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Windenergie
Hartgesottene Turbinen für die Antarktis

Es gibt Orte auf der Welt, an denen ein Stromausfall nicht nur ärgerlich, sondern lebensbedrohlich werden kann. Die Forschungsstationen in der Antarktis gehören dazu. Im Winter sinken die Temperaturen hier auf unter minus 70 Grad Celsius, die Sonne verschwindet für ein halbes Jahr, eisige Winde pfeifen übers Land. Amerikanische Ingenieure arbeiten daran, dass auch dann der Strom nicht ausfällt.

Von Monika Seynsche | 16.04.2014
    Die Mayrkette (norwegisch: Jutulsessen), ein Gebirge in der Antarktis
    In der Antarktis sind die Winter lang und dunkel. (picture alliance / dpa / Heiko Junge)
    William Stein war noch nie in der Antarktis oder in irgendeinem anderen Polargebiet. Der Ingenieur und Mitbegründer von Black Island Wind Turbines entwickelt und baut seit über zwanzig Jahren Windenergieanlagen. Eines Tages rief das Energieministerium der USA bei ihm an.
    "Sie fragten, ob ich Interesse hätte, mir eine alte Turbine anzuschauen, sie ein bisschen zu verbessern und dann wieder neu zu produzieren."
    Die Turbine um die es ging, war die HR3, ein 30 Jahre altes Modell mit einem Rotordurchmesser von fünf Metern und einer Nennleistung von gerade einmal drei kW. Nichts - verglichen mit modernen Windenergieanlagen, die mehr als das Tausendfache an Strom liefern. Und trotzdem war William Stein fasziniert. Denn die HR3 gilt als härteste Windturbine der Welt.
    Windenergie seit 30 Jahren
    Diese Turbinen hätten schon Windgeschwindigkeiten von umgerechnet mehr als 300 Kilometern pro Stunde überstanden, sagt er. Das ist fast das Doppelte der Geschwindigkeit, mit der der Orkan Christian im vergangenen Oktober auf die deutsche Küste traf. Die Turbine ist so robust, weil die ursprünglichen Entwickler ihr einen Trick eingebaut haben. Bei starkem Wind kippt die Nabe, mitsamt dem an ihr hängenden Generator und den Rotorblättern langsam nach hinten, sodass sich die Rotorblätter nicht mehr vertikal, sondern zuerst schräg und dann horizontal drehen und dem Wind immer weniger Angriffsfläche bieten. Flacht der Wind ab, klappt die Nabe von einer Feder gezogen langsam wieder nach vorne und die Anlage produziert wieder mehr Strom.
    "In der Antarktis laufen eine Reihe dieser Turbinen seit über zwanzig Jahren. Und die Leute vom Energieministerium haben entschieden, dass es auf dem Markt keine andere Windenergieanlage gibt, der sie zutrauen, die harschen Bedingungen dort zu überleben."
    Neben den hohen Windgeschwindigkeiten stellen die tiefen Temperaturen in der Antarktis ein Problem dar. Die meisten modernen Windenergieanlagen haben Rotorblätter aus glasfaser- oder carbonfaserverstärkten Kunststoffen. Diese sind leicht und vergleichsweise günstig herzustellen. Aber bei extremen Temperaturen um die minus 50 Grad Celsius können sie brüchig werden.
    "Die HR3-Turbine dagegen hat Rotorblätter aus Holz. Die sind teurer, aber - das zeigen die Erfahrungen der letzten 30 Jahre - in kalten Klimaten eben sehr zuverlässig."
    Mehr Leistung wäre riskant
    William Stein und seine Kollegen haben die Stromübertragung zwischen der Anlage und dem Netz verbessert, Kabel und Schleifringe ausgetauscht und versuchen nun, einige Bauteile so zu verändern, dass die Anlage seltener gewartet werden muss. Das ist alles. Die Leistung der Turbine erhöhen sie nicht, obwohl die Menschen in der Antarktis sicher gern mehr Strom hätten, sagt William Stein:
    "Jede Neuerung ist mit hohen Risiken verbunden, weil es so viele Unbekannte gibt. Es gibt kein Labor, in dem Sie die Bedingungen in der Antarktis simulieren können. Sie müssen die Geräte vor Ort ausprobieren. Deshalb ist man sehr vorsichtig mit Veränderungen. In der Antarktis ist es ein halbes Jahr lang dunkel, man braucht also die Windenergie. Deshalb hat das Energieministerium entschieden, bei dieser Turbine zu bleiben und sie nur minimal zu verändern, kleine Fehler ausbessern zu lassen, aber nicht von dem zuverlässigen Konzept abzuweichen."
    Im vergangenen Sommer haben die überarbeiteten Turbinen die ersten Prüfungen im Windtestzentrum der West Texas A&M University in Canyon überstanden. Seit wenigen Wochen versorgen nun zwei Anlagen die Station der amerikanischen Luftwaffe am Mount Newell in der Antarktis mit Strom.