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Wildes Erbe
Genforscher rekonstruieren die Domestizierung des Hausschweins

Aus kleinen Wildschweinen wurden im Laufe der vergangenen 10.000 Jahre große rosa Fleischberge: die Hausschwein. Doch wann, wo und wie oft wurden Schweine domestiziert? Dafür gibt es trotz vieler genetischer Daten kein einheitliches Erklärmodell. Woran diese Versuche scheiterten, berichten nun Wissenschaftler im Fachmagazin "NATURE Genetics".

Von Michael Stang | 01.09.2015
    Ein Mastschwein steht am 16.10.2014 in einem Mastbetrieb in Lindern (Niedersachsen) im Stall
    Seit wann ist das Hausschwein ein Hausschwein? (picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen)
    Bereits 1758 schrieb der schwedische Naturforscher Carl von Linné, dass die Stammform des Hausschweins das Wildschwein ist. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich über ganz Eurasien bis nach Nordafrika. Wildschweine teilen sich in 32 Unterarten auf. Wie einst aus den Vorfahren der Wildschweine unsere heutigen Fleischlieferanten wurden, hat Geger Larson aus Oxford untersucht.
    "Erst seit 15 Jahren können wir die Domestizierung mithilfe genetischer Daten untersuchen. Vorher gab es nur Belege aus der Archäologie und diese historischen Daten deuteten darauf hin, dass die Domestizierung nicht so einfach gewesen sein kann wie Genetiker bislang vermutet hatten."
    Der britische Paläogenetiker hat sich zusammen mit seinem Team mehr als 100 Genomsequenzen von Hausschweinen angeschaut und versucht, damit den Prozess der Domestizierung zu rekonstruieren, der vermutlich vor knapp 10.000 Jahren seinen Anfang nahm.
    "Da wir Zugang zum Erbgut von Hunderten Schweinearten hatten, von China bis nach Portugal, wollten wir herausfinden, ob der Übergang vom Wildschwein zum Hausschwein ein einmaliger Prozess war, der sich linear zurückverfolgen lässt. Oder kam es im Laufe der Domestizierung immer mal wieder zu Einkreuzungen neuer Wildschweingene?"
    Genetiker gehen bei ihren Simulationen immer von einfachen Modellen aus. Eine Simplifizierung hilft in der Regel dabei, komplexe Vorgänge zu verstehen. Das hätten sie anfangs auch ausprobiert, so Greger Larson.
    "Wir haben zunächst ein Modell genommen, bei dem wir ausschließlich den Übergang vom europäischen Wild- zum Hausschwein hochgerechnet haben. Dasselbe haben wir dann noch mal auf asiatischer Seite gemacht - immer unter der Annahme, dass es über 10.000 Jahre hinweg keinen genetischen Austausch mit wilden Tiere gab. Dabei wurde uns schnell klar: So kann es auf keinen Fall gewesen sein."
    Den Modellrechnungen zufolge sind Wildschweine also nicht nur einmal oder zweimal domestiziert worden und haben dann eigene Populationen gebildet, die keinen Kontakt mehr zu Wildschweinen hatten. Das heutige Genom des Hausschweins kann nur entstanden sein, indem die domestizierten Tiere immer wieder Nachwuchs mit wilden Artgenossen gezeugt haben. So ganz passen Modellrechnungen und Realität aber auch unter dieser Annahme noch nicht zusammen.
    "Die Übereinstimmung wurde besser, wenn wir eine sogenannte Geister-Population eingerechnet haben. Also eine genetische Linie, die wir noch nicht kennen, weil sie vielleicht schon ausgestorben ist, die aber Einfluss auf das Genom heutiger Schweine hatte."
    Obwohl die Aussagen der Genforscher derzeit noch nicht allzu belastbar sind, zeichnet sich eines doch schon recht klar ab: Flaschenhalsszenarien, in denen einige wenige Tiere eine Gründerpopulation darstellten und sich dann nur noch untereinander fortpflanzten, sind vom Tisch. Es muss regelmäßig Einkreuzungen von Wildschweinpopulationen gegeben haben, resümiert Greger Larsson. Ob das jetzt bewusste Einkreuzungen seitens der Bauern waren oder zufällige, weil Keiler den Hausschweinen Besuch abstatteten, ist unklar. Möglich sei auch, dass die Modelle für die Domestizierung von Hund, Pferd, Rind, Schaf und Ziege ebenfalls überdacht werden müssten. Die Realität sei mitunter viel komplizierter als alle Theorie.