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Windkraft
Strömungstechnische Optimierung von Windparks

Eine Turbine eines Windrades arbeitet optimal, wenn der Wind senkrecht auf den Rotor trifft. Die Leistung eines Windparks kann aber optimiert werden, indem einzelne Turbinen gezielt aus der Strömung gedreht werden. Wissenschaftler der TU München haben in Kooperation mit anderen Universitäten dafür eine eine intelligente Steuerungstechnik entwickelt.

Von Simon Schomäcker | 03.04.2017
    Felder mit zahlreichen Windkraftanlagen bei Husum in Schleswig-Holstein
    Felder mit zahlreichen Windkraftanlagen bei Husum in Schleswig-Holstein (dpa picture-alliance/ Daniel Reinhardt)
    Der Windkanal am Polytechnikum Mailand. In der weitläufigen, blauen Halle lassen sich die Windverhältnisse nahe des Erdbodens simulieren. In dem von einem riesigen Gebläse erzeugten Luftstrom drehen sich drei Modell-Windräder hintereinander. Etwa anderthalb Meter sind sie hoch und verhalten sich im Wind fast genauso wie ihre realen Vorbilder. Wissenschaftler von der Technischen Universität München haben die Modell-Anlagen hier aufgebaut, darunter Robin Weber:
    "Wie jedes andere Objekt im Wind haben auch Windturbinen einen Windschatten, wir nennen das Nachlauf. Und wenn das nächste Windrad direkt in diesem Nachlauf steht, mit langsamerem Wind, dann kann das auch weniger Energie aus diesem Wind entziehen. Und das ist natürlich etwas, was wir vermeiden wollen."
    Strömungsverhältnisse in Windparks
    Natürlich werden Strömungsverhältnisse bereits in der Planungsphase eines Windparks berücksichtigt. Heutzutage kann der Wind zum Beispiel mit LiDAR-Systemen sehr gut vermessen werden. Dabei tastet ein Laser die Staubverwirbelungen in der Luft ab. Die Anordnung der Anlagen wird dann für die Hauptwindrichtung und -windgeschwindigkeit optimiert.
    "Bei LiDARs geht es hauptsächlich darum, mehr über die Strömungsverhältnisse in der Windfarm herauszubekommen. Wir wollen die Strömungsverhältnisse optimieren. Da wir die Turbine jetzt ganz schlecht umsetzen können, wenn sie im Nachlauf steht, wollen wir den Nachlauf ablenken."
    Normalerweise arbeitet eine Turbine optimal, wenn der Wind senkrecht auf den Rotor trifft, weiß Filippo Campagnolo. Er hat die Modell-Anlagen für die Versuchsreihen im Mailänder Windkanal gebaut. Der Nachlauf lässt sich jedoch ablenken, indem die Anlage etwas aus der Windrichtung herausgedreht wird. Fachleute sprechen hierbei von Gieren – das bedeutet, einen Gegenstand in der Vertikalachse zu drehen. Alle modernen Anlagen beherrschen dies bereits - eigentlich aber, um der Windrichtung zu folgen.
    "Eine gegierte Windturbine drückt den Wind, der die Turbine passiert und damit also den Nachlauf senkrecht zur eigentlichen Windrichtung. Theoretisch lässt sich damit der Nachlauf so steuern, dass er an der stromabwärts gelegenen Windturbine vorbeizieht. Natürlich verliert diese gegierte Maschine etwas an Leistung, aber die Idee ist, dass die nachfolgenden Turbinen diesen Verlust mehr als wettmachen."
    Leistung eines Windparks um bis zu 15 Prozent steigern
    Die Versuchsreihen im Windkanal zeigten: Es ist tatsächlich möglich, die Leistung eines Windparks um bis zu 15 Prozent zu steigern - und zwar indem einzelne Turbinen gezielt aus der Strömung gedreht werden. Alleine in Deutschland gibt es aktuell um die 27.000 Windkraftanlagen, wodurch sich der Effekt sicher bemerkbar machen würde, meint Robin Weber:
    "Ende Februar hatten wir einen neuen Rekord in Deutschland. Da wurden 817 Gigawattstunden an einem einzelnen Tag nur durch Wind erzeugt. Und wenn wir das nur um drei Prozent steigern könnten, dann würden wir für den einen Tag ein Atomkraftwerk abschalten können."
    Die Forscher haben in den Versuchsreihen eine intelligente Steuerungstechnik entwickelt. Der Algorithmus betrachtet die Leistung eines Windparks in Summe. Dann wird jede einzelne Anlage automatisch so ausgerichtet, dass das Kollektiv ein Maximum an Strom produziert. Für den praktischen Einsatz sind jedoch noch mehr Versuche im Windkanal notwendig, betont Filippo Campagnolo.
    Die Wissenschaftler hoffen, dass sie den Praxistest demnächst in einem EU-geförderten Nachfolgeprojekt durchführen können. Für einen flächendeckenden Einsatz ihrer Technik müssten aber auch noch andere Herausforderungen gemeistert werden, erläutert Robin Weber:
    "Windräder werden nicht dafür ausgelegt, längere Zeit in diesem gegierten Betrieb zu laufen, auch mit 10 bis 20 Grad Abweichung zur Hauptwindrichtung. Da sind die Lasten natürlich anders."
    Eine Chance für materialtechnische Weiterentwicklungen der Windräder und die Berücksichtigung der intelligenten Steuerung könnte jedoch die weltweit sehr starke Nachfrage nach neuen Turbinen sein. Hinzu kommt die Modernisierung bestehender Windparks, deren Anlagen nun nach rund 20 Jahren das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben.