Dienstag, 19. März 2024

Archiv


"Wir bräuchten dringend so eine Art Internet-Ministerium"

In einem offenen Brief fordert die Schriftstellerin Juli Zeh die Aufklärung der NSA-Affäre. Die Bundesregierung hätte deutlich Stellung beziehen müssen, findet Zeh. "So zu tun, als gäbe es das alles nicht, ist der falsche Weg."

Juli Zeh im Gespräch mit Peter Kapern | 09.09.2013
    Peter Kapern: Ilija Trojanow hat es getan und Moritz Rinke auch, Robert Menasse ist dabei, genauso wie Sten Nadolny, Tilman Spengler und Tanja Dückers und, und, und. Fast 65.000 Menschen haben den offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel mittlerweile unterzeichnet, den die Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh aufgesetzt hat, und unter den 65.000 Unterschriften finden sich eben auch die vieler anderer Schriftsteller. "Das Grundgesetz" - so endet der Brief an die Kanzlerin -, "Das Grundgesetz verpflichtet Sie, Schaden von deutschen Bundesbürgern abzuwenden, Frau Bundeskanzlerin. Wie sieht Ihre Strategie aus?" - Gefragt wird nach einer Strategie, mit der sich sicherstellen lässt, dass die Menschen in Deutschland nicht von Geheimdiensten ausspioniert werden, wenn sie E-Mails schreiben, telefonieren, im Internet surfen oder etwas bei Facebook posten. Formuliert wurde der Brief bereits im Juli, da war noch nicht bekannt, dass britische und amerikanische Geheimdienste auch Smartphone-Daten abschöpfen können, dass sie über die Fähigkeit verfügen, selbst verschlüsselte Nachrichten zu entziffern. Die Unterzeichner des Briefes sind entsetzt über den Umgang der Bundesregierung mit diesen Enthüllungen, darüber, dass die Politik, so heißt es da, nichts unternimmt. Als in der vergangenen Woche der "Guardian" darüber berichtete, dass nicht einmal verschlüsselte Leistungen vor den Schnüfflern sicher sind, da reagierte Regierungssprecher Georg Streiter mit dem lakonischen Satz, wer hin und wieder Computerzeitschriften lese, der habe das schon immer gewusst. Das haben wir vorhin gehört. Was sie von einem solchen Satz hält, das habe ich vor der Sendung die Verfasserin des Protestbriefs Juli Zeh gefragt.

    Juli Zeh: Ich frag mich immer, ob es Dummheit ist oder Böswilligkeit, muss ich ehrlich sagen, weil eine andere Alternative fällt mir nicht ein. Entweder da verkennt jemand die Bedeutung und weiß gar nicht, worüber er redet, oder er hat den Auftrag, das alles runterzuspielen und in der Öffentlichkeit so zu tun, als gäbe es kein Problem, und diesen letztgenannten Fall würde ich angesichts der Tragik dieser ganzen Enthüllungen wirklich dann schon böswillig nennen. Das ist schon Irreführung der Öffentlichkeit.

    Kapern: Bringt diese Behauptung, diese Enthüllung, dass selbst verschlüsselte Leitungen von Geheimdiensten geknackt werden, noch einmal eine neue Qualität in diese Geheimdienstaffäre?

    Zeh: Ich finde, dass jedes Detail, was jetzt über Wochen hinweg immer weiter dazukommt, die Qualität jedes Mal neu verändert. Man hat so das Gefühl, es entfaltet sich ein Panorama, und man denkt jedes Mal: "Okay, das können sie jetzt auch schon, das machen sie also auch." Jedes Mal denkt man, jetzt ist Schluss, da kann nicht noch was kommen, und dann geht’s aber doch noch mal einen Schritt weiter. Es ist wie so eine "never ending story" tatsächlich in Richtung des Gefühls, es gäbe sie schon, die totale Durchleuchtung, selbst wenn man versucht, etwas zu verstecken, es wird trotzdem geknackt und abgehört.

    Kapern: Nun haben Sie diesen Brief an die Adresse der Kanzlerin geschrieben, um zu protestieren gegen die Tatenlosigkeit. Haben Sie eigentlich eine Erklärung für den Attentismus der Politik?

    Zeh: Ich kann es mir eigentlich nur so erklären, dass man eine ganz nüchterne Abschätzung jetzt gerade in Wahlkampfzeiten gemacht hat, wie öffentlichkeitswirksam ist das Thema, und dann hat man sich gedacht, damit sind nicht wirklich Punkte zu gewinnen. Zwar kommt jetzt so ein allgemeines Unbehagen schon auf, aber so richtig hat sich noch nicht eine klare Meinung formiert. Das ist immer noch eine Minderheit, die da wirklich sehr deutlich Stellung bezieht. Und weil man ja selber schon seit Jahren dabei ist, die Sicherheitsgesetze in diese Richtung immer mehr Überwachung zu drängen, ist man ja auch argumentativ auf einem schlechten Stand. Man kann ja schlecht sagen, wir finden das alles blöd, wenn man sich daran selbst beteiligt hat die letzten Jahre. Und ich denke mal, das war dann so eine nüchterne Abwägung zu sagen: "Nein, wir machen das eben nicht zu unserem Thema, sondern ganz im Gegenteil, spielen das runter und warten, bis die Leute das Interesse verlieren."

    Kapern: Was erwarten Sie von der Bundesregierung?

    Zeh: Ach, es gäbe so wahnsinnig viel zu erwarten. Mal abgesehen davon, dass schon rein rhetorisch in der Art, was man sagt, wenn so was passiert. Von den ersten Minuten der Snowden-Enthüllung an hätte man natürlich ganz andere Vokabeln in den Mund nehmen müssen. Die Antwort kann nicht lauten: "Das haben wir aus der Presse erfahren." Man muss schon deutlich erst mal Stellung beziehen: "Was wissen wir, und auch, was wollen wir." So zu tun, als gäbe es das alles nicht, ist der falsche Weg. Es gibt Überwachung und zum Teil ist sie ja auch gewollt, und dann muss man das ehrlich sagen und den Leuten erklären, warum. Damit geht’s schon los. Rein sachlich braucht es einfach wirklich endlich eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie sollen im Kommunikationszeitalter diese Machtverhältnisse verteilt sein. Um es ganz konkret zu sagen: Wir bräuchten dringend so eine Art Internet-Ministerium. Wir brauchen wirklich ein Ressort in der Politik, was sich mit diesen Fragen beschäftigt. Es ist ja gar kein Ansprechpartner da.

    Kapern: Was meinen Sie mit der Verteilung von Machtverhältnissen?

    Zeh: Momentan ist es ja einfach so, dass die Daten so ein bisschen sind wie das Gold zu Beginn der Goldgräberzeit. Man geht in ein Land, wo es noch keine klaren Besitzverhältnisse gibt, und steckt Claims ab, und wer zuerst da war und den größten Claim ergattert, dem gehört der auch erst mal, und dann wird halt heftig geschürft. Das soll jetzt nicht so apokalyptisch klingen, wie das manchmal formuliert wird, aber man muss sagen, das sind in dem Bereich Datenverwertung so ein bisschen anarchische Zustände. Das ist nicht in irgendeiner Form reguliert. Und wir brauchen ganz klar erst mal einen Verbraucherschutz, der richtet sich gegen die Ausbeutung von Daten durch die privatwirtschaftlichen großen Unternehmen, die ungeheuere Macht akkumulieren. Und auf der anderen Seite brauchen wir eben einen Datenschutz in bürgerrechtlicher Hinsicht, also einen Datenschutz, der die Bürger davor schützt, dass eben der Staat und die Sicherheitsbehörden diese Daten ebenfalls gegen sie verwenden.

    Kapern: Aber wie, Frau Zeh, soll man verhindern, dass Kommunikation, die zwischen Köln und Berlin abläuft, irgendwo an einem Server in den USA abgegriffen wird?

    Zeh: Es wird immer gern gesagt, man könne dagegen nichts machen. Aber es fängt ja schon mal an mit der Frage, warum muss das denn über einen Server in den USA laufen. Das liegt ja daran, weil Europa und gerade Deutschland, wirklich noch mehr als viele andere europäische Länder, einfach gepennt hat in den letzten Jahren. Wir haben das Internet auch technisch von der Infrastruktur her nicht ernst genug genommen. Da fehlt es an Infrastrukturen. Da könnte man schon mal ganz massiv was tun. Und das andere ist: Man kann auch internationale Materien gesetzlich regulieren. Es ist ja nicht so, dass nicht auch anderes möglich wäre. Man muss sich ja immer fragen: "Wieso steht in meinem Wohnzimmer eigentlich kein amerikanischer Agent und schaut mich die ganze Zeit an? Das wäre doch eigentlich die allersicherste Methode, um zu verhindern, dass ich ein Terrorist werde." Das wird nicht gemacht, nicht nur, weil das zu teuer ist, sondern auch, weil wir das nicht wollen. - Das ist jetzt ein drastisches Beispiel, aber ich will nur sagen: Möglich, technisch und auch sonst, wäre noch viel, viel, viel mehr auf dem Sektor Überwachung, und auch nicht erst seit 10 oder 20 Jahren, sondern schon immer, und wir dürfen nicht vergessen, dass wir die Entscheidungshoheit haben. Wir können uns aussuchen, was wir wollen, und man kann auch verbieten, dass die Mails von deutschen Bürgern in Amerika abgehört werden. Man braucht dafür nur ein entsprechendes internationales Abkommen.

    Kapern: Warum, Frau Zeh, sind Sie eigentlich so sicher, dass alles, was wir unter Berufung auf Edward Snowden erfahren in den letzten Wochen, auch wirklich zutreffend ist?

    Zeh: Weil es unwidersprochen ist. Die Materie ist so heiß, es wird so aggressiv darauf reagiert - man hat ja gesehen, dass Großbritannien und die dortigen Geheimdienste sich nicht mal zu schade sind, wirklich vordemokratische Methoden anzuwenden und Leute einzuschüchtern, am Flughafen abzugreifen und zu verhören, um zu verhindern, dass noch weitere Enthüllungen passieren. Wenn das alles nicht stimmen würde, hätte man ganz anders reagiert, nämlich erstens mal mit der Ansage: "Das stimmt nicht." Und zweitens hätte man es dann auch nicht nötig, solche Einschüchterungspraktiken durchzuführen. Nachdem alle im Grunde ja nur schweigen, muss man sagen, das sieht schon sehr nach einem affirmativen Schweigen, gepaart mit so einer Art von schlechtem Gewissen aus. Das ist ja auch das, was die Bundesregierung macht.

    Kapern: Wie viel Spionage müssen wir eigentlich im Interesse unserer eigenen Sicherheit hinnehmen? Bundesinnenminister Friedrich spricht da ja beispielsweise von einem Supergrundrecht auf Sicherheit.

    Zeh: Ja, wo er das abgeleitet hat, würde mich auch mal interessieren. In der Verfassung steht das nicht und das höre ich als Juristin so auch aus seinem Mund eigentlich zum ersten Mal. Das muss irgendwie das Friedrich-Grundrecht sein, von ihm selbst erfunden. Ich kann Ihnen jetzt nicht in%en oder anderen festen Kernzahlen beziffern, wie viel Überwachung wir hinnehmen müssen. Das lässt sich natürlich nicht ausdrücken in konkreten Zahlen. Wir haben aber im Rahmen unserer Verfassung eigentlich ein ganz gutes Gleichgewicht und das hat über Jahrzehnte hinweg gut funktioniert, dass man das Sicherheitsinteresse und das Freiheitsinteresse gegeneinander balanciert hat. Manchmal musste das Bundesverfassungsgericht eingreifen, in den letzten Jahren vermehrt, weil es einfach immer mehr Richtung Sicherheit ging und immer weniger für die Freiheit der Bürger eigentlich getan wurde. Jetzt kippt es aber endgültig. Man kann im Grunde schlicht sagen: "Lasst uns doch bei dem bleiben, was wir seit dem Zweiten Weltkrieg hier in Deutschland hatten, es hat wunderbar funktioniert." Die Bedrohung ist seitdem nicht gewachsen, sondern geschrumpft. Das ist es, was wir immer vergessen. Wir glauben, wir leben in so unsicheren Zeiten und müssten das deswegen alles hinnehmen. Das stimmt überhaupt nicht. Wir leben sicherer denn je. Wir haben einfach nur vergessen, was der Kalte Krieg für ein Bedrohungsszenario war.

    Kapern: Frau Zeh, Ihr Brief zielt ja auf die Untätigkeit der Bundesregierung. Aber wenn man sich mal in Deutschland umschaut, dann hat man den Eindruck, als würden die Snowden-Enthüllungen nicht besonders viele Menschen im Lande aufregen. Müssen Sie also nicht vielmehr den deutschen Michel aufschrecken als die deutsche Politik?

    Zeh: Doch, müsste ich. Muss ich, will ich ja auch. Es ist natürlich so, dass die Bundesregierung ja keine von Volkes Wille völlig unabhängige Größe ist. Dass die untätig sind, liegt daran, dass die eben zurecht denken, es sei ja auch nicht genug Interesse im Volk vorhanden. Wenn wir jetzt hier irgendwie zwei Millionen Leute bei einer Demonstration auf der Straße hätten, dann wäre das Wahlkampfthema geworden und dann hätten die auch ganz anders reagiert. Ich versuche auch das. Ich versuche beides, weil es ist halt so eine Mischung. Eigentlich sagt man in der Demokratie, es muss zuerst Volkes Wille kommen, die Leute müssen ein starkes Interesse haben, und dann setzt die Politik das um. Es gab aber auch immer wieder Fälle - und das haben wir in ganz vielen Themengebieten erlebt -, da checken es die Leute nicht rechtzeitig, und dann muss es eben eine kleine Gruppe von Leuten sein, die politisch anfängt zu agitieren, und dann darf man sich auch ruhig mal an die Regierung wenden und sagen: "Passt mal auf, ihr müsst verstehen, wie wichtig das ist." Weil ich glaube wirklich - und das sage ich nicht zynisch und abwertend -, es ist bei der Führungselite im Land zum Teil das bare Unverständnis ein Problem, nicht ein technisches Unverständnis unbedingt, das ist gar nicht so wichtig, aber die verstehen einfach nicht, was da sich entwickelt, was das auch für unsere Gesellschaften in Zukunft bedeuten wird, sondern die glauben immer irgendwie, man könnte so, das ist irgendwie unangenehm, und wenn man nicht hinguckt, dann erledigt sich das schon irgendwie von selbst, dann gewöhnen wir uns daran, dann wird das schon nicht so schlimm. Die konfrontieren sich einfach nicht richtig mit dem Problem, und deswegen muss man auch an die Regierung direkt appellieren.

    Kapern: Ich sagte es vorhin: rund 65.000 Unterschriften. Haben Sie eigentlich schon eine Reaktion aus dem Kanzleramt erhalten?

    Zeh: Wir haben - ich, kann ich in dem Fall sagen - da letzte Woche wieder angerufen und um einen Termin gebeten, um die Unterschriften übergeben zu dürfen, und jetzt haben wir so was in der Art bekommen. Wir dürfen nicht ins Kanzleramt und es kommt natürlich auch nicht Frau Merkel direkt, aber es soll ein Übergabetermin stattfinden, den wir auch wahrnehmen werden, und ich würde das gerne noch mal verbinden mit einem kleinen Miniprotest, gerade speziell jetzt aus Kreisen der Schriftsteller, einfach weil das mein Berufsfeld ist und weil ich gerne noch Kollegen motivieren möchte, da mitzukommen und auch mit ihrem Gesicht quasi dafür einzustehen, dass sie das ernst meinen mit diesem Appell.

    Kapern: Und haben Sie das schon organisiert?

    Zeh: Wir sind gerade dabei. Das soll noch vor der Wahl stattfinden, am 18. September, und deswegen ist die Zeit jetzt knapp. Ich bin zurzeit wirklich sehr viel damit beschäftigt, E-Mails zu schreiben und zu telefonieren und zu versuchen, jetzt möglichst viel Unterstützung auch noch für diese Aktion zu bekommen.

    Kapern: Die Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh - das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.