen Snowden-Dokumenten und mit den Enthüllungen gab wie in Deutschland. Natürlich steht auch ein erneuter Untersuchungsausschuss im Raum, aber ich möchte wirklich noch mal ausdrücklich betonen – und das ist nicht dazu gedacht, jetzt die Dinge auf die lange Bank zu schieben oder irgendetwas zu verschleiern -, zum jetzigen Zeitpunkt ist es beileibe viel zu früh, konkret zu sagen, mit welchen Mitteln man jetzt hier den Dingen auf den Grund gehen will.
    Schulz: Herr Mayer, das liegt jetzt auch wieder daran, dass wir über das Geschäft der Geheimdienste sprechen. Aber strukturell ist das doch eine Situation, die ganz ähnlich ist dieser NSA-Affäre. Und das war strukturell so, dass man nach und nach rauspulen musste, ganz mühsam rauspulen musste, wer da was gewusst hat. Was hat die Bundesregierung denn gelernt aus dieser NSA-Affäre?
    Mayer: Ich bin schon der festen Überzeugung, dass die Bundesregierung insoweit "gelernt" hat aus der NSA- oder aus der Snowden-Affäre, dass man natürlich offener, schneller, klarer kommunizieren muss.
    "Dokumente erst einmal auf Authentizität, auf Plausibilität überprüfen"
    Schulz: Aber das ist doch jetzt alles überhaupt nicht der Fall.
    Mayer: Es ist jetzt zwar nicht meine Aufgabe, die Bundesregierung in Schutz zu nehmen. Aber mit Verlaub: Diese Dokumente sind jetzt noch keine 48 Stunden im Netz. Und jetzt zu erwarten, dass die Bundesregierung sich voll umfänglich äußert zu diesen Dokumenten, das wäre aus meiner Sicht beileibe zu viel verlangt, zu einem Zeitpunkt, zu dem sich nicht einmal die US-Administration, der US-Präsident in der Lage sieht, sich wirklich substantiell zu diesen Dokumenten zu äußern. Selbst die US-Regierung weist darauf hin, dass sie diese Dokumente erst einmal auf Authentizität, auf Plausibilität überprüfen muss, auf Aktualität. Sie streitet nichts ab, aber sie kann zum jetzigen Zeitpunkt auch noch nichts eingestehen. Wenn nicht einmal die Administration, zu deren Behörde diese Dokumente gehören, jetzt in der Lage ist, sich zu äußern, dann wäre es wirklich zu viel verlangt, wenn man jetzt schon umfassende und substantiierte Äußerungen der Bundesregierung erwarten würde.
    Schulz: Wie vertrauensvoll wird die Zusammenarbeit dann angesichts dieser schwerwiegenden Vorfälle - schon alleine wegen des Umstandes, dass die CIA selbst nicht weiß, was da los ist -, wie vertrauensvoll wird die Zusammenarbeit da künftig sein können?
    Mayer: Die kann und wird auch vertrauensvoll sein. Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass außerhalb Europas die USA und vor allem auch US-Nachrichtendienste die mit Abstand wichtigsten Partner Deutschlands sind. Das soll jetzt auch nicht beschwichtigend wirken und als Ausrede wirken, aber wir stehen derzeit in einer sehr hohen Bedrohungssituation, Deutschland genauso wie die USA, aber auch viele andere europäische Länder.
    Schulz: Stephan Mayer, der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk im Interview.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.