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"Wir brauchen einen Pakt gegen Inflationspolitik in Europa"

Liegt die Lösung der Probleme der Eurozone in einer gezielten Abwertung des Euro zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit? Volker Wissing (FDP) sagt anlässlich des G20-Treffens klar: Nein. Er warnt vor einem Währungskrieg.

Das Gespräch führte Christoph Heinemann | 15.02.2013
    Christoph Heinemann: Die Finanzminister und die Chefs der Notenbanken der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer kommen heute und morgen in Moskau zusammen. Vorher sind allerlei Warnungen und Entwarnungen zu hören. Bundesbankpräsident Jens Weidmann sagt, die Europäische Zentralbank wolle den Euro-Kurs nicht beeinflussen, und EZB-Präsident Mario Draghi bestätigte in Moskau, die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, sie ziele nicht auf die Wechselkurse ab. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble betonte, die Staaten müssten ihre Defizite verringern, und Jörg Asmussen blickt sorgenvoll in den Westen, nachdem der französische Premierminister Jean-Marc Ayrault am Mittwoch eingeräumt hatte, dass sein Land auch in diesem Jahr die Maastricht-Defizitmarke verfehlen dürfte, sagte der EZB-Direktor heute Früh bei uns im Deutschlandfunk.

    O-Ton Jörg Asmussen: "Wenn sie das nicht schaffen können, werden wir uns angucken müssen, ob es daran liegt, dass die wirtschaftliche Entwicklung sich eben überraschend und deutlich verschlechtert hat. Aber ich denke, es wäre ein gutes Signal, wenn Deutschland und Frankreich dafür sorgen, dass man den Stabilitätspakt nicht nur nach den Buchstaben, sondern auch dem Geist nach einhält. Wenn ein Land in einer schweren Rezession ist, bekommt man mehr Zeit, seine Defizitziele zu erreichen. Das halte ich ökonomisch auch für sinnvoll. Wenn man aber in normalen Umständen ist, muss man natürlich seine Defizitziele erreichen."

    Heinemann: EZB-Direktor Jörg Asmussen heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. – Am Telefon ist Volker Wissing, der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Tag!

    Volker Wissing: Guten Tag, ich grüße Sie.

    Heinemann: Herr Wissing, wenn wir den Euro abwerten, schaffen wir Arbeitsplätze. Passt der Hauptsatz zum Nebensatz?

    Wissing: Nein, er passt nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir den Euro abwerten, riskieren wir einen Währungskrieg, und das gefährdet Arbeitsplätze, und zwar in ganz erheblichem Umfang.

    Heinemann: Stimmt der Satz denn auf Französisch, oder weshalb befürwortet Paris eine Währungskurspolitik?

    Wissing: Frankreich ist in einem Dilemma. Der französische Präsident hat den Bürgerinnen und Bürgern die Lösung der französischen Probleme durch Hochsteuerpolitik versprochen. Diese Rechnung geht nicht auf. Das Gegenteil wäre richtig für Frankreich, die Marktwirtschaft zu stärken, moderater zu besteuern, und weil Frankreich aus eigener Kraft seine Probleme nicht lösen kann, ruft der französische Präsident nach der Europäischen Zentralbank. Das ist ein schwerer Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB. Es ist nicht Sache von Herrn Hollande, Herrn Draghi als EZB-Präsidenten Ratschläge zu geben, wie er Währungspolitik zu machen hat.

    Heinemann: Und was nun?

    Wissing: Wir müssen ganz klar diesen Versuchen widerstehen. Als Rainer Brüderle vor wenigen Tagen vorgeschlagen hat, einen Inflationsschutz in die deutsche Verfassung zu schreiben, haben viele gesagt, das ist doch gar nicht nötig, es gibt doch gar keine Inflationsgefahren. Wenige Tage danach hören wir aus Paris, Herr Hollande fordert die Europäische Zentralbank mittelbar zur Inflationspolitik auf. Und deswegen: Wir brauchen einen Pakt gegen Inflationspolitik in Europa. Rainer Brüderle liegt richtig.

    Heinemann: Die anderen tun es doch auch, zum Beispiel Japan.

    Wissing: Wir haben in Europa schwere Folgen der Inflation im letzten Jahrhundert erlebt. Wir haben den Menschen einen stabilen Euro versprochen und Vertrauen kann in die Euro-Krise nur zurückkehren, wenn wir an einer stabilen Währung festhalten. Die Lösung der Staatsverschuldungsprobleme liegt im Abbau der Defizite und das können wir nur erreichen, wenn wir die Marktwirtschaft stärken. Was hier passiert, 75 Prozent Steuersätze in Frankreich, ist solch eine absurde Politik: schwächt die Marktwirtschaft, schwächt Investitionen, verschärft die Staatsverschuldungskrise und ist genau das Gegenteil dessen, was Frankreich bräuchte.

    Heinemann: Wer sagt das den Japanern und den Amerikanern?

    Wissing: Wir müssen erreichen bei dem Gipfel, dass dieser Versuchung international widerstanden wird, künstlich die Währungen abzuwerten. Wenn einer damit anfängt, dann wird das eine Kettenreaktion geben, die hoch gefährlich ist und die man am Ende in ihren Folgen nicht überschauen kann.

    Heinemann: Das Kind ist aber längst im Brunnen. Der Yen hat gegenüber dem Euro bereits ein Fünftel des Wertes verloren, zum Vorteil der japanischen Wirtschaft.

    Wissing: Wir sehen das mit großer Sorge und ich sehe die Lösung darin, die Japaner zu überzeugen, zu einer fairen Politik miteinander zurückzukehren. Jedes Land muss seine Probleme lösen, keiner darf durch nationale Alleingänge oder Egoismen vorpreschen, ansonsten riskieren wir eine Eskalation dieser Krise. Wir haben ein globales Problem, das wir nicht durch nationale Egoismen und Alleingänge lösen können.

    Heinemann: Herr Wissing, entspricht denn der Wechselkurs des Euro der Lage der Wirtschaft in der Eurozone?

    Wissing: Ja, das ist der Fall. Wir haben die schwierige Lage, dass die Europäische Zentralbank eigentlich die Zinsen weiter senken müsste, aber das kann sie nicht, weil wir schon ganz weit unten sind, und wer es genau beobachtet sieht auch, dass die geldpolitische Transmission in der Eurozone gestört ist. Und deswegen müssen die Notenbanken in ihrer Unabhängigkeit zu den ungewöhnlichen Maßnahmen greifen und an den Märkten intervenieren.

    Heinemann: Das mit der Transmission habe ich nicht verstanden. Was ist da gestört?

    Wissing: Normalerweise müssten, wenn die Zinsen so weit abgesenkt werden, sich die Refinanzierungskosten der Wirtschaft in den südeuropäischen Staaten ebenfalls reduzieren. Bei den letzten Zinsmaßnahmen sind allerdings die Refinanzierungskosten der Wirtschaft etwa in Spanien gestiegen. Das heißt, die Interventionsmöglichkeit der Notenbank, die Transmission der Geldpolitik, ist nicht mehr gegeben, und das ist eine Ausnahmesituation, in der die Notenbank zu den ungewöhnlichen Maßnahmen gegriffen hat, beispielsweise durch Geldmengenausweitung an den Märkten zu intervenieren, und wichtig ist, dass man jetzt nicht von politischer Seite der Versuchung erliegt, in einen Währungskrieg einzutreten, um über eine gezielte Abwertung der eigenen Währung der Wirtschaft zu helfen. Das wäre nur ein Pyrrhus-Sieg, das würde nichts nützen, denn die anderen würden entsprechend reagieren. Die Folge wäre eine gesamte Störung der weltwirtschaftlichen Zusammenarbeit. Das kann niemand wollen, schon gar nicht die Deutschen.

    Heinemann: Sie haben gerade erklärt, Herr Wissing, dass die Theorie nicht funktioniert. Also warum steigen die Refinanzierungskosten?

    Wissing: Sie steigen, weil wir eine Vertrauenskrise in der Eurozone haben und weil die Investoren die große Sorge haben, dass einzelne südeuropäische Staaten innerhalb der Eurozone mit ihren Aufgaben überfordert sind. Wenn Sie sich die hohen Defizite anschauen und die schwache Wettbewerbsfähigkeit einzelner Euro-Staaten, dann darf man sich nicht wundern, dass die Investoren fern bleiben. Und deswegen gilt es jetzt, diese Politik der Regierung Merkel/Rösler fortzusetzen und ganz klar in Südeuropa darauf zu drängen, dass durch Reformen, durch marktwirtschaftliche Reformen die Wettbewerbsfähigkeit steigt, das Vertrauen zurückkommt.

    Heinemann: Sagen wir mal Regierung Merkel/Schäuble in dem Fall. Der ist, glaube ich, Finanzminister. Aber gut!

    Wissing: Ich habe die Bundeskanzlerin und den Vizekanzler gezielt angesprochen, denn der Bundeswirtschaftsminister macht ja immer wieder deutlich, dass wir marktwirtschaftlicher handeln müssen. Wir haben ja auch in Deutschland immer wieder die Versuchung, Marktwirtschaft auszuhebeln, die Probleme durch Subventionen, durch staatliche Intervention zu lösen, und da sind sich die Bundeskanzlerin und der Bundeswirtschaftsminister schon einig, dass es eine marktwirtschaftliche Lösung geben muss.

    Heinemann: Frankreich verpasst – Sie haben eben von den Defiziten gesprochen – das nicht zuletzt psychologisch wichtige Drei-Prozent-Ziel. Kann oder will die Regierung in Paris nicht mehr sparen?

    Wissing: Ja, die Regierung in Paris hat die falschen Rezepte im Wahlkampf versprochen. Herr Hollande hat den Franzosen versichert, er könne durch Steuererhöhungen das französische Defizit in den Griff bekommen, und das Gegenteil ist der Fall. Die Investoren sind geflohen. Wir haben ja erlebt, dass Investitionen fern bleiben in Frankreich. Mit den Steuererhöhungen hat Herr Hollande zugleich die Rezession verkünden müssen.

    Heinemann: Er hat aber noch was anderes gesagt. Er hat nämlich gesagt, wir brauchen Wachstum. Geht denn beides, sparen und Wachstum schaffen?

    Wissing: Ja natürlich! Er hat gesagt, wir brauchen Wachstum, hat den Menschen aber glauben gemacht, dass man Wachstum durch Steuererhöhungen schaffen kann. Das hören wir ja in Deutschland von SPD und Grünen auch. Das Gegenteil ist aber richtig. Wachstum schafft man, indem man Freiräume für private Investitionen schafft und diese erkämpft. Und deswegen haben wir ja mit unserer wachstumsorientierten Politik in Deutschland auch Erfolg. Schauen Sie, in den letzten drei Jahren wurde uns immer wieder zugerufen, wir müssten die Steuern erhöhen. Wir haben Nein dazu gesagt und haben Rekordwachstum in Europa hingelegt. Frankreich hat gesagt, wir schaffen, das Wachstum von Deutschland zu übertreffen, indem wir 75 Prozent Steuersätze einführen, und Frankreich hat die Bonität verloren, Frankreich hat Einbrüche bei dem Steueraufkommen. Wir haben in Deutschland das höchste Steueraufkommen in der Geschichte unseres Landes, und deswegen: Die Marktwirtschaft ist der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme. Und was die Staaten leisten müssen, ist nicht, den Markt zu schwächen, sondern was sie leisten müssen ist, ihr Defizit abzubauen.

    Heinemann: Herr Wissing, man muss nur die Menschen mitnehmen. In Italien steigt im Augenblick Silvio Berlusconi wie Phönix aus der Asche in den Umfragen empor. In einer Woche wird das Parlament in Rom neu gewählt. Berlusconi will allen die Immobiliensteuer zurückzahlen, und das zahlt sich für ihn offenbar aus. Wie gesagt: bisher nur in den Umfragen. Aber hat Ministerpräsident Monti die Bürgerinnen und Bürger überfordert?

    Wissing: Ich glaube, das, was Monti in Italien auf den Weg gebracht hat, war ganz wichtig, und wir haben ja auch gesehen, dass diese Reformpolitik, also diese ehrliche Reformpolitik Vertrauen zurückgewonnen hat. Und das muss fortgesetzt werden. Ich kann nur allen sagen, wer sich von der Wahrheit und der Realität weg bewegt und glaubt, mit Pyrrhus-Siegen, kurzfristigen Wahlerfolgen die Lösung der Probleme in den Griff zu bekommen, der irrt. Wir haben das in Frankreich gesehen: Das scheitert! Natürlich kann man die Menschen mit Sprüchen und mit schönen Geschichten begeistern, aber das hilft doch nichts. Die Lösung der Probleme liegt nicht in einer Erhöhung der Steuern; die Lösung der Probleme liegt darin, dass man die Staatsdefizite abbaut. Und das heißt: Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren, er muss auch Arbeitsmarktreformen durchführen, er muss die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft wieder in den Griff bekommen, dort wo sie gestört ist. Das hat Herr Monti getan und diese Vorschläge von Herrn Berlusconi sind dazu eben nicht geeignet.

    Heinemann: Volker Wissing, der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Wissing: Danke Ihnen auch – auf Wiederhören.

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