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Willkommen im vernetzten Leben

Multitasking, das beherrschen Jugendliche bestens. Sie chatten mit Freunden, telefonieren und hören via youtube Musik. Auch unter Erwachsenen ist das Leben immer vernetzter geworden – mit Smartphone oder Laptop bleibt man mit Freunden und Kollegen in Kontakt. Über die Auswirkungen sind sich die Forscher nicht einig.

Von Ingeborg Breuer | 27.10.2011
    "Ich lebe im Internet! Das bedeutet, ich wohne in Leipzig, ich wohne in einem Bauwagen, ich hab dort Strom und Wasser , aber mein Leben, meine soziale Sphäre spielt sich im großen und ganzen im Internet ab."

    Man könnte Sebastian Vollnhals, Mitglied der sogenannten Netzguerilla, als Nerd bezeichnen. Ein Nerd ist ein Sonderling, der fest mit seinem Computer verlinkt ist. Zwar kennt der Mitzwanziger die Leute, die um ihn herum auf dem Bauwagengelände wohnen. Aber seine Freunde, die trifft er vor allem online.

    "Meine Arbeit ist im Internet, ich kommuniziere mit den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite, über das Internet, ich kommuniziere mit meinen Freunden, meiner Freundin übers Internet, das spielt sich quasi der soziale Alltag ab. Ich bin nicht der Mensch, der auf Konzerte geht oder in irgendwelche Kneipen geht."

    Sebastian Vollnhals ist vielleicht ein Extremfall, aber das Internet prägt zunehmend mehr Menschen in ihren Kommunikations-, Lebens- und Arbeitsformen. - Wie tickt diese Generation Internet? Welche Beziehungen baut sie zu ihrer Umwelt, zu ihren Mitmenschen auf? Prof. Christina Schachtner, Medienwissenschaftlerin an der Universität Klagenfurt hat ein Forschungsprojekt mit ins Leben gerufen: "Subjektkonstruktion und digitale Kultur", das auf der Loccumer Tagung vorgestellt wurde.

    "Ich finde, dass es da ne interessante Entwicklung gibt, weil einerseits entstehen neue Gemeinschaften, die entstehen nicht für immer und ewig, die muss man auch selber herstellen, es kommt auf die soziale Aktivität des Einzelnen an. Sie bieten ne lockere Einbindung, sie geben aber auch dem Individuum Raum."

    In den virtuellen Räumen des Web 2.0 wird unentwegt kommuniziert. Das Handy an die Handfläche angewachsen wie ein lebenswichtiges Organ chatten, simsen und surfen vor allem junge Leute nahezu pausenlos: Um teilzuhaben am sozialen Leben, den Statusmeldungen der Freunde, wie: "Geh jetzt mal duschen"; "Wollte gerade putzen, jetzt ist der Lappen weg" oder "Kann nicht arbeiten, Kollege voll sexy".

    "Dieses Plappern im Netz, was uns banal erscheint, da haben wir ein interessantes Ergebnis in unsere Untersuchung, wo Netzakteure gesagt haben, es ist auch wichtig, ganz normale Dinge zu posten, ich koche mir das jetzt, ich geh ins Schwimmbad, auf die Toilette, es kommt nicht drauf an, auf das Was dieser Botschaft, sondern auf das Wie, weil sie sagen, ich bin ein Wesen mit menschlichen Bedürfnissen und kein Roboter."

    Zweifellos, so der Kommunikationswissenschaftler Prof. Friedrich Krotz von der Universität Bremen, ist dieser Dauerchat im Netz mit Hunderten Freunden durchaus auch eine Reaktion auf die veränderte Zeit. Eine Bewältigungsform sozusagen für das mobile Leben.

    "Vieles, was die Generation der Jüngeren macht, ist eine Reaktion drauf, dass sie ihre Beziehungen bewusst gestalten und auch festhalten wollen. Zum Beispiel als ich meine Heimat verlassen habe zum Studieren, dann waren die Beziehungen eben weg. Heute über Facebook bleiben diese Beziehungen bestehen, stellen sich wieder her."

    Andererseits warnt Friedrich Krotz auch vor der problematischen Seite des Tuschel- und Nuschel-Webs. Wird das Individuum zunehmend oberflächlicher, wenn jede Befindlichkeit sofort in der Netzcommunity erörtert wird?

    " Was ist mit Individuation, wenn ich jedes Erlebnis, das ich habe, sofort vertwittere und diskutiere mit anderen? Wo ist der eigene Reflexionsteil, wie tief ist das Individuum,. wird das Individuum immer flacher? Für mich ist das Individuum immer aus den Erfahrungen zusammengesetzt, die ein Subjekt macht, wenn ich diesen inneren Dialog immer nach außen verlege, dann geht auch etwas verloren."

    Dr. Tanja Carstensen, Soziologin an der Universität Hamburg – Harburg widersprach allerdings dem Vorwurf der Oberflächlichkeit.
    " Wenn man das beobachtet, kann man auch sehen, dass viele miteinander reden und sich aufeinander beziehen, dass es um's gegenseitige Wahrnehmen geht und um sich Aufbauen. Wenn's jemandem nicht so gut geht, da gibt's auch viel emotionalen Halt, der da über Twitter gespendet wird. Und gleichzeitig natürlich auch, das geht in ne politische Richtung, ganz viel Meinungsbildung, ganz viel Informationen werden gepostet, darüber entstehen Positionen."

    Dass Jugendliche sich mit den neuen digitalen Medien leichter tun als die – nicht mehr so ganz jungen Wissenschaftler auf der Tagung, gaben diese übrigens selber zu. Die Klagenfurter Soziologin Christina Schachtner sprach gar von einem "Terror des Jetzt", dem sie sich zeitweise unterworfen sieht:

    " Ich krieg immer lobende E-Mails von Studenten, danke für Ihre rasche Antwort. Sie finden es toll, sie erwarten das auch, mahnen mich auch, wenn sie glauben, ich hab eine bestimmte Zeitgrenze überschritten. Jemand wie ich, der nicht von klein auf mit digitalen Medien aufgewachsen ist, empfindet das als Terror. Und es kann sein, dass ne junge Generation ein ganz anderes Tempo entwickelt in ihrem Leben, das ganz selbstverständlich findet."

    Sich in der digitalen Kultur schnell und flexibel bewegen zu können, heißt allerdings nicht automatisch, medienkompetent zu sein. Gerade Jugendliche stellen Informationen über sich ins Netz, die sie hinterher möglicherweise bereuen. Und vor allem Facebook gerät ja immer wieder in die Kritik, die Privatsphäre seiner Benutzer zu missachten. Wenn das die Benutzer stört, so meinte Netzaktivist Sebastian Vollnhals lakonisch, dann können sie sich ja im Netz gegen Facebook organisieren. Die Wissenschaftler sahen hier allerdings eher Handlungsbedarf für Eltern und Pädagogen:

    "Es geht um Fähigkeiten wir Kommunikationskompetenz, Sprachkompetenz, Reflexionskompetenz, Kritikkompetenz, Differenzierungskompetenz, Übergangskompetenz, vom virtuellen ins real life, was die jüngeren selbstverständlicher machen. Und da ist die Pädagogik herausgefordert, solche Kompetenzen zu fördern."

    Ein rechtes Fazit gab es nicht auf der Tagung. Klar wurde nur: "Das Subjekt" wird sich in der "digitalen Kultur" verändern. Aber in welche Richtung, das blieb reichlich vage:

    "Die vielen verschiedenen Plattformen und Kommunikationsforen fordern mich auf, mein Sein zu verteilen über die verschiedenen Räume. Und da stellt sich die Frage, mindert das mein Denken, wenn ich überall präsent bin als gedankliches Wesen? Oder ist es eher eine Vervielfältigung von Räumen, die mir eher erlauben, mich noch besser selbst zu verwirklichen und zu entfalten? Und ich rechne damit, dass eine andere Generation heranwächst, die ganz andere Maßstäbe hat. Dass wir zum Beispiel Heimat an etwas knüpfen, wo wir geboren sind, wo wir hingehören. Für Jugendliche heißt Heimat vielleicht für ne kurze Zeit irgendwo sich aufzuhalten, solange es attraktiv ist. Und wenn ein anderes Forum winkt, das attraktiver ist, dann zieh ich dorthin. Und trotzdem haben sie vielleicht nicht das Gefühl heimatlos zu sein."

    Sebastian Vollnhals jedenfalls hat seine Heimat gefunden. Und glaubt man ihm, ist eigentlich alles so wie früher. Nur ein bisschen unüberschaubarer.

    "Ich hab vorhin das Bild benutzt, früher auf dem Dorf kannte jeder jeden. Und das Internet macht einfach das Dorf um ein Vielfaches größer, jeder kennt jeden auf ner viel größeren Ebene. Und das ist die Frage wie man damit umgehen muss, mit der veränderten Situation. Und das wird sich zeigen."