Donnerstag, 28. März 2024

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Wiley-Verlag zu Open Access
Zugriff auf 7,5 Millionen Fachartikel

Seit einem Vertrag zwischen dem Wissenschaftsverlag Wiley und dem DEAL-Konsortium sind viele Fachartikel von Forschern aus Deutschland weltweit kostenlos verfügbar. Viele Wissenschaftler befürworteten das Konzept des Open Access, sagte der Geschäftsführer von Wiley Deutschland, Guido Herrmann, im Dlf.

Guido Herrmann im Gespräch mit Ralf Krauter | 01.07.2020
Digitale Kommunikation in Zeiten der Coronakrise
Mitte Januar 2019 unterzeichneten Wiley und das DEAL-Konsortium ein Abkommen durch das Nutzer weltweit Fachartikel kostenlos lesen können (imago / Panthermedia)
Der Wissenschaftsverlag Wiley ist nach Elsevier und Springer/Nature das weltweit drittgrößte Verlagshaus im Bereich des Scientific Publishing. Wiley war der erste große Wissenschaftsverlag, der sich mit dem deutschen DEAL-Konsortium, zu dem sich knapp 700 Universitäten, Forschungseinrichtungen und Bibliotheken zusammengeschlossen haben, auf einen zukunftsweisenden Deal geeinigt hat.
Mitte Januar 2019 unterzeichneten Wiley und das DEAL-Konsortium ein Abkommen, dass den Weg freimacht dafür, dass Tausende Artikel, die Forscher in Deutschland jährlich in Wileys Fachmagazinen veröffentlichen, für Nutzer in aller Welt sofort kostenfrei zugänglich sind – Stichwort Golden Open Access.
Mit Guido Herrmann, Geschäftsführer von Wiley Deutschland, haben wir nach 1,5 Jahren eine Zwischenbilanz gezogen.
700 Einrichtungen haben Zugriff auf 1.600 Fachzeitschriften
Ralf Krauter: Wie hat der Vertrag mit dem DEAL-Konsortium das wissenschaftliche Publizieren in Deutschland verändert?
Guido Herrmann: Ja, das war, glaube ich, ein weltweit wegweisender Vertrag, der eine Bewegung, die es seit circa 2000 gibt, die Bewegung hin zu Open Access, hin zu freiem Zugang zu wissenschaftlicher Publikation, deutlich beschleunigt hat. Und in Deutschland sind wir jetzt in einer Situation, dass dank dieses Vertrages zwischen DEAL und Wiley, Sie hatten es am Anfang schon gesagt, 700 Einrichtungen haben nun Zugriff auf alle 1.600 Fachzeitschriften von Wiley, das sind in Summe 7,5 Millionen Artikel.
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Und neben dem Zugang zur wissenschaftlichen Information, die bereits publiziert wurde, haben die deutschen Autoren die Möglichkeit, ohne administrativen Aufwand und zusätzliche Kosten ihre wissenschaftlichen Arbeiten in Open Access zu publizieren, das heißt diese Arbeiten aus der deutschen Forschung sind dann sofort weltweit ohne weitere Barrieren zugänglich und das führt dann dazu, dass die Sichtbarkeit international deutlich steigen wird. Und wir sehen auch innerhalb Deutschlands, der Zugriff auf die publizierte Information ist bei den 700 berechtigten Einrichtungen um 40 Prozent gestiegen. Das sind also sehr erfreuliche Entwicklungen.
Mehr als 90 Prozent aller Arbeiten frei zugänglich im Netz
Krauter: Das heißt, Wissenschaftler müssen bei Wiley – anders als bei anderen Verlagen zum Teil – jetzt nicht mehr extra dafür bezahlen, damit ihre Artikel sofort frei zugänglich werden via Open Access. Sie sagen, die Nachfrage nach solchen Open-Access-Publikationen, nach den Inhalten dieser, ist stark gestiegen, aber wie stark ist die Nachfrage nach Open Access-Publikationen vonseiten der Wissenschaftler dadurch gestiegen?
Herrmann: Erst einmal ermöglicht der Vertrag allen Forschern in deutschen Einrichtungen, Open Access zu publizieren. Der Vertrag greift natürlich nicht der Entscheidung der Autoren vor, in welchen Fachzeitschriften und bei welchen Verlagen sie publizieren möchten. Bei den Autoren, die jetzt aber bei uns publizieren, sehen wir da einen sehr schönen Erfolg. Mehr als 90 Prozent aller eingereichten Arbeiten werden dann hinterher auch als Open Access publiziert und sind somit gleich frei zugänglich auf der ganzen Welt.
Blick in die Bibliothek mit Büchern auf Borden, stuckverzierten Wänden, Durchgängen und einer Empore
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Thema "Open Access" für deutsche Autoren noch sehr komplex
Krauter: 90 Prozent nutzen diese Instant-Open-Access-Variante, zehn Prozent nicht. Welche Argumente führen die Forscher ins Feld, die also trotz Flatrate dennoch nicht Open Access publizieren wollen und wie könnte man die auch noch überzeugen, mitzumachen?
Herrmann: Die Gründe, die wir sehen, sind in der Regel sehr individuell. Ein wichtiger Aspekt ist hier allerdings, dass das Thema auch für Autoren komplex ist. Weltweit gibt es circa 1.000 verschiedene Vorschriften von Forschungsförderern und Regierungen und Universitäten an ihre Forscher, wie sie publizieren sollen. Viele Forscher sind auch in internationalen Kollaborationen, sodass sie häufig auch sich sehr genau die Frage stellen müssen, unter welchen Vorgaben publiziere ich denn. Und das kann sicherlich ein Grund sein, dass das Thema trotz des Vertrages hier in Deutschland insbesondere im internationalen Kontext für Autoren noch sehr komplex ist.
Um dem mal auf den Grund zu gehen, haben wir jetzt bei Wiley mal eine große Umfrage gestartet unter 1200 Forschern mit einem wissenschaftlichen Hintergrund, um mal zu erfragen, wie diese denn Open Access und wissenschaftliches Publizieren sehen. Und die Ergebnisse sind ganz erstaunlich: 90 Prozent aller Befragten mit akademischem Hintergrund befürworten also Open Access und den freien Zugang auf Wissen. 79 Prozent sind der Meinung, dass Open Access einen Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt leisten wird. Und 83 Prozent sehen insgesamt in der Digitalisierung eine Chance für besseren Zugang zum Wissen. Und hier sehen wir also, dass die Autoren in der breiten Masse hier sehr unterstützend sind, sicherlich dann aber im Einzelfalle noch mal Beratung oder auch Hinweise benötigen, in welcher Art und Weise ihre Arbeit dann publiziert werden soll.
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Markt wird zu Lösungen führen
Krauter: Der Trend zu Open Access scheint unaufhaltsam, allerdings steht die Befürchtung im Raum, insbesondere von den Forschungsförderorganisationen, das Ganze könnte uns teurer kommen als bisher gedacht, wenn wir es auf breiter Front einführen. Aktuell ist es ja laut Vertrag, den Wiley also mit DEAL geschlossen hat, so, dass pro veröffentlichtem Artikel knapp 3000 Euro gezahlt werden, also vom DEAL-Konsortium an Wiley. Wenn jetzt immer mehr publiziert wird, heißt das ja, das Ganze wird immer teurer. Deswegen gibt es eine Initiative namens Plan S, eine Initiative europäischer Forschungseinrichtungen, die die Kosten deckeln wollen und sagen, wir können nicht zulassen, dass immer mehr publiziert wird und wir immer mehr bezahlen müssen. Wo wäre denn für Wiley die Schmerzgrenze, wie weit unter 3000 Euro pro Artikel könnten Sie gehen?
Herrmann: Das ist jetzt eine sehr komplexe Frage, die sich, glaube ich, so pauschal nicht beantworten lässt. Wir haben in sehr intensiven Gesprächen mit unseren Partnern bei Projekt DEAL und in der Max-Planck-Gesellschaft darüber gesprochen, wie viele Artikel sollen in Deutschland publiziert werden, welche Unterstützung soll der Verlag ermöglichen im Bereich Redaktion, Lektorat, technische Infrastruktur. Und in den Vertrag eingebunden – wie ich eben schon erläuterte – sind ja auch die Leserechte auf alle 1.600 Wiley-Journale, sodass hinter dieser Zahl von 2.750 Euro eine sehr komplexe Berechnung steht. Ich bin der festen Überzeugung, dass hier der Markt zu Lösungen führen wird, weil jeder Wissenschaftler ist ja nach wie vor wahlfrei, er kann dort publizieren, wo er möchte, auch unter dem Modell, das er wählt. Und im Bereich Open Access gibt es jetzt ein breites Angebot von wenigen Hundert Euro bis über 5.000 Euro pro Artikel. Da bin ich sehr zuversichtlich, dass der Markt hier zu den besten und kompetitivsten Lösungen führen wird.
Wunsch, Wissen maximal zur Verfügung zu stellen
Krauter: Also eine Deckelung der Publikationsgebühren insgesamt, wie eben die bereits genannte Initiative "Plan S" das fordert, da sind Sie nicht begeistert von und können dieses Bestreben auch nicht verstehen?
Herrmann: Ich glaube, dass ich das Bestreben sehr gut verstehen kann, und wir teilen ja auch den gemeinsamen Wunsch, Wissen maximal zur Verfügung zu stellen und die Autoren und die Leser maximal zu unterstützen. Über die Mittel, wie man da am besten hinkommt, kann man da natürlich diskutieren. Und wie ich vor wenigen Sekunden gesagt habe, bin ich der Überzeugung, dass man hier das dem Markt überlassen soll und nicht so sehr über Vorschriften zu versuchen, einen höheren Wettbewerb auszulösen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.