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"Wir brauchen bei der FDP keinen Supermann an der Spitze"

Angesichts der anstehenden Landtagswahlen empfiehlt der FDP-Politiker Michael Theurer seiner Partei, sich in Baden-Württemberg auf die eigenen Stärken zu besinnen. Die FDP im Ländle sei immer auch der Motor der Bundespartei gewesen.

Michael Theurer im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 04.01.2011
    Tobias Armbrüster: Die FDP hat ein paar stürmische Wochen hinter sich. Seit Anfang Dezember wird in der Partei zunehmend lauter über Parteichef Westerwelle geredet. Die wichtigste Frage: Kann er die Partei noch führen oder ist er mit einigen strategischen Fehlern hauptverantwortlich für den Niedergang in den Umfragen? Dort liegt die Partei inzwischen etwas mehr als ein Jahr nach ihrem Rekordergebnis gerade mal bei fünf Prozent. Die FDP blickt deshalb in dieser Woche nach Stuttgart, am Donnerstag findet dort das traditionelle Dreikönigstreffen statt. Von Westerwelle wird dort so etwas wie die Rede seines Lebens erwartet. Die muss er abliefern, wenn er Parteivorsitzender bleiben will. Traditionell treffen sich vor diesem Tag die Delegierten der Landespartei zu ihrem Parteitag in Stuttgart, der stellvertretende Landesvorsitzende der FDP in Baden-Württemberg heißt Michael Theurer. Schönen guten Morgen!

    Michael Theurer: Ja, guten Morgen, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Theurer, hat sich die FDP in den vergangenen Wochen kaputtgeredet?

    Theurer: Ich hoffe nicht. In einer demokratischen Partei ist es natürlich ganz klar, dass solche Umfragewerte, vor allen Dingen aber natürlich auch das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern zu der Frage führt, ist die Partei noch richtig aufgestellt? Ich hoffe allerdings, dass jetzt die FDP sich nach vorne orientiert, weil das Schlimme ist ja, dass diese Personaldebatte über den Vorsitzenden und über die personelle Aufstellung der FDP auch unsere größten programmatischen Erfolge überdeckt, etwa die Aussetzung der Wehrpflicht, dafür kämpft die FDP schon seit vielen Jahren, und die wird jetzt Realität mit dem Jahr 2011. Und wir müssen aufpassen, dass also Personaldebatten inhaltliche Erfolge der Regierungsarbeit in Berlin nicht überdecken.

    Armbrüster: Aus Ihrem Landesverband kam vor Weihnachten ein offener Brief an Westerwelle, der ihn zum Rückzug aufgefordert hat. War das in Ihrem Sinne?

    Theurer: Also ich bin seit Wochen daran, Guido Westerwelle den Rücken zu stärken. Ich respektiere allerdings natürlich Parteifreunde, die der Meinung sind, es müsste ein Wechsel an der Spitze erfolgen. Ich halte davon nichts, ich bin der Meinung, dass Guido Westerwelle der gewählte Vorsitzende ist und uns vor allen Dingen als Parteivorsitzender auch zu diesen Erfolgen geführt hat. Das heißt nicht, dass alles gut gelaufen ist im Regierungseintritt, aber wir haben es gestern auch hier in unserem Kreisverband diskutiert, der bei den Wahlen 2006 mit 19,8 Prozent das Beste Ergebnis in Baden-Württemberg erzielt hat. Und wir kamen zum Ergebnis, es ist nicht alles Westerwelle, und wir hoffen, dass Guido Westerwelle jetzt beim Dreikönigsparteitag einen guten Auftritt hat, wobei ich da klar sage, wir brauchen bei der FDP keinen Supermann an der Spitze, sondern ein Team, das sich durch Standfestigkeit bei liberalen Grundsätzen in der praktischen Regierungspolitik bewährt. Also ich glaube, es kommt jetzt drauf an, dass wir in der Regierungsarbeit ankommen, auch als Partei, und dann diesen mühsamen Weg, Kompromisse zu erzielen und die dann auch zu vermitteln, dass wir den gehen.

    Armbrüster: Ist denn nicht genau das das Problem der freien Demokraten, dass sich die Partei eigentlich nichts sehnlicher wünscht als eine neue Führungsfigur, aber dass schlicht und einfach niemand da ist, der diesen übermächtigen Supermann Guido Westerwelle ersetzen könnte?

    Theurer: Also, wenn man hineinschaut in das Regierungsteam von Rainer Brüderle über die Dirk Niebel, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Philipp Rösler und auch in die Fraktion mit Birgit Homburger und vor allen Dingen unserem Generalsekretär Christian Lindner, dann sind da profilierte Personen auf der Bundesebene. Wir haben auch in den Ländern und auch auf europäischer Ebene profilierte Politiker.

    Armbrüster: Wären das denn Leute, Herr Theurer, die Sie da gerade genannt haben, die als Nachfolger von Westerwelle taugen würden?

    Theurer: Also theoretisch ist in einer Demokratie jede Lösung möglich. Die Grünen sind jahrelang den Weg gegangen, einen Parteivorsitzenden zu benennen, der nicht in der Regierung ist, bei der SPD hat es nicht funktioniert, und von dem her, die Spekulationen bringen nichts. Ich glaube, wir müssen uns auf die konkrete Arbeit konzentrieren, und da hat die FDP natürlich doch einiges so gemacht, dass man es besser hätte vermitteln können. Nehmen Sie mal als Beispiel die Diskussion um die Mehrwertsteuer bei den Hotels. Es sah so aus, als ob wir das unbedingt wollten und damit auch schon am Ziel seien. Hätten wir von Anfang an deutlich gemacht, dass es da um eine europäische Harmonisierung geht, dass es da um einen ersten Schritt geht, dass die Mehrwertsteuer insgesamt reformiert werden muss, dann hätten wir uns wesentlich leichter damit getan. Und wenn man jetzt in Einzelgesprächen praktisch mühsam in Baden-Württemberg deutlich macht, wie wichtig die Hotel- und Tourismusbranche ist, weil mehr Menschen da beschäftigt sind als in der Automobilbranche, dann kommen viele und sagen, ja, Menschenskinder, so hat uns den abgesenkten Mehrwertsteuersatz für Hotelübernachtungen bisher niemand erklärt.

    Armbrüster: Muss man diesen abgesenkten Hotelsteuersatz, diesen Fehler, den die FDP gemacht hat, muss man den nicht dem Vorsitzenden Guido Westewelle ankreiden?

    Theurer: Also wir haben – das steht ja in der Koalitionsvereinbarung drin, CSU und FDP wollten das, das heißt, das hat der Parteitag beschlossen, der Bundesvorstand. Das kann man nicht alleine Westerwelle ...

    Armbrüster: Aber Guido Westerwelle hat es durchgepeitscht in der Koalition.

    Theurer: Das kann man nicht alleine Westerwelle anlasten, und ich halte es auch nicht für einen Fehler, sondern der einzige Fehler ist, dass wir jetzt nicht mehr Druck auf Finanzminister Schäuble machen, dass die Gesamtreform bei der Mehrwertsteuer vorankommt, genauso wie wir mehr Druck machen müssen, dass die Steuervereinfachung kommt, wenn schon die Steuersenkung nicht durchsetzbar ist, gerade im Moment, weil die Haushalte konsolidiert werden müssen.

    Armbrüster: Ist Guido Westerwelle der beste Vorsitzende in der Geschichte der FDP?

    Theurer: Also so weit würde ich jetzt nicht gehen, weil andere Vorsitzende in schwieriger Zeit, etwa Hans-Dietrich Genscher, Hervorragendes geleistet haben. Aber er ist ein sehr guter Vorsitzender, der uns nach elf Jahren Opposition zu Erfolgen in den Bundesländern und auch im Bund geführt hat. Und jetzt muss sich Guido Westerwelle mit der gesamten FDP bewähren in der Regierungsarbeit, und darum geht es jetzt. Und da sollten wir auch akzentuieren mit einer Portion Bescheidenheit, dass wir sagen, was steht an. Wir müssen ...

    Armbrüster: Wenn Sie das so sagen, Herr Theurer, wenn ich Sie da kurz unterbrechen darf, Westerwelle hat uns viele Wahlerfolge beschert in den letzten Jahren, war dort sehr erfolgreich, das klingt so ein bisschen nach einem Politikerstatement, mit dem man auch sehr bequem leben kann, wenn Westerwelle dann mal in einigen Wochen oder Monaten zurücktreten sollte.

    Theurer: Also ich gehe nicht davon aus, dass Westerwelle zurücktritt, sondern dass er kämpfen wird mit dem Ziel, dass wir gut abschneiden bei den Landtagswahlen, die jetzt anstehen. Und für Baden-Württemberg empfehle ich uns da, dass wir uns auf eigene Stärken besinnen, denn die FDP in Baden-Württemberg war immer der Motor der FDP. Wir sollten also nicht auf den Bund starren, sondern eigene Stärken in den Vordergrund setzen, zum Beispiel eine aktive Mittelstandspolitik betreiben. Schauen Sie, der Aufschwung, der ist bei den DAX-Konzernen angekommen, aber noch nicht beim Mittelstand, die fühlen sich zerrieben zwischen steigenden Kosten für Energie, mit gedrückten Preisen und jetzt steigenden Erwartungen der Arbeitnehmer nach Lohnsteigerung, was ja verständlich ist, die Kreditversorgung ist noch schwierig. Also das heißt, der Mittelstand hat ernsthafte Sorgen, und da muss es eine Partei geben, die dieses Thema aufgreift, und das ist die FDP. Und wenn wir in dem Bereich uns auch klar positionieren, dann bin ich sicher, dass wir in Baden-Württemberg ein gutes Ergebnis erzielen.

    Armbrüster: Aber kann man das mit einem Vorsitzenden, der so ins Gerede gekommen ist wie Guido Westerwelle?

    Theurer: Also die Personaldebatte muss jetzt beendet werden, wir müssen uns auf die Inhalte konzentrieren, da bin ich der festen Überzeugung. Und dann kann man auch mit dem Vorsitzenden Westerwelle, allerdings mit einem eigenen Profil in Baden-Württemberg, mit Uli Goll als unserem Spitzenkandidat und einem Kompetenzteam, das ich vorgeschlagen habe und wo die Vorsitzende Birgit Homburger auch angekündigt hat, dass sie heute Namen präsentieren wird, dann kann man hier in Baden-Württemberg eine wichtige Wende für die FDP schaffen, eine Wende zum Besseren.

    Armbrüster: Kann das denn in der Politik funktionieren, dass man eine Debatte einfach so von oben herab für beendet erklärt?

    Theurer: Also von oben herab eben gerade nicht. Das wird heute Diskussionen geben, man muss die Delegierten mitnehmen, also Durchhalteparolen und Geschlossenheitsappelle alleine reichen nicht aus, sondern die FDP muss mit ihren Mitgliedern, im Gespräch mit den Wählerinnen und Wählern, den Bürgern, ankommen in der Regierungsarbeit und sich überlegen, was können wir erreichen realistischerweise, was haben wir versprochen, wo waren die Versprechungen vielleicht auch nach elf Jahren Opposition unrealistisch. Aber ich bin ganz sicher, dass eine liberale Partei gebraucht wird als Korrektiv der CDU, als Anwalt und Verteidigerin der Bürgerrechte und vor allen Dingen als Mittelstandspartei.

    Armbrüster: Ob sie dieses Korrektiv, diese Funktion noch erfüllt, das bleibt fraglich, sie steckt im Umfragetief. Was erwarten Sie von Guido Westerwelle, wenn er in dieser Woche beim Dreikönigstreffen auftritt?

    Theurer: Also ich erwarte zum einen, dass er die Akzente, die er als Außenpolitiker gesetzt hat, herausarbeitet. Er hat klare Worte gefunden im Kampf gegen den Terrorismus, nach den schrecklichen Anschlägen auf die Kopten in Ägypten, er hat erfolgreich verhandelt den Sicherheitsratssitz der FDP, er hat auch eine Initiative, was ich als Europaabgeordneter sehr begrüße, vorgelegt für den möglichen EU-Beitritt Serbiens und für eine Perspektive im Kosovo, also da hat er Akzente gesetzt. Innerparteilich und innenpolitisch muss Guido Westerwelle als derjenige auftreten, der die FDP als Bundesvorsitzender moderiert und ein erfolgreiches Regierungsteam zur Geltung bringt, und gleichzeitig die FDP ermutigt, die inhaltliche Diskussion zu führen. Und da, glaube ich, dass auch mit dem Generalsekretär Lindner und der Grundsatzdebatte wichtige Schritte in die richtige Richtung gekommen sind. Und dann ist es ja so, schauen Sie die Frau Merkel an: Als Bundeskanzlerin ist sie auch Bundesvorsitzende, und da lässt man auch zu, dass die CDU eben in den Ländern und auch im Bund mit eigenem Personal Akzente setzt und die Vorsitzende mehr als die Moderierende auftritt. So eine Rolle, glaube ich, würde Guido Westerwelle als Bundesvorsitzender jetzt in der neuen Rolle der Regierungspartei der FDP gut anstehen.

    Armbrüster: Sagt Michael Theurer, der stellvertretende Landesvorsitzende der FDP in Baden-Württemberg. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Theurer!

    Theurer: Ja, vielen Dank, Herr Armbrüster, einen schönen Tag wünsche ich!