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Winston Churchill
Machtpolitiker macht Kunst

Jeder kennt ihn als erfolgreichen und harten Machtpolitiker: Winston Churchill, der britische Staatsmann. Weniger bekannt ist Churchill, der Maler: Der ehemalige Premier soll es auf mehr als 500 Bilder gebracht haben. In mehreren Essays schrieb er, woher seine Mal-Wut kam.

Von Wolfram Schütte | 23.02.2015
    Der britische Staatsmann Sir Winston Churchill (1874-1965) grüßt aus einem Fahrzeug heraus mit der für ihn typischen Geste, dem Victory-Zeichen.
    Auch als Maler erfolgreich: Winston Churchill (picture alliance / dpa / Central Press)
    Kürzlich machte das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung mit einer Reihe von Farbbildern auf. Sie stammten aus dem Nachlass von Sir Winston Churchills jüngster Tochter, die 2014 im Alter von 91 Jahren gestorben ist. Ihr Vater war genauso alt geworden, aber schon 1965 gestorben. Erst im Alter von 40 Jahren hatte er zur Malerei – als Hobby – gefunden. Danach gehörte sie zu seinem bevorzugten Zeitvertreib – neben der Schriftstellerei, für die der englische Adlige und britische Premier 1953 den Literaturnobelpreis erhielt.
    Obwohl Churchill die britische Nation mit Mut, Ausdauer und Enthusiasmus gegen den verhassten Hitler siegreich ins Feld geführt hatte, wählten ihn seine Landsleute nach Kriegsende ab. Uns Schuljungen wurde das damals als glorioser Musterfall für eine reife demokratische Gesellschaft vor staunende Augen gestellt. So sollte die Bundesrepublik auch einmal werden.
    Millionenschwere Churchills
    Churchill, der fast nie ohne qualmende Havanna zu sehen war, begegnete uns dann aber wieder in den Wochenschauen. Dort gehörte er zur internationalen Prominenz, die sich unter den Augen der Öffentlichkeit ihren beneidenswerten Vergnügungen und Reisen hingab. Da war dann von Churchill, den ich noch heute an der Cote d´Azur schwergewichtig von Bord einer Luxusjacht schwanken sehe, als Hobby-Maler die Rede. Er soll es auf über 500 Gemälde gebracht haben. Einige der von der SZ publizierten Bilder wechselten bei Sotheby´s für mehrere Millionen Euro den Besitzer.
    Der einst bewunderte und dann lange Zeit bis zu seinem jetzigen fünfzigsten Todestag weithin vergessene Staatsmann wäre der erste gewesen, der sich – scharfzüngig, wie er war – über den pekuniären Erfolg seiner Malereien lustig gemacht hätte. Denn er wusste gerade dadurch, dass er nur zu seinem Vergnügen malte, dass er nicht mit großen Künstlern konkurrieren konnte. Er wollte es auch nicht.
    Das kann man dem schmalen Bändchen entnehmen, das unter dem Titel "Zum Zeitvertreib" Essayistisches von Sir Winston zum "Lesen und Malen" sammelt - als sei´s, aufgrund der ästhetischen Anmutung, ein Band der Inselbücherei. Dabei ist er bei Hoffmann und Campe erschienen. Weder erfährt man etwas über die Herkunft oder die Anlässe der womöglich zu drei verschiedenen Zeiten entstandenen, von Claus Sprick übersetzten Arbeiten, noch wer ihr Nachwort verfasst hat.
    Malen als Flucht aus der Politik
    Wie der verbindende Titel dieser klassischen britischen Essayprosa annonciert, reflektiert Churchill darin über den Zeitvertreib. Dazu hatte der leidenschaftliche Politiker in seiner langen Karriere in öffentlichen Ämtern immer wieder Gelegenheit. Denn öfters wurde der eigenwillige Feuerkopf abgewählt oder er musste seine Ämter verlassen. Zum ersten Mal musste er 1915 als Marine-Minister gehen, und aus dieser Zeit rührt seine Beschäftigung mit der Malerei her. Weil er seine amtierenden Kollegen verachtete und deren Kompetenz bezweifelte, suchte er nach einem Zeitvertreib, der ihn psychisch und mental nachhaltiger von der Politik entfernte als das in eine große Bibliothek versenkte Lesen, mit dem er sich bis dahin Abwechslung und Ablenkung verschafft hatte.
    Am besten empfiehlt der Leser Churchill, die Lektüre in einer anderen Sprache. "Das erfrischt den Geist durch eine andere Abfolge und Gewichtung der Gedanken. Schon die Ausdrucksweise regt andere Gehirnzellen an und verschafft denen, die ständig strapaziert werden, eine besonders wirksame Erholung. Man kann sich vorstellen", fügt er mit einem humoresken Augenzwinkern hinzu, "dass jemand, der seinen Lebensunterhalt als Trompeter verdient, zum Zeitvertreib gerne Geige spielen würde. So ist es auch, wenn man in einer anderen Sprache als der eigen liest".
    Erleichterung fürs Gehirn
    Aber die Sprache - und sei es sogar ein fremde – bietet ihm noch zu wenig Abwechslung für die erwünschte Erholung. Wer handwerklich begabt ist, kann mit solchen manuellen Tätigkeiten "dem überlasteten Gehirn wirkliche Erleichterung verschaffen". Die Teile des Gehirns, die Auge und Hand zugleich steuern, träfen aber beim Malen und Zeichnen in jeglicher Form zusammen. Deshalb könne man damit den weitreichendsten Kontrast zur "Alltagsroutine des Geistesarbeiters" herstellen. So beglückt ist der Hobby-Maler Churchill über seinen im vorgerückten Alter gefundenen zweiten "Zeitvertreib", dass er beim Vergleich mit dem Malen einen Fehler macht. Nicht das passive Lesen, sondern das aktive Schreiben hätte er dazu heranziehen müssen.
    Vielleicht aber hat der Autor von ein paar Tausend Seiten dichtester Prosa über den 1. und den 2. Weltkrieg und ein paar Hundert rhetorisch ausgefuchstester Reden in der nichtsprachlichen Komposition von Farben und Dingen ein kreativeres Vergnügen gesehen, das ihn noch mehr herausforderte. Allerdings betrachtet sich der auch als "skrupelloser Krieger" bewunderte Essayist sofort als Feldherr, wenn er seine wortlosen malerischen Tätigkeiten auf der Leinwand gewissermaßen mit grobem Pinsel verbalisiert. Das wirkt, gerade auch angesichts der Idyllik seiner malerischen Sujets und Landschaften, heute besonders komisch.
    Der Maler als Oberbefehlshaber
    Aber diese exzentrische Metaphorik des glücklichen Hobbymalers Churchill ist nicht alles, was man seiner glühenden Liebeserklärung für seine Lust am malerischen Zeitvertreib entnehmen kann. Der "Oberbefehlshaber in allen Schlachten", befindet der kriegerische englische Freizeitmaler, müsse "einen guten Plan für seine Streitkräfte entwerfen und eine starke Reserve in der Hinterhand behalten". Beides sei "auch für den Maler unerlässlich". Wie der Militär das Gelände für seinen Schlachtplan, so müsse der Maler die Natur studieren, um sie auf die Leinwand zu bannen. So folge der Entscheidung für den malerischen Zeitvertreib als Nebengewinn eine gesteigerte Wahrnehmung der realen Welt wie auch ein detaillierteres Verständnis der Kunst der großen Maler.
    Winston Churchill: Zum Zeitvertreib. Vom Lesen und Malen.
    Aus dem Englischen von Claus Sprick. Hoffmann und Campe, Hamburg 2014, 62 Seiten, 14 €