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"Wir brauchen für Menschen auf der Warteliste auch ein Einblicksrecht"

Eugen Brysch, der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, fordert ein transparenteres System der Organspende. Dazu müsste die Prüf- und Überwachungskommission "in staatliche Hände überführt" werden.

Eugen Brysch im Gespräch mit Thielko Grieß | 04.09.2013
    Thielko Grieß: Spenderorgane sind bekanntlich knapp und die Zahl derjenigen, die ein Organ benötigen, ist größer. Beispiel Niere: 80.000 Menschen bräuchten in Deutschland eine neue Niere, aber es gibt jährlich nur etwa 2000 Spendernieren. Also gibt es Wartelisten und es gab in verschiedenen Zentren für Transplantationen offenbar auch Mittel und Wege, diese Listen zu verändern. Ärzte manipulierten und am Ende standen manche Patienten weiter oben und andere rutschten nach unten. Dieser Skandal ist vor einem Jahr ans Licht der Öffentlichkeit gekommen; heute Vormittag haben Ärzte, Kassen und Krankenhäuser ausgewertet, wie mit Spenderlebern umgegangen worden ist. Die Ergebnisse sind am Vormittag in Berlin vorgestellt worden.
    Jetzt ist Eugen Brysch am Telefon, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Guten Tag, Herr Brysch!

    Eugen Brysch: Seien Sie herzlich gegrüßt, lieber Herr Grieß.

    Grieß: Wir haben es gehört: Nicht nur Göttingen, nicht nur Leipzig, sondern auch in Münster ist manipuliert worden. Erschrickt Sie das?

    Brysch: Es ging uns immer darum, in dieser Frage nicht zu skandalisieren. Jeder, der unsere Arbeit seit Jahren verfolgt weiß, dass wir genau beim Thema Organspende schon weitaus vor den Vorfällen in Göttingen gesagt haben, wir brauchen ein transparentes System, wir brauchen ein System, das politisch verantwortlich ist, und wir brauchen ein System, was auch den Menschen auf dieser Warteliste, den Schwerstkranken eine Sicherheit gibt. Und ich hoffe, dass jetzt allen klar wird, dass eine dringende Wende in diesem System notwendig ist. Ich will aber auch schon sagen: Ich befürchte, dass die privaten Akteure dazu nicht in der Lage sind. Schon alleine die Definition hier zwischen systematischen und nicht-systematischen Richtlinienverstößen zu unterscheiden, nährt in mir Befürchtungen.

    Grieß: Sie misstrauen also weiterhin den Organisationen, die bislang beauftragt sind mit der Organisation von Spenden?

    Brysch: Ich glaube, dass wir einen ersten Schritt machen müssen, wenigstens die Prüf- und Überwachungskommission, ein sehr sensibles Thema, in staatliche Hände zu überführen. Als ersten Schritt, ich will Ihnen auch gerne sagen warum. Wir wissen, dass jetzt diese Prüfungen über ein Jahr gebraucht haben, aber wir haben von diesem Zeitraum nur gut ein Viertel überhaupt geprüft in diesen zwei Jahren, 2010 und 2011.

    Grieß: Ein Viertel wovon?

    Brysch: Von allen tatsächlich vorgenommenen Organtransplantationen. – Wir müssen also den Rest, noch gut fast drei Viertel, nacharbeiten, um eine Komplettbewertung zu bekommen. Und ich glaube, dass uns klar sein muss, dass dieses nebenamtliche Gremium, das heute diese Arbeit leistet, nicht in Zukunft in der Lage ist, diese Fälle aufzuarbeiten und darüber hinaus – und jetzt kommt es; das hat uns ja die Bundesärztekammer und die Akteure schon im September letzten Jahres versprochen – permanent fortlaufend zu prüfen. Bis heute hat es von dieser Ankündigung im September 2012 keine Realisierung gegeben, weil Herr Montgomery ja heute sogar gesagt hat, wir wollen jetzt mit dieser permanenten Überprüfung beginnen – also ein Jahr später.

    Grieß: Vieles läuft aber trotzdem, und auch das steht ja in diesem Bericht, über den wir gerade berichtet haben aus Berlin -, dass in vielen Zentren durchaus auch vieles positiv läuft. Bei 20 Transplantationszentren habe es keine Beanstandungen gegeben. Warum gelingt denn das dort?

    Brysch: Ja wie Sie sehen: Auch das ist ja eine ganz interessante Definition. Erst mal sagt man, es hätte keine Beanstandung im Sinne von nicht-systematischen Richtlinienverstößen gegeben. Also man hat eine neue Definition eingeführt.

    Grieß: Einzelfälle sind da schon möglich, heißt das?

    Brysch: Richtig! Sie können, wenn Sie sich diese Liste aufmerksam anschauen, Auffälligkeiten erkennen und ich frage mich, ab wann beginnt denn jetzt, ein Richtlinienverstoß ein echter zu werden, wenn ich drei Fälle habe, oder wenn ich 30 Fälle habe. Ich wäre froh, wenn die 20, die wirklich auch hier genannt wurden, alle ohne Verstöße ausgekommen wären, sondern zählen Sie das zusammen – es wird offenkundig, dass nur vielleicht gerade mal eine gute Handvoll von Einrichtungen gezählt worden sind, die keine Regelverstöße hatten. Wie gesagt, man definiert einfach jetzt die Richtlinienverstöße zwischen nicht-systematisch und systematisch und hat natürlich ein anderes Bild. Ich will nicht skandalisieren, sondern ich fordere den Bundesgesundheitsminister auf und die politischen Verantwortlichen, in dieser Frage in aller Ernsthaftigkeit für eine Organspende zu werben, die auch in unserem Sinne ist. Wir erleben jeden Tag, wie schwierig das ist, Menschen davon zu überzeugen, bei einer Patientenverfügung sich wenigstens mit dem Gedanken der Organspende anzufreunden, auseinanderzusetzen.

    Grieß: Wer die politisch Verantwortlichen sein werden nach der Bundestagswahl in gut drei Wochen, das wissen wir noch nicht ganz genau, Herr Brysch. Aber einen Eindruck davon, wie Schwarz-Gelb das Thema behandelt, den haben Sie gewinnen können in den vergangenen Monaten. Wünschen Sie sich eine Fortsetzung dieser Gesundheitspolitik mit diesem Thema?

    Brysch: Wir wünschen uns in dieser Frage eine Politik, die endlich die Patientenrechte ernst nimmt. Wir brauchen, wenn der Wunsch existiert, für Menschen auf der Warteliste auch ein Einblicksrecht. Wir brauchen eine Regelung, wenn es um Lebenschancen geht, die der Bundestag festsetzt. Wir brauchen ein klares Halt, wenn es darum geht, dass die Bundesärztekammer bei der Leber die Frage der Dringlichkeit beantwortet, aber die Frage der Erfolgsaussicht überhaupt nicht mehr diskutiert. Das ist eindeutig kein Regelverstoß, sondern ein Gesetzesverstoß. Und wir glauben, dass die Frage, wer weiterleben darf und wer sterben muss, keine Frage von privaten Akteuren ist, sondern von staatlicher Verantwortung und den legitimen Vertretern unseres Volkes, und die sitzen im Deutschen Bundestag.

    Grieß: Der Deutsche Bundestag hat sich entschieden, die Organspendepraxis in Deutschland anders zu regeln, ist aber dabei nicht dem Beispiel aus dem Ausland gefolgt, dass jede Organspende zunächst einmal legitim ist, solange ich als Patient dem nicht ausdrücklich widersprochen habe. Halten Sie das nach wie vor für einen gangbaren, besseren Weg, in Deutschland die Organspende zu regeln, um an genügend Organe zu kommen?

    Brysch: Verfassungsrechtlich geht es bei uns in Deutschland nicht, dass Schweigen Zustimmung bedeutet. Ich glaube, wir können lernen aus dem Ausland. Wenn wir in die Schweiz hineinschauen, da hat man, nachdem man das deutsche System sehr genau geprüft hat, sich für einen anderen Weg entschieden und gesagt, diese Frage muss staatlich organisiert und verantwortet werden. Ich bin übrigens jetzt sehr froh, dass wenigstens das Parlament gesagt hat, dass die Richtlinien, die die Bundesärztekammer erlässt, zukünftig von wem auch immer, jedenfalls vom Bundesgesundheitsminister oder der Ministerin genehmigt werden müssen. Jetzt übernimmt auch zum ersten Mal die Politik und dieses Ministerium die Verantwortung für Regelverstöße, egal ob sie nicht-systematisch oder systematisch sind, und dieses Ministerium übernimmt die politische Verantwortung dafür, dass die Bundesärztekammer in den Richtlinien anderweitig formuliert als in den gesetzlichen Bestimmungen.

    Grieß: Eugen Brysch, der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Vielen Dank für das Interview heute Mittag hier im Deutschlandfunk.

    Brysch: Bitte sehr, Herr Grieß.


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