Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Wir brauchen eine grundlegende Einkommenssteuer-Strukturreform"

Den Bürgern mehr Geld zukommen lassen und dabei das Defizit wegsparen - beides geht aus Sicht des neuen Handwerk-Generalsekretärs Holger Schwannecke. Sein Kernargument: der "Selbstfinanzierungseffekt von Steuerentlastungen".

07.01.2010
    Der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Holger Schwannecke
    Der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Holger Schwannecke (ZDH)
    Christoph Heinemann: "Die Kosten des Wurstelns" überschrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung jüngst einen Kommentar im Wirtschaftsteil und listete auf – ich versuche es in einem Atemzug – Kurzarbeiterbrücke, Abwrackprämie, Rentengarantie, Deutschlandfonds zur Unterstützung schwächelnder Unternehmen, Konjunkturhilfen für Bau und Verkehr, Kindergelderhöhung, Sonderzuschüsse für Sozialkassen und so weiter. Kommentar: "Über die meisten Krisenmaßnahmen könne man auch im Nachhinein nur den Kopf schütteln." Und dabei war von der Steuervergünstigung für das Hotelgewerbe noch gar nicht die Rede. Guido Westerwelle, gestern wieder ganz und gar Parteivorsitzender beim Dreikönigstreffen der Liberalen, verteidigte diese Verringerung des Steuersatzes für Übernachtungen.

    O-Ton Guido Westerwelle: Wenn wir den Mittelstand entlasten, die Tourismuswirtschaft mit einer Million Beschäftigten, mit mehr als 100.000 Auszubildenden, acht Prozent aller neuen Ausbildungsplätze in diesem Bereich, dann gibt es eine Debatte über ein paar Hundert Millionen, die meines Erachtens bestens investiert sind. Aber wenn in Deutschland mal eben fünf Milliarden Euro über Nacht in alte Autos gesteckt werden, da sagt dann niemand irgendein kritisches Wort.

    Heinemann: Also sprach also gestern der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle. – Am Telefon ist Holger Schwannecke, der Generalsekretär, der frischgebackene Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Guten Morgen!

    Holger Schwannecke: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Schwannecke, wird zu viel gewurstelt in der Wirtschafts- und Finanzpolitik?

    Schwannecke: In der Tat erleben wir gegenwärtig ja eine Debatte in der Steuerpolitik, speziell um das Für und Wieder von Steuerentlastungen, und diese Debatte, die zurzeit geführt wird, ist aus Sicht der Wirtschaft, aus Sicht des Handwerks kontraproduktiv, sie ist gesamtpolitisch und gesellschaftspolitisch kontraproduktiv. Wir kämpfen darum, dass es gelingt, aus dem tiefen Tal des Jahres 2009, das wir mitgenommen haben in vielen Bereichen, wieder herauszukommen, wir versuchen, die konjunkturell positiven Faktoren zu verstärken, und wir erleben dann diese Debatte, die viel Verunsicherung schafft und die aus meiner Sicht ganz schnell aufhören muss.

    Heinemann: Die Steuerdebatte haben Sie angesprochen. CDU/CSU sagen, Steuersenkungen nicht um jeden Preis, 2011 zumindest; die FDP spricht sich für eine Verminderung der Steuerlast aus, koste es, was es wolle. Welcher dieser einander widersprechenden Positionen schließen Sie sich an?

    Schwannecke: Ich denke, man kann beides durchaus miteinander vereinbaren, Konsolidierung auf der einen Seite und Steuerentlastungen, wie sie im Koalitionsvertrag stehen, der im Übrigen so alt ja noch gar nicht ist, auf der anderen Seite. Beides ist möglich und beides sollten wir auch machen. Herr Schäuble hat ganz klar gesagt, wir brauchen einen strikten Konsolidierungskurs. Ja, da gehen wir ausdrücklich mit. Aber wir gehen auch mit – und insofern beide Facetten - bei der Frage Steuerentlastung, denn die brauchen wir. Mir gerät in der ganzen Diskussion eigentlich eines immer so ein bisschen aus dem Blick, und das ist auch der Selbstfinanzierungseffekt von Steuerentlastungen. Wir haben von Anfang an immer gesagt, wir brauchen eine grundlegende Einkommenssteuer-Strukturreform, und da redet man dann um zwei und über zwei Facetten. Das ist zum einen die Höhe von Entlastungen, und da muss man mal gucken, was im Mai die nächste Steuerschätzung erbringt, und das Zweite, das ist das Strukturelement dieser Steuerreform, die Frage transparenteres, einfacheres und gerechteres Steuersystem, und da redet man dann über die beiden Punkte Mittelstandsbauch beispielsweise und Beseitigung der kalten Progression. Das sind also Punkte, die man strukturell angehen muss. Deshalb denke ich, man kann beides vernünftig miteinander in Bezug bringen und vereinbaren. Dieser Selbstfinanzierungseffekt, der ist ja nicht nur deutlich geworden bei der großen Steuerreform auch in den 80er-Jahren, wo im Endeffekt nach Steuerentlastungen von über 30 Milliarden D-Mark ein im Ergebnis höheres Steueraufkommen zu verzeichnen war. Man muss sich die Zahlen einfach mal vor Augen halten. Ein Prozentpunkt Wachstum – und deshalb ist auch dieser Punkt so wichtig -, das schafft Haushaltsspielräume von 15 Milliarden Euro und das ist, meine ich, keine geringe Größenordnung und deshalb muss man immer gucken, dass man mit Steuerentlastungen letztlich auch dazu beiträgt, mehr Wachstum zu generieren, mehr im Portemonnaie der Leute zu haben. Das, denke ich, hilft weiter. Also beides ist aus meiner Sicht richtig.

    Heinemann: Die Experten rechnen aber vor, dass es diesen Selbstfinanzierungseffekt gar nicht gibt, oder nur zu einem Viertel gibt. Das heißt, für einen Euro Steuersenkungen kommen 25 Cent wieder rein. Deshalb noch mal die Frage: Sehen Sie finanziellen Spielraum? Kann man Steuersenkungen bezahlen, ohne auf Pump sie machen zu müssen, im Jahr 2011?

    Schwannecke: Ich bleibe dabei: Man kann das finanzieren, wobei man über die Höhe des Entlastungsvolumens und die Frage, wann greift das Entlastungsvolumen wirklich, darüber lasse ich mit mir reden, das ist gar keine Frage, aber wir dürfen bitte nicht aus dem Auge verlieren – und das ist klar fixiert auch im Koalitionsvertrag – den Punkt Vertrauen und Verlässlichkeit in das Setzen politischer Rahmenbedingungen, der Einstieg in eine grundlegende Einkommenssteuer-Strukturreform. Diese strukturverändernden Elemente brauchen wir. Der zweite Schritt, das ist dann die Höhe der Entlastungsvolumina selbst.

    Heinemann: Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geisler, wir haben es eben gehört, fordert, den schwarz-gelben Koalitionsvertrag wieder aufzuschnüren. Wenn Sie mit aufschnüren dürften, was würden Sie streichen oder einfügen?

    Schwannecke: Ich würde mich schon der Ausgangspassage nicht anschließen wollen, das Ganze wieder aufzuschnüren. Ich habe nicht ohne Grund davon gesprochen, dass man Vertrauen braucht - und ich erinnere an die Debatte des letzten Jahres – in politische Rahmenbedingungen und in politische Zusagen. Wir haben eine klare Vereinbarung dieser beiden Koalitionäre, in diesem Bereich etwas zu tun, und es macht aus meiner Sicht überhaupt gar keinen Sinn, dies zum Anlass zu nehmen, jetzt dieses aktuelle Thema um einen Koalitionsvertrag wieder aufzuschnüren.

    Heinemann: Das heißt, Sie sind im Großen und Ganzen zufrieden?

    Schwannecke: Was heißt zufrieden? Ich habe ganz klare Erwartungen an das, was zu geschehen hat, und speziell auch angesprochen auf den Punkt, können wir uns Steuerentlastungen leisten, bleibe ich dabei: Wir müssen einen klaren Konsolidierungskurs führen, aber der schließt nicht aus eine grundlegende Strukturreform im Bereich der Einkommenssteuer. Noch mal: Über die Höhe der Entlastungsvolumina, da kann man sicherlich reden und da sollte man abwarten, was die jüngsten Zahlen auch im Mai diesen Jahres erweisen.

    Heinemann: Müssen nach den Hotels weitere Branchen sozusagen à la carte Steuersenkungen bekommen?

    Schwannecke: Das ist ein besonderes Thema, dieser reduzierte Mehrwertsteuersatz für Übernachtungsleistungen, Volumen ja bekanntermaßen eine Milliarde. Wir hätten uns gewünscht, ich hätte mir gewünscht, dass das Thema nicht da jetzt so verordnet worden wäre, wie es geschehen ist. Wir haben immer gesagt, diese Umsatzsteuer bedarf einer generellen Überarbeitung, und das findet sich ja auch im Koalitionsvertrag im Übrigen: Einsetzung einer speziellen Gruppe, die sich mit dieser Neustrukturierung befasst. Da hat es aus meiner Sicht nun überhaupt gar keinen Grund gemacht, da vorzupreschen, eine Facette herauszulösen und die einer Regelung zuzuführen, die dann eine Milliarde kostet. Das hat uns wirklich nicht weitergeholfen.

    Heinemann: Also wenn Menü und nicht à la carte?

    Schwannecke: Ja!

    Heinemann: Schon jetzt kündigen Städte und Gemeinden höhere Gebühren an für Busse und Bahnen, Müllabfuhr oder Schwimmbäder. Was haben denn die Bürger davon, wenn die Steuern sinken und wegen der Steuersenkungen die Ausgaben und die Abgaben steigen?

    Schwannecke: Die Frage der kommunalen Finanzen, die drückt uns natürlich auch. Das ist gar keine Frage. Sie wissen, gerade das Handwerk hat in den Kommunen einen festen Partner. Deshalb kann uns die Frage der kommunalen Haushalte natürlich nicht egal sein. Aber die Gesamtfrage der kommunalen Haushalte, der Gemeindefinanzen, auch das wird ja eine Frage sein, der man in Zukunft noch weiter nachgehen wird.

    Heinemann: Hängt aber zusammen auch mit den Steuersenkungen, denn dann kommt auch weniger Geld bei den Kommunen an.

    Schwannecke: Das muss man genau mal untersuchen, welche Facette sich da wie im Ergebnis niederschlägt. Ich will das jetzt am Anfang nicht unmittelbar mit der Frage verknüpfen, schließt ein Konsolidierungskurs des Haushaltes Steuerentlastungen, so wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart worden sind, generell aus.

    Heinemann: Herr Schwannecke, wenn ich richtig gezählt habe, ist dieser Donnerstag Ihr vierter Arbeitstag im neuen Amt. Sie sind Nachfolger von Hans-Eberhard Schleyer. Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen?

    Schwannecke: Sie haben richtig gezählt, Herr Heinemann. Es ist der vierte Tag. – Es gibt verschiedene Punkte, die ich auf der Agenda habe, nicht nur für das erste Jahr, aber mit dem ersten Jahr beginnen wir ja nun mal. Da geht es zunächst sicherlich darum, die politischen Rahmenbedingungen deutlicher sich am Mittelstand ausrichten zu lassen.

    Heinemann: Was heißt das?

    Schwannecke: Das ist das, was wir seit Jahren schon auf der Agenda haben. Da muss man ein bisschen stärker akzentuieren. Mich treibt das Thema Bildung natürlich um, weil das für das Handwerk ein ganz essenzielles ist. Das beginnt bei der frühkindlichen Bildung mit verpflichtenden Vorschul- oder Kindergartenjahren und reicht dann bis zur Berufsorientierung hin. Und natürlich lässt uns auch nicht kalt, da muss dringend was geschehen aus meiner Sicht bei der Reform der Sozialversicherungssysteme. Das ist auch ein gesellschaftspolitisch so wichtiges Thema, genau übrigens wie die Bildung auch. Das sind so die Punkte, bei denen ich versuchen will, da einen Beitrag zu leisten, dass es ein Stück weiter vorangeht.

    Heinemann: Bitte eine Antwort in einem Wort. Sind Sie eher General, oder eher Sekretär?

    Schwannecke: Beides!

    Heinemann: Holger Schwannecke, der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schwannecke: Ich bedanke mich. Auf Wiederhören!

    Zentralverband des Deutschen Handwerks ZDH