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Wikileaks

Wikileaks möchte helfen, Missstände aufzudecken: Die vor zwei Jahren gegründeten Website veröffentlicht brisante Regierungs- und Konzerndokumente, deren Glaubwürdigkeit geprüft wird. So kamen Journalisten und Bürger durch Wikileaks schon manchem Betrug und Skandal auf die Schliche.

Von Manfred Götzke | 19.12.2009
    Kenia im Jahr 2002: die Bevölkerung ist die Regierung und die allgegenwärtige Korruption leid und wählt Mwai Kibaki zum Präsidenten. Der macht den Journalisten John Githongo zum obersten Korruptionsbekämpfer des Landes. Doch nach kurzer Zeit im Kabinett merkt Githongo: die neue Regierung ist genauso korrupt wie die alte.

    Kurzerhand nimmt er verdeckt Gespräche mit Ministern auf und weist so deren Bestechlichkeit nach. Githongo bekommt Angst um sein Leben, flieht nach Großbritannien und veröffentlicht seine Informationen - aber nicht etwa bei der BBC, sondern auf der Internetseite Wikileaks.

    Dieser Githongo-Report ist einer der größten Erfolge von Wikileaks, sagt Daniel Schmitt, der in Deutschland die Seite betreut. Schließlich hatte er großen Einfluss auf die Präsidentenwahl 2007

    "Es gibt die Annahme, dass 10 bis 15 Prozent der Stimmen durch diesen Report beeinflusst wurden, in allen Nachrichten wurde das Thema besprochen. Jeder in Kenia wusste davon."

    Wikileaks ist eine offene Internetplattform, auf der jedermann brisante Dokumente veröffentlichen kann. Einzige Bedingung: sie müssen echt sein. Weltweit arbeiten mittlerweile 1200 Menschen an dem Projekt. Journalisten, Menschenrechtler, Informatiker. Sie eint der Gedanke, gegen Korruption und das illegale Verhalten von Regierungen und Konzernen vorgehen zu wollen. Eigentlich eine Kernaufgabe der Medien - doch in vielen Redaktionen fehlt heute das Geld für investigative Recherchen.

    "Die Grundidee war, dass der investigative Journalismus, den wir als wichtigsten Mechanismus für die Gesellschaft verstehen, akut bedroht ist, es gibt immer mehr eher oberflächliche Berichterstattung: Richtung Entertainment, Popkultur, diese ganzen Sachen, die uns eigentlich ablenken, von dem, was wichtig ist."

    Mit Wikileaks haben Journalisten jetzt eine kostengünstige Quelle für brisantes Material - und Informanten eine neue Möglichkeit, ihr Wissen zu teilen.

    "Wir schließen die Lücke, dass es keinen Service gibt für den Bürger, der, wenn er von etwas Korrupten weiß, etwas moralisch nicht akzeptablen - an den er sich wenden kann, um diese Information abzugeben - unabhängig, davon dass man Journalisten kennt, den er vertraut."

    Um die Echtheit eines Dokuments zu festzustellen haben die Wikileaks-Leute verschiedene Mechanismen entwickelt. Informatiker prüfen, mit verschiedenen Tests, ob Material technisch manipuliert wurde. Dann kontaktieren die Mitarbeiter Experten, die sich mit dem entsprechen Thema auskennen.

    Hans Leyendecker, investigativer Journalist bei der Süddeutschen Zeitung ist dennoch skeptisch.

    "Es ist eine Quelle, die man sich anschauen kann, aber man sollte damit keine zu große Hoffnung verbinden, es ist ein Steinchen, das man einsehen kann, aber ob es einem ernsthaft weiterhilft , weiß man nicht. Man kann manchmal nicht erkennen, was ist echt, was gefälscht, und das zweite ist, die Unterlagen liefern doch nur bestenfalls Ansatzpunkte für eine umfassende Recherche, mehr nicht."

    Mittlerweile stehen 1,2 Millionen Dokumente auf der Seite. Die Informanten sind auch deshalb so zahlreich, weil sie anonym bleiben können. Bevor eine Datei auf der Seite landet, leiten es die Wikileaks-Leute über Computer in Ländern mit starken Pressegesetzen. Klagt jemand gegen Wikileaks, greifen dann etwa die weitgehenden Presserechte von Schweden oder den USA. Scientology, das Bankhaus Julius Bär und die iranische Regierung sind schon gegen Wikileaks juristisch vorgegangen - ohne Erfolg.

    Auch die meisten Mitarbeiter bleiben anonym. Daniel Schmidt hat eigentlich einen anderen Namen, er ist der einzige aus Deutschland, der überhaupt an die Öffentlichkeit geht. Wer politische Skandale aufdeckt, lebt gefährlich.

    "Natürlich schütze ich mich auch selbst, dadurch dass ich verschiedene Nummern für verschiedene Arbeiten habe. Anfang des Jahres sind zwei unserer Leute in Kenia ermordet worden, das war für mich der Moment in dem ich daran erinnert wurde, dass es gut ist, meinen Namen nicht zu veröffentlichen. Nicht, dass hier dieselben Verhältnisse herrschen, aber es ist immer die Frage, wie viele Ressourcen die Leute investieren, um Probleme aus der Welt zu schaffen."

    So gefährlich die Mitarbeiter leben - für Oppositionelle oder Dissidenten in Ländern ohne Pressefreiheit ist mit Wikileaks ein wichtiges Instrument entstanden, heikles Material an die Öffentlichkeit zu leiten - mit relativ geringem Risiko für sie selbst.

    Daniel Schmitt hat bis vor ein paar Monaten als Informatiker Firmen-Netzwerke eingerichtet - für ihn war das ein Grund, seinen Job an den Nagel zu hängen.

    "Ich bin noch nie in meinem Leben so aufrecht gegangen wie jetzt, wenn ich morgens aufwache, weiß ich, dass ich an diesem Tag etwas leisten werde, das irgendwen auf der Welt weiter bringt, jemandem hilft."

    wikileaks.org