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Wilders Einfluss durch die Hintertür

Die beiden niederländischen Politiker, der rechtsliberale Mark Rutte und der konservative Maxime Verhagen, haben mit Geert Wilders einen Duldungsvertrag abgeschlossen, um künftig regieren zu können. Der Einfluss des Populisten zeigt sich bereits im Regierungsprogramm.

Von Kerstin Schweighöfer | 14.10.2010
    Es geht schlecht mit den Niederlanden, hatte Geert Wilders im Wahlkampf immer wieder verkündet - und hauptverantwortlich dafür seien Massenimmigration und Islamisierung.

    Davon konnte der umstrittene Rechtspopulist 1,5 Millionen Wähler überzeugen und mit seiner islamfeindlichen "Partei für die Freiheit" PVV als drittstärkste Kraft ins Parlament einziehen.

    Und davon hat Wilders nun anscheinend auch die Christdemokraten und die Rechtsliberalen überzeugt, die das Wagnis eingehen, ein von ihm geduldetes Minderheitskabinett zu bilden: Denn der größte Teil des Regierungsprogramms sind Maßnahmen, um der angeblichen Massenintegration einen Riegel vorzuschieben.

    Statistisch gesehen kann davon keine Rede sein: Zum einen hat sich der Zustrom an Immigranten in den Niederlanden in den letzten zehn Jahren fast halbiert. Zum anderen sind bis vor kurzem mehr Menschen aus den Niederlanden ausgewandert als eingewandert. Diese Entwicklung hat sich erst im letzten Jahr wieder verschoben – aber nur ganz leicht, betont Jorrit Rijpma, Dozent für europäisches Recht am Europainstitut der Universität Leiden:

    Doch nicht nur das konstruierte Immigrationsproblem verwundert viele Rechtsexperten: Zudem sind ein großer Teil der ehrgeizig verkündeten Pläne zur Eindämmung dieses Problems leere Versprechungen – lassen sie sich doch überhaupt nicht oder nur sehr schwer in die Tat umsetzen:

    "Internationale Verträge und EU-Richtlinien sind im Weg", stellt der Direktor des Europainstituts Stefaan van den Bogaert klar.

    "Die Suppe wurde heiß serviert, aber sie wird keinesfalls so heiß gegessen werden. Die Niederländer können sich nicht einseitig über EU-Regeln hinwegsetzen, und ändern lassen die sich nur mit einer überzeugenden Mehrheit der 27 EU-Länder. Dass dies den Niederländern gelingen wird, kann ich mir nicht vorstellen. In vielen Punkten wird diese Suppe deshalb nicht nur kalt werden, sondern auch stehenbleiben."
    Das gilt vor allem bei der Familienzusammenführung: Wenn es nach dem neuen Kabinett geht, gibt es schon bald keine "Importbräute" mehr, wie sie hier salopp genannt werden, sondern nur noch "Import-Ehefrauen": Wer seinen Partner holen will, muss bereits mit ihm verheiratet sein.

    Mindestalter und auch Mindesteinkommen sollen noch weiter angehoben werden: Wer kommen will, muss mindestens 24 Jahre alt sein und einen Partner in den Niederlanden haben, der mindestens 120 Prozent des gesetzlichen Mindestlohnes verdient.

    Laut EU-Recht jedoch reichen 21 Jahre und 100 Prozent des Mindestlohns. Auch die Forderung, nur noch Ehepartner einreisen zu lassen, verstößt gegen EU-Richtlinien, erklärt Dozent Jorrit Rijpma:

    "Ein anderes Beispiel ist der Plan, auch Einwanderer aus der Türkei zu einem Einbürgerungskurs zu verpflichten, das geht aufgrund des Assoziierungsabkommens mit der Türkei nicht: Dieses Abkommen schreibt vor, dass türkische Arbeitnehmer in einem EU-Land genauso behandelt werden müssen wie EU-Bürger – und Niederländer sind ja auch nicht verpflichtet, einzubürgern."

    Die neue Regierung hat auch versprochen, unerwünschten, zum Beispiel kriminellen Immigranten schneller den Pass zu entziehen und sie auszuweisen. Aufgrund von Menschenrechtsverträgen jedoch ist dies ebenfalls, wenn überhaupt, nur sehr, sehr schwer in die Tat umzusetzen.

    "Man will die Leute schneller über die Grenze setzen, als es geht", so Professor van den Bogaert.

    Aber sind sich die führenden Politiker der beiden Koalitionsparteien, allen voran Mark Rutte, der neue niederländische Premierminister, dessen nicht bewusst? Professor van den Bogaert bezweifelt das:

    "Es würde mich nicht erstaunen, wenn es hier um ein taktisches Manöver ging, um dieses Minderheitskabinett mit der Duldung von Wilders zustande zu bringen. Wenn es dann bei leeren Worten bleibt, kann man immer noch sagen: ‚Wir haben es ja probiert, aber Brüssel machte uns einen Strich durch die Rechnung’."
    Und dann, so ergänzt Dozent Rijpma, bräuchte man auch den vielen europafeindlich gesinnten Wählern gegenüber nicht das Gesicht zu verlieren, dann wäre Brussel wieder einmal der ideale Sündenbock.