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Wild Beasts
Soundtrack zum Online-Dating

Ein Album für die Generation Tinder, so wurde das fünfte Album der Wild Beasts angekündigt. Geht es also um Songs, die schnell aus dem Gedächtnis weggewischt werden, so wie bei uninteressante Kandidaten bei der Flirt-App? Ganz im Gegenteil. Die Band um Sänger Hayden Thorpe fragt sich vielmehr: Was ist Liebe in digitalen Zeiten?

Von Dennis Kastrup | 13.08.2016
    Die Band Wild Beasts bei einem Auftritt - vorne: Frontsänger Hayden Thorpe (2014).
    Die Band Wild Beasts bei einem Auftritt - vorne: Frontsänger Hayden Thorpe (2014). (imago/ZUMA Press)
    "Die Themen Technologie und Emotionen stehen im Mittelpunkt. Wenn man über Liebe, Romantik, Bilder von einem selbst und dem inneren Ich spricht, dann muss man auch darüber reden, wie man sich online der Welt präsentiert und wie Liebe und Emotionen durch Emojis und Snapchats ausgedrückt werden."
    Liebe im Zeitalter der digitalisierten Welt. Das Hinterfragen von Geschlechterrollen im 21. Jahrhundert. Hayden Thorpe und seine Wild Beasts präsentieren uns mit "Boy King" ein Album, das den Zeitgeist aufgreift. Als Symbol dafür spielen sie auf dem Cover das Plakat des Films "Metropolis" an. Ein Roboter-Gesicht schaut den Betrachter ausdruckslos an. Augen und Mund leuchten in der Farbe Rot. Irgendwie leblos, aber trotzdem lüstern.
    Das Cover zeigt den "Boy King", nach dem das Album benannt ist. In den zehn Stücken setzt er sich - stimmlich verkörpert durch Hayden Thorpe - mit seiner Männlichkeit auseinander, mit der er nicht im Einklang ist. In "Tough Guy" kommt er zu dem Entschluss: Ich bin am Boden und kann nicht mehr aufstehen, also nehme ich am besten alles mit, so wie ein harter Kerl.
    "Der enge Tunnelblick ist verschwunden"
    Diese Zeilen darf man durchaus als Kritik an bedeutungslosem Sex verstehen, der in Zeiten von Online-Dating zwar ständig verfügbar scheint, aber doch nicht als erfüllend wahrgenommen wird. Auf Liebe wartet man vergeblich, also warum nicht hedonistisch durch die Betten hüpfen? So wie schon Anfang des 19. Jahrhunderts der britische Dichter Lord Byron, dessen ausschweifendes Leben Sänger Hayden Thorpe als Inspiration für das Album nennt. Ganz neue Töne für die Wild Beasts, die sich früher eher in Goethes Werther-Manier selber bemitleidet haben.
    "Wir halten auf ganz natürliche Weise an dem fest, was in uns steckt: diese Männlichkeit. Aber es gibt auch die feminine Seite. Wenn man älter wird, besitzt man einen größeren Horizont. Der enge Tunnelblick, der für mich im Alter zwischen 20 und 30 noch so aufregend war, ist verschwunden. Ich habe erkannt, dass das Leben offener, dunkler und heller ist!"
    Thorpe gibt der Männlichkeit zwar den größten Raum auf der Platte, stellt ihr aber auch eine Weiblichkeit entgegen, so wie in dem Song "Alpha Female". Dabei singt er bewundernd: "Alpha Frau, es stecken andere Welten in dir."
    Auch der Gesang hat sich verändert. Die Stimme von Bassist Tom Fleming ist präsenter und der Falsett-Gesang, für den Thorpe bekannt war, taucht nur noch selten auf.
    "Ich kam aus der Gesangskabine mit dem Gefühl, mich richtig ausgekotzt zu haben. Dazu hatte mich auch unser Produzent John ermutigt. Er sagte: Mach es einfach! Worüber denkst du nach? Und warum sprechen wir überhaupt darüber?"
    Die Songs hat das Quartett zusammen mit John Congleton in Dallas aufgenommen. Die Liste seiner Produktionen ist lang: David Byrne, The Roots oder auch Franz Ferdinand haben bereits seine Dienste in Anspruch genommen. Bei den Wild Beasts klingt das Ergebnis tanzbarer als auf den Platten zuvor.
    Zerrissenheit zwischen Geschlechterrollen und dem eigenen Anspruch an Musik
    "Wir haben auf jeden Fall den 'Alles Egal Knopf' gedrückt und uns fast wieder wie Teenager gefühlt. Als Teenager macht man Musik, als hätte man nichts zu verlieren. Es dreht sich alles nur um Spaß. Daraus wird dann eine regelrechte Waffe gegen die Welt der Erwachsenen: Lasst uns in Ruhe! Wir haben das Album mit der Leichtigkeit geschrieben, nichts zu verlieren zu haben."
    Es klingt nach einer Befreiung für die Band aus dem englischen Kendal. Vier Alben haben den Sound geformt, in dem sich das Quartett am Ende selber gefangen fühlte. "Boy King" öffnet das Korsett.
    Man muss es den Wild Beats hoch anrechnen, diesen Weg gewählt zu haben. "Boy King" ist ein Album der Zerrissenheit zwischen Geschlechterrollen und dem eigenen Anspruch an Musik. Der Band gelingt es, dieses eigentliche Spannungsfeld mit überspitzter "männlicher" Ironie einerseits und neuer musikalischer Leichtigkeit andererseits zu überwinden. Das ist äußerst mutig.
    "Die größte Anerkennung ist: 'Waren sie nicht mutig?' So fühlt es sich auch für uns bei diesem Album an. Selbst wenn die Leute denken, dass wir verrückt sind und nur Chaos erzeugt haben, hoffe ich doch, dass es ein mutiges Chaos ist!"