Donnerstag, 28. März 2024

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Will Quadflieg
Der "Partitur der Dichtung" verpflichtet

An Will Quadflieg schieden sich die Geister: Die einen sahen in ihm einen der größten Charakterdarsteller des 20. Jahrhunderts, die anderen einen aus der Zeit gefallenen Traditionalisten, der nicht mehr ins moderne Theater passte. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.

Von Christian Berndt | 15.09.2014
    Gustaf Gründgens (l) als Mephisto und Will Quadflieg (r) als Faust in einer Szene aus Goethes "Faust I" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg im Frühjahr 1957.
    Gustaf Gründgens (l) als Mephisto und Will Quadflieg (r) als Faust. (picture alliance / dpa / Herold)
    "Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel, fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel - Dafür ist mir auch alle Freud entrissen, bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen, bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren, die Menschen zu bessern und zu bekehren. Auch hab ich weder Gut noch Geld, noch Ehr und Herrlichkeit der Welt; es möchte kein Hund so länger leben! Drum hab ich mich der Magie ergeben."
    Will Quadflieg spielt Faust als einen Wissenschaftler, der ohne moralische Skrupel um jeden Preis zur Erkenntnis vordringen will - eine Darstellung, die als Allegorie auf die Gefahren im Atomzeitalter gedacht ist. Gustaf Gründgens‘ modernisierte - als Klassiker-Erneuerung gefeierte und verfilmte - "Faust"-Inszenierung von 1957 ist Quadfliegs "Sternstunde des Theaters", wie er es nennt. Die aufs Dichter-Wort konzentrierte Aufführung passt auf den zum Deklamieren neigenden, mehr Sprech- als Schauspieler genannten Quadflieg, der übers Gedichte-Vortragen zum Theater kam:
    "Ich habe damals, so als 13-, 14-, 15-Jähriger angefangen, die deutsche Sprache, die Lyrik zu lesen und habe etwas merkwürdigerweise damals schon begriffen: Dass Sprache von Sprechen kommt, und dass nur im gesprochenen Wort Schönheit, Wesen, Ausdruck wach und lebendig wird."
    Prädestiniert für junge Heldenrollen
    Am 15. September 1914 wird Quadflieg in Oberhausen geboren. Der schüchterne Junge nimmt als Schüler heimlich Sprechtraining. Nach dem Abitur 1933 volontiert er am Theater Oberhausen und erhält bald erste Bühnenengagements in Gießen und Gera. Bei einem Gastspiel fällt er dem berühmten Schauspieler Heinrich George auf, der ihn 1940 ans legendäre Berliner Schillertheater holt. Der blendend aussehende 26-Jährige ist prädestiniert für junge Heldenrollen wie den Mortimer in Schillers "Maria Stuart", den er 1942 spielt:
    "Fluch und Verderben euch, die ihren Gott und ihre wahre Königin verraten, die von der irdischen Maria sich treulos wie von der himmlischen gewendet. Geliebte! Nicht erretten konnte ich Dich. So will ich Dir ein männlich Beispiel geben. Maria, Heilige, bitt für mich."
    Auseinandersetzung mit der NS-Zeit
    Populär wird Quadflieg auch durch seine Kinorollen neben Stars wie Marika Rökk. Und durch Filme im Dienst des NS-Regimes.
    "Wie ich ein Film machen musste, "GPU" oder "Mein Leben für Irland", war mir natürlich klar, das waren reine Propagandafilme. Man wurde abkommandiert, man war Soldat an der Heimatfront, wie es hieß. Das hab ich brav gemacht, ich war etwas ganz Widerliches: Ich war ein Mitläufer. Ich war nicht in der Partei, aber ich war ein Mitläufer. Und diese ganze Mitläuferei ist etwas, was ich politisch zutiefst verurteile und was mir ein großes Nachholbedürfnis in der Gegenwart eingebracht hat."
    Die große Zeit zusammen mit Gustaf Gründgens
    Nach dem Krieg geht Quadflieg ans Schauspielhaus Hamburg. Als Gustaf Gründgens 1954 dort Intendant wird, beginnt Quadfliegs große Zeit. Gründgens ist die prägende Theatergestalt der Fünfzigerjahre. Seine Vorstellung vom Theater als kunstvollem, alltagsfernen Fest passt in die Nachkriegszeit. Es dominiert ein Theater, das nicht politische Inhalte, sondern überzeitliche Werte vermitteln will und sich der Werktreue verpflichtet. Interessanterweise enthält gerade Gründgens wichtigste Inszenierung, Goethes "Faust", mit ihren Hinweisen aufs Atomzeitalter und Rock’n’Roll-Musik Aktualisierungen. Aber vorherrschend ist der hohe Ton der originalen Dichtung. Wie im "Don Carlos" von 1962, mit Quadflieg in einer Glanzrolle als dominierender Marquis Posa und Gründgens als König Philipp:
    "Niemals, niemals besaß ein Sterblicher so viel, so Göttliches zu gebrauchen. Ein Federzug von dieser Hand, und neu erschaffen wird die Erde. Geben Sie Gedankenfreiheit. - Sonderbarer Schwärmer."
    In der letzten gemeinsamen Arbeit der beiden reduziert Gründgens den politischen Konflikt auf eine Art Familientragödie. Als Gründgens 1963 die Intendanz abgibt, geht eine Ära zu Ende. Mit dem Siegeszug des Regietheaters beginnt damals die Neubefragung der Klassiker. Quadflieg kann damit nichts anfangen, er geht auf Tourneen und gibt Rezitationsabende. Er gilt nun als Mann von gestern. In den Siebzigerjahren erlebt er einen neuen Aufbruch durch die Begegnung mit dem konservativen Regisseur Rudolf Noelte, der Quadflieg in seinen präzise konzipierten Inszenierungen gebrochene, gezeichnete Figuren spielen lässt. Und in den Achtzigerjahren entdecken auch jüngere Regisseure den markant-verwitterten Charakterkopf wieder, Jürgen Flimm holt den 67-Jährigen ans Hamburger Thalia Theater.2003 stirbt Will Quadflieg im Alter von 89 Jahren. In seiner Arbeit blieb er bis zum Schluss der hohen Kunst - der, wie er sagt - "Partitur der Dichtung" verpflichtet. Seine Rolle dabei definierte er denkbar einfach:

    "Eine Rolle anständig spielen und ein Gedicht vernünftig aufsagen."