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"Wir brauchen eine starke Lebensmittelüberwachung"

"Man muss das Netz engmaschiger machen, damit Betrug erschwert wird", sagt Gerd Billen Vorsitzender des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen. Die Lebensmittelhersteller sollten stärker für Betrug haften und die Überwachung müsse verstärkt werden.

Gerd Billen im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 16.02.2013
    Zurheide: Und über all das wollen wir jetzt reden mit Gerd Billen, dem Bundesvorsitzenden des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen. Guten Morgen, Herr Billen!

    Gerd Billen: Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Billen, wo fangen wir an? Wir können bei den Herstellern anfangen, oder vielleicht fangen wir mit den Verbrauchern an! Wenn die Verbraucher für eins-neunundzwanzig eine fertige Lasagne kaufen oder irgendwas aus der Dose … Ich will jetzt nicht sagen, dass sie da eine Mitverantwortung haben, es muss schon drin sein, was draufsteht. Aber dass da irgendwas nicht ganz stimmt, da könnte man auch drauf kommen, oder?

    Billen: Ja, weil wir schon in den letzten Jahren sehen: Der Druck auf die Lebensmittelpreise nimmt zu, es gibt hohen Wettbewerb. Und wir stellen fest, dass es viele Lebensmittel gibt, wo gute Inhaltsstoffe ausgetauscht werden. Also, in dem Jogurt mit Früchten finden wir dann nur noch Aromen wieder und eben keine Früchte, und die Produkte, wo mit der Kuh auf der Weide geworben wird, da hat die Kuh die Weide nie gesehen. Es ist bloß bei diesen Skandalen so, dass die Verbraucher das nicht erkennen können. Denn auch beim Thema Pferdefleisch sind diese Produkte in Spitzenhotels aufgetaucht! Also, es gibt keine Sicherheit zu sagen, billig heißt schlechte Qualität und teuer heißt Sicherheit.

    Zurheide: Also, ich wollte auch um Gottes Willen nicht sagen, dass da Schuld verteilt wird. Es geht um die Kernfrage, die Sie gerade adressiert haben: Was da draufsteht, muss auch drin sein. Aber genau darauf können wir uns offensichtlich nicht mehr verlassen, oder?

    Billen: Nein, darauf können wir uns nicht verlassen. Also, die Regeln sind eigentlich ganz einfach: Was draufsteht, sollte drin sein, und was drin sein sollte, sollte draufstehen. Und wenn man das beherzigt, dann fordert das zunächst Mal die Lebensmittelhersteller auf, mit ihren vielen Tricksereien und Schummeleien aufzuhören, an die wir uns im Alltag schon fast gewöhnt haben. Es bedeutet aber auch, dass die Lebensmittelkontrolle, die Überwachung, die Haftung für Lebensmittelhersteller so ausgestaltet sein muss, dass man möglichst wenig Schlupflöcher für Betrug lässt. Verhindern wird man das nicht können, wir haben nicht umsonst seit vielen Hundert Jahren ein Reinheitsgebot für Bier und andere Grundregeln. Aber man muss das Netz engmaschiger machen, damit Betrug erschwert wird.

    Zurheide: Nun wissen wir aber, dass gerade bei den Lebensmittelämtern, bei der staatlichen Überwachung, die dann oft auf Länderebene organisiert ist, dass da eigentlich in den vergangenen Jahren immer wieder gekürzt worden ist. Also, ich kann das hier aus Nordrhein-Westfalen beobachten, da weiß ich, da wird schon lange darüber geredet, dass da Kontrolleure fehlen, dass die Ämter jeweils völlig überlastet sind. Haben wir da zu viel abgebaut, weil wir den Staat immer schlanker machen wollten?

    Billen: Ja, wir haben eine Entwicklung gehabt, wo wir gesagt haben, die Verantwortung für die Sicherheit, die liegt bei den Herstellern. Das ist gut und schön. Wir stellen aber jetzt fest, wenn das niemand kontrolliert, wenn da niemand auch den Unternehmen auf die Finger klopft, dann erleichtert man sozusagen die Irreführung und den Betrug. In Deutschland gibt es viele Bundesländer, in denen findet Lebensmittelüberwachung nach Kassenlage statt und nicht danach, für eine hohe Sicherheit zu sorgen. Und wenn ich in andere europäische Länder gucke und hier gerade auch nach Großbritannien, dann ist das sogar noch gravierender, da ist massiv an Personal, an Lebensmittelüberwachung abgebaut worden. Und ich glaube, man muss mal, wir brauchen eine starke Lebensmittelüberwachung, gute Kontrollen, damit einfach jeder, der beschummeln will, der betrügen will, mit einem hohen Risiko rechnen muss, entdeckt zu werden.

    Zurheide: Auf der anderen Seite stellt man sich natürlich die Frage, wer soll das bezahlen? Wenn es wieder auf den Staat zurückfällt, sind die Steuerzahler dafür verantwortlich. Man könnte ja auch mit Fug und Recht sagen, na ja, eigentlich müssen das diejenigen machen, die davon profitieren, nämlich gerade die internationalen Konzerne! Gibt es da irgendeine Idee oder ist das völlig unrealistisch, das verursachungsgerecht aufzuteilen, die Kosten der Überwachung?

    Billen: Nein, ich meine, es ist … Den Vorschlag haben wir auch schon gemacht, die Kontrolle an sich, die muss beim Staat in der Hand liegen, die muss unabhängig sein. Da darf es keine Beeinflussung geben. Aber an der Finanzierung der Kontrolle kann man durchaus die Branche beteiligen. Das haben wir im Übrigen im Finanzbereich, wo die Banken, die Versicherungen einen Teil der Kosten für die Aufsicht mitfinanzieren. Und ich finde das auch verursachergerecht. Denn wir werden gerade im Bereich der Lebensmittelkontrolle mehr internationale Aktivitäten brauchen, die auch über die Bundesländer hinausgehen. Und das kann und sollte nicht an Finanzen scheitern. Es würde bedeuten, dass, gerade wenn die Branche beteiligt ist, vielleicht auch ein stärkerer Druck ausgeht, dass die schwarzen Schafe, die häufig geduldet werden, dann vom Markt verschwinden.

    Zurheide: Jetzt hat die Europäische Union diese Schnelltests beschlossen, die sollen jetzt ganz schnell kommen. Ist das aus Ihrer Sicht ein ausreichendes Signal, was da aus Brüssel gekommen ist?

    Billen: Ich halte das für richtig. Es ist dennoch nur ein Schnellschuss. Es muss ja darum gehen, an dem System was zu ändern. Wir haben ja beim Pferdefleisch gesehen, da geht es zu wie bei einem Hütchenspieler. Das Fleisch wird nach Zypern transportiert, es wird nach Luxemburg geliefert, dann gibt es irgendwelche Zwischenhändler, die schon wegen Betrug verurteilt worden sind. Also, man braucht hier Klarheit im System. Und auch das ist, glaube ich, relativ einfach: Derjenige oder diejenigen, die Lebensmittel produzieren und verarbeiten, müssen angehalten werden, einfache Grundregeln zu beachten. Und das funktioniert in weiten Teilen der Wirtschaft. Und deswegen ist das eine das, was der Staat tut, und das andere ist das, was die Lebensmittelunternehmen tun müssen. Sie müssen viel mehr auf die Qualität ihrer Rohstoffe, aber auch auf die Verlässlichkeit und Qualität ihrer Lieferanten achten.

    Zurheide: Dass drin sein sollte, was draufsteht, und umgekehrt, haben wir gerade schon besprochen. Nur, Sie haben im Moment einen anderen wichtigen Aspekt eingebracht, nämlich die Frage, wo kommt das alles her, was wir essen, und diese langen Lieferketten, also über Zypern und ich weiß nicht wo, sollte das nicht im Zweifel auch draufstehen, dann hat man mindestens einen Anhaltspunkt?

    Billen: Ja, eine Herkunftskennzeichnung, eine Kennzeichnung der Schritte, eine Transparenz über die verschiedenen Verarbeitungswege ist ein Schritt, um das zu erleichtern. Aber vielleicht muss man auch an einer anderen Ecke ansetzen und sagen, also, die Lebensmittelherstellung ist doch was anderes als ein internationaler Schrotthandel, wo man die Dinge einfach hin- und herschiebt. Man kann Fleisch in Deutschland besorgen, man kann es in Frankreich besorgen, also, vielleicht muss es auch in die Richtung kürzerer Wege gehen, klarer, verlässlicher Wege. Das hat sich jedenfalls beim Obst- und Gemüsebereich als sehr vorteilhaft erwiesen, eben, je weniger Zwischenhändler in so einem Bezug der Lebensmittel sind, desto besser kann man auch für Qualität und Verlässlichkeit sorgen. Also, vielleicht muss man auch diesem Wanderzirkus irgendwie ein Ende setzen und sagen, es geht um das Vertrauen der Verbraucher, um ihre Sicherheit. Und da muss man für klare Verhältnisse sorgen.

    Zurheide: Qualität und Verlässlichkeit ist das entscheidende Stichwort! Das war Gerd Billen, der Vorsitzende der Verbraucherzentralen in Deutschland. Herr Billen, ich bedanke mich für das Gespräch!

    Billen: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.