Cannes-Eröffnungsfilm "Annette"

Neue Kraft für das Kino

07:35 Minuten
Die Mitwirkenden des Films "Annette" in Cannes auf dem roten Teppich; von links nach rechts: Simon Helberg, Marion Cotillard, Regisseur Leos Carax, Adam Driver und die Drehbuchautoren Russell und Ron Mael.
Der Cast von "Annette":(v.l.) Simon Helberg, Marion Cotillard, Regisseur Leos Carax, Adam Driver und die Drehbuchautoren Russell und Ron Mael. © picture alliance / AP / Brynn Anderson
Patrick Wellinski im Gespräch mit Vladimir Balzer · 06.07.2021
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Die Filmfestspiele in Cannes sind mit dem Film "Annette" von Regisseur Leos Carax eröffnet worden. Ein volles Kino sei ungewohnt gewesen, sagt Kritiker Patrick Wellinski. Das Festival sei so etwas wie eine Auszeit von der Pandemie.
Der Eröffnungsfilm der diesjährigen Filmfestspiele in Cannes, "Annette", sei weniger ein Musicalfilm als eine "Anti-Oper", sagt Filmkritiker Patrick Wellinski. Das sei auch die Idee der Brüder Ron und Russell Mael gewesen, die Autoren des Drehbuchs, die auch die Musik zum Film komponiert haben. In den 70er-Jahren gründeten die beiden Musiker die Underground- und Glamrock-Band "Sparks" in Los Angeles.
Der Film des Regisseurs Leos Carax sei typisch französisch, weil mit "stoischer Konsequenz" über die ästhetische und kulturelle Kraft des Kinos gesprochen werde. Mit viel Fantasie und Kreativität zeige Carax, was man kenne: "Aber nicht so, wie man es schon gesehen hat".
Es geht um die Geschichte eines Promi-Paares, einer Opernsängerin und eines erfolgreichen Stand-up Comedian (dargestellt von Marion Cotillard und Adam Driver), die ein Kind bekommen, doch das Kind "Annette" ist aus Holz.
Der "sehr widersprüchliche Film", so Wellinski, reflektiere die großen Geschichten der Verdi- und Puccini-Opern – auch mit Verweisen auf die klassische Musik des 20. Jahrhunderts. Doch gesungen werde im Film weder klassisch noch opernhaft, "eher Brecht-Gesang", sagt Wellinski. Dies erzeuge widersprüchliche und enervierende Momente.

Leos Carax' Kosmos

"Wenn es um die Gefühle geht, um die klare Geschichte, dann sind wir total im Kosmos von Leos Carax. Es geht um Widersprüche, um grüne, kleine Wesen, die aus dem Garten steigen. Wenn es funktioniert, erreicht das wirklich einen schönen Moment der Groteske."
Der Regisseur Leos Carax mit seinen Hauptdarstellern Marion Cotillard und Adam Driver beim 74. Cannes International Film Festival.
Der Regisseur Leos Carax (M.) mit seinen Hauptdarstellern Marion Cotillard und Adam Driver.© picture alliance / dpa / MAXPPP
Etwa wenn als Botschaft der Erfolg von Künstlern kritisiert werde: dass sie keine besseren Menschen sind, sich auch für ihre Kinder einsetzen sollten und diese Kinder keine Gucci-Taschen von Prominenten seien.
"Das ist recht plump, vielleicht sogar als Kritik. Aber das macht auch Spaß, sich das anzusehen. Als großes Meisterwerk würde ich das nicht bezeichnen. Dazu zerfällt der Film zu sehr in seine Einzelteile."

Vollbesetztes Kino ist erlaubt

Nachdem das Festival letztes Jahr Pandemie-bedingt komplett ausgefallen war, sahen rund 2500 Besucher den Eröffnungsfilm im Kinosaal. Für ihn sei das ungewohnt gewesen, sagt Filmkritiker Patrick Wellinski: "Für deutsche Augen wirkt es sicherlich total frivol, was da passiert. Natürlich trägt man Maske im Kino und man hält sich auch an alle Vorgaben der lokalen Gesundheitsämter."
Man profitiere von den Lockerungen der Macron-Regierung, denn in ganz Frankreich dürfen Kinos wieder komplett ausgelastet werden.
Für die Sicherheit der rund 30.000 internationalen Gäste, die sich monatelang nicht gesehen hätten und "deren Vorstellung von Social Distancing vielleicht etwas anders ist, als es die französische Regierung gerne sehen würde", sei auch gesorgt. Es gebe ein riesiges Testzentrum, wo rund um die Uhr PCR-Tests gemacht werden könnten.

Blick nach vorn

Der Eröffnungsabend habe ein Licht auf den Umgang mit der Pandemie bei den Festspielen geworfen, mit einem Blick nach vorn, bei der das Festival eine Art Auszeit und Verschnaufpause bietet. Das Wort Covid, Pandemie oder Virus sei nie gefallen, so Wellinski. "Die Pandemie fand in diesem Saal irgendwie nicht statt".
Auch Jodie Foster, die mit der goldenen Ehrenpalme ausgezeichnet wurde, habe nur von "einem verändernden Moment fürs Kino, einer Zeit, wo wir neue Kraft schöpfen wollen" gesprochen.
(mle)
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