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William Deresiewicz
Brillante Schafe

In seinem neuen Buch rechnet der Literaturkritikers William Deresiewicz mit den amerikanischen Elite-Universitäten ab: Sie bringen nur einfallslose Wissensroboter hervor, ist sein Argument. "Excellent Sheep" heißt das viel beachtete Buch, zu Deutsch etwa "Brillante Schafe".

Von Katja Ridderbusch | 20.10.2014
    US-Präsident Barack Obama hält eine Rede im Rosengarten des Weißen Hauses in Washington.
    BarackObama - für William Deresiewicz Prototyp eines "brillanten Schafs", wie es Amerikas Leistungsretorte hevorbringt (dpa picture alliance / Olivier Douliery)
    Harvard, Princeton, Yale: Eliteuniversitäten gehören zu Amerika wie Baseball und Barbecue - mit ihren handverlesenen Debattierklubs, altehrwürdigen Säulenhallen und Schwärmen schwarzer Hüte, die bei der Abschlussfeier in einen, zumindest in der Vorstellung, stets wolkenlosen Himmel fliegen.
    Amerikas Kaderschmieden haben Präsidenten, Wall-Street-Bosse, Top-Anwälte und Spitzenmediziner hervorgebracht, kurz: Sie füttern die Führungsriege des Landes verlässlich mit Nachwuchs.
    Jetzt hat der Literaturkritiker William Deresiewicz - selbst Absolvent von Columbia und jahrelang Dozent in Yale - eine Abrechnung mit den Edeluniversitäten geschrieben. Der Titel des Essays ist Programm: "Excellent Sheep" - brillante Schafe. Im Interview mit dem US-Rundfunk sagt der Autor:
    "Die Führungsklasse unseres Landes hat ziemlich geschlossen versagt. Nicht nur die Regierung, auch Banken, Unternehmen, Universitäten. Und deren Vertreter versagen gerade wegen des Systems, das sie heranzüchtet. Sie sind risikoscheue und kleingeistige Technokraten, selbstsüchtig und selbstgerecht. Sie haben längst den Bezug zu den normalen Menschen verloren."
    Kein Wunder, dass das Buch die amerikanischen Kritiker polarisiert hat. Es sei halb Karikatur, halb Wunschdenken, giftete das Magazin "The New Republic". Klug, schneidend und treffend, urteilte dagegen das Branchenblatt "Publishers Weekly".
    Die meisten Eliteuniversitäten waren Gründungen weißer Protestanten, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts gegen den Zustrom jüdischer und katholischer Einwanderer abschotteten - indem sie Quoten einführten und Studienplätze bevorzugt an Kinder ihrer Absolventen vergaben.
    Neue Regeln im selben Verein
    Die 60er-Jahre brachten zwar eine Reform der Aufnahmekriterien. Doch die waren lediglich ein neues Regelwerk für einen weiterhin exklusiven Klub, schreibt Deresiewicz:
    "Das Zulassungsverfahren änderte sich: von der alten Aristokratie zur neuen Leistungselite, von Kaste, Charakter und Beziehungen zu einem System von Punkten und Ranglisten."
    Ein geschlossenes System, in dem die einzelnen Spieler in einem gut gedrillten Team funktionieren: die Institutionen - die Eltern - die Kinder. Alles im Dienste des perfekten Produkts: der Leistungselite Amerikas.
    Deresiewicz schildert seine Erfahrungen als Mitglied der Auswahlkommission an der Yale-Universität.
    "Wenn ein Bewerber 'nur' sechs oder sieben außerschulische Aktivitäten vorweisen kann, hat er schon schlechte Karten. Denn hier hat der typische Student zehn oder zwölf."
    Neben Sport, Musik und sozialem Engagement sind akademische Bestnoten für die Aufnahme selbstverständlich.
    Viele Eltern konditionieren ihre Kinder deshalb schon früh auf die Passform von Princeton, Harvard und Co.
    "Wir kennen sie alle, jene Helikoptereltern - die beobachten, die Druck ausüben, die kritisieren. Die eine Kindheit managen, die strukturiert ist, überwacht und in der es allein darum geht, gezielte Fertigkeiten anzusammeln."
    Am Ende einer solchen Kindheit, schreibt der Autor, stehen sehr schlaue, sehr eifrige, sehr wohl erzogene Menschen ohne Ideen, ohne Kanten, ohne Leidenschaften. Excellent sheep eben, brillante Schafe. Junge Menschen, die nie einen Moment für sich alleine hatten. Leistungsmaschinen.
    Fächerwahl nach dem Herdentrieb
    Doch habe all der Ehrgeiz nur selten ein Ziel, meint der Autor. Denn die wenigsten Studenten wüssten, was sie wirklich anfangen wollen mit ihrem Leben. Und deshalb schlügen die meisten, dem Herdentrieb folgend, die für sie vorgezeichneten Berufspfade ein: Recht, Medizin - und immer wieder: Wirtschaft.
    "Die Statistik belegt, dass die Studenten in 26 von 40 Spitzenuniversitäten Wirtschaft als Hauptfach wählen. Vor 20 Jahren war das nur an acht Hochschulen der Fall."
    Die Produkte seien Ärzte, die unfähig sind, mit ihren Patienten zu kommunizieren. Unternehmenslenker, die nie eine Produktionsstraße gesehen haben. Politiker, denen das Wahlvolk suspekt ist.
    Der Prototyp aus Amerikas Leistungsretorte ist nach Meinung des Autors der Präsident höchstpersönlich - Barack Obama:
    "Er ist Zentrist und Pragmatiker. Einer, der den Konsens sucht und auf Sicherheit setzt. Er hüllt sich in den Mantel des Visionärs, aber tatsächlich sind seine Visionen technokratisch. Politik mag die Kunst des Möglichen sein, aber Obama hat einfach nur die Grenzen des Status quo akzeptiert - und ist genau daran als Staatsmann gescheitert."
    "Excellent Sheep": Das Buch ist Analyse, Polemik und Manifest zugleich. Mehr als einmal schießt es über das Ziel hinaus, nimmt Einseitigkeiten in Kauf. Dennoch: Deresiewicz ist ein begnadeter Schreiber; er hämmert Pointe an Pointe im Stakkato-Takt. Mit seinem Essay seziert er das fragwürdige Wertesystem der amerikanischen Elitebildung - und das ist nicht nur gesellschaftlich relevant, sondern auch äußerst unterhaltsam zu lesen.
    William Deresiewicz: "Excellent Sheep. The Miseducation of the American Elite and the Way to a Meaningful Life"
    Verlag Simon & Schuster, 256 Seiten, 15,95 Euro
    ISBN: 978-1-4767-0271-1