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WikiLeaks - Willkommen auf Island

WikiLeaks-Gründer Julian Assange wird international gesucht, kann sich offenbar vorstellen, in Island Asyl zu beantragen - und Island freut sich darüber: Denn die Aufklärung von Korruption und Misswirtschaft tut Not.

Von Philipp Boerger | 03.12.2010
    " ... Where is Julien today?” – "Well that's a mystery. No comment”. – "You are in touch with him?” – "Yes.”"

    Seit Monaten verteidigt Birgitta Jónsdóttir WikiLeaks-Gründer Julian Assange wie in diesem Fernsehinterview des Senders ABC. Sie ist Abgeordnete des isländischen Parlaments.Der WikiLeaks-Gründer Assange durfte sich in Island bisher frei bewegen, er ist hier gewissermaßen Ehrengast. Nach der Finanzkrise hatte die isländische Regierung beschlossen, die freiheitlichsten Mediengesetze der Welt zu entwickeln – damit Korruption und Misswirtschaft in Zukunft früher aufgedeckt werden. Was lag da näher, als Julian Assange zu Beratungen auf die Insel zu holen? WikiLeaks hatte damals entlarvende Dokumente der isländischen Kaupthing Bank veröffentlicht. Mit emotionalen öffentlichen Auftritten machte sich Assange schnell bei der Bevölkerung beliebt.

    ""The people of Iceland are very great Patriots. Americans have a lot to learn from this people.”"

    Auch an dem Tag im März, an dem die Isländer in einer Volksabstimmung zu über 90 Prozent NEIN sagten zur Rückzahlung der internationalen Icesave-Bankschulden, stand Julien Assange auf einer Bühne direkt vor dem Parlament. Und forderte die Revolution.

    ""Take it back from these criminal bankers who put you into this mess. United we stand, divide we fall! You are an example for a world wide revolution!"
    Nur drei Monate danach verabschiedete das Parlament mit den Stimmen aller Parteien die neuen Gesetze zur Sicherung der Pressefreiheit, des Zeugenschutzes und der Datensicherheit. (http://www.immi.is)

    Seitdem ist Island ein wichtiger Standort für die WikiLeaks-Server.
    Und erst vor zwei Wochen gründete das Unternehmen in Island ganz offiziell die Firma Sunshine Press Productions. Nach eigener Auskunft will die Firma hier Videos und Zeitungen produzieren.

    Auch das ursprünglich geheime Video, das zeigt, wie amerikanische Soldaten aus einem Hubschrauber heraus wahllos irakische Zivilisten niederschießen, wurde in Island bearbeitet und von dort aus verbreitet. Im Abspann des Videos werden zahlreiche isländische Mitarbeiter namentlich erwähnt. Auch die Politikerin Birgitta Jónsdóttir.

    "Das ist das Privileg eines kleinen Landes. Es hat den Mut eines kleinen Hundes, der es mit einem großen Hund aufnimmt. Manchmal hat das Konsequenzen. Manchmal nicht."

    Die 43-jährige mit kurzem Pony und Pferdeschwanz bezeichnet sich auf ihrer Internetseite (http://this.is/birgitta/) als Künstlerin, Menschenrechtlerin, Webentwicklerin – als eigentlich alles – bloß nicht als Politikerin. Als solche verdient Birgitta Jónsdóttir im isländischen Parlament Althingi aber ihr Geld. Sie ist die perfekte Unterstützung für Assange – sie hat den Antrag für neue Mediengesetze im Parlament erst populär gemacht. Assange rechnet durchaus damit, dass er eines Tages ins Gefängnis muss. Das Prinzip von WikiLeaks wird aber dennoch weiterleben, glaubt er.

    "Die Chance, dass ein Informant enttarnt wird, ist doch sehr, sehr klein. Unsere anonymen Enthüllungshelfer sind auf der ganzen Welt zuhause. Da wird eher mal einer vom Auto überfahren als geschnappt. Was WikiLeaks macht, ist im Grunde Anarchie . Normale Journalisten können unsere Arbeit nicht leisten, denn jeder weiß, wer sie sind und die Namen ihrer Quellen müssen sie auch meistens verraten. Natürlich werden Geheimnisverräter ab und zu enttarnt, aber die Mehrheit bleibt unentdeckt. Auch wenn die Stimmungsmache gegen uns immer aggressiver wird."

    Auf den isländischen Servern werden die Dokumente von WikiLeaks vorerst bleiben. Denn im Internet prallen mehr als hundert verschiedene internationale Rechtsordnungen aufeinander. Island hat sich die liberalsten davon ausgesucht und per Gesetz auf die Bedürfnisse von WikiLeaks zugeschnitten.

    Dazu schreiben sich die 320.000 Isländer gerade eine neue Verfassung: Am letzten Samstag wurde ein Konvent aus 25 Männern und Frauen gewählt. Sie sollen bis April einen neuen Grundgesetztext ausarbeiten. Ganz oben auf der Wunschliste der Bürger stehen Werte wie Ehrlichkeit und Transparenz von politischen Entscheidungen.