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"Wir brauchen wahrscheinlich neues Geld"

Der deutsch-griechische Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis hat sich dafür ausgesprochen, der Europäischen Zentralbank mehr Freiheiten zur Stabilisierung des Euro zu geben. Der direkte Aufbau von Staatsanleihen durch die EZB könne aber nur eine Übergangslösung zur "Abwehr von höherer Gewalt" sein und dürfe nicht zum Dauerzustand werden.

Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch mit Christine Heuer | 02.08.2012
    Christine Heuer: Die EZB plant offenbar eine doppelläufige Bazooka. Ist das jetzt die Wunderwaffe, mit der wir die Eurorettung doch noch schaffen?

    Jorgo Chatzimarkakis: Es ist noch nicht ganz klar, was der Präsident der EZB, Draghi, ankündigen wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es eine doppelläufige Bazooka, nämlich ein Instrument, die Märkte zu beruhigen. Vor einigen Monaten hat die EZB bereits eine große, eine Flutung der Märkte mit frischem Geld vor sich genommen, und das hat geholfen, das hat damals die Märkte massiv beruhigt. Etwas Ähnliches in Verbindung wahrscheinlich mit einer Bankenlizenz für den ESM, also den ständigen Rettungsfonds, der ja erst ab September wohl wirksam wird, ist wohl jetzt in der Planung.

    Heuer: Das heißt, es ist eigentlich eine dreiläufige Bazooka: Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB und durch den ESM plus die Banklizenz. Fangen wir mal mit dem ersten Teil an. Wenn die EZB Staatsanleihen wieder aufkauft, ist das überhaupt erlaubt?

    Chatzimarkakis: Das ist nach der Satzung eigentlich nicht erlaubt. Deswegen will man ja jetzt offenbar den eleganten Kunstgriff wählen, dem ESM sozusagen eine Lizenz zu geben, dass er sich bei der EZB, bei der Zentralbank Geld leihen darf. Der ESM, den es wie gesagt erst ab dem 12. September frühestens geben wird - dann kommt das Karlsruher Urteil des Bundesverfassungsgerichts -, der ESM könnte dann am Primärmarkt Anleihen kaufen, also direkt den Staaten Anleihen abkaufen, was der EZB eigentlich verboten ist. Das heißt, man würde für Recht und Ordnung sorgen, indem man eben diesen Kunstgriff, der offenbar nach jetziger Rechtslage möglich ist, benutzt.

    Heuer: Also Sie verstehen das so, dass der direkte Aufbau von Staatsanleihen durch die EZB nur eine Übergangslösung wäre?

    Chatzimarkakis: Das kann nur eine Übergangslösung sein, weil das eigentlich von der Satzung nicht gedeckt ist. Natürlich muss man zur Abwehr von höherer Gewalt oder von besonderer Gefahr auch dies ermöglichen. Das hat die EZB in der Vergangenheit getan, das kann und darf aber kein Dauerzustand werden, weil das die Glaubwürdigkeit der Bank natürlich nicht gerade untermauert.

    Heuer: Und der ESM, wenn er dann in die Bresche springt, der macht dann den Krisenstaaten die entsprechenden Auflagen, die dann kontrolliert werden können?

    Chatzimarkakis: Das wäre eine mögliche Konstruktion. Denn allen muss klar sein, dass, wenn der ESM aktiv wird, dass das mit Sparauflagen oder mit Strukturreformen verbunden ist. Es war ja kein Wunder, dass damals Irland nicht unter den Rettungsschirm wollte, dass Spanien sich lange gesperrt hatte und dann sozusagen einen Umweg gegangen ist über die Bankenrettung. Vom ESM Geld zu bekommen, heißt immer, sich auch in die Karten gucken zu lassen seitens der Troika. Das will keiner, das ist aber Voraussetzung dafür, dass dieser Mechanismus, nämlich der ständige Rettungsfonds, funktioniert. Wenn das anders wäre, dann hätten wir hier die Lizenz zum Gelddrucken, und dann wären der Inflation Tür und Tor geöffnet.

    Heuer: Jetzt haben wir versucht, mal zu ordnen diese recht komplizierten Spekulationen, was heute bei der EZB herauskommt. Die Frage unterm Strich, Herr Chatzimarkakis, ist aber: Braucht man dafür dann kein neues Geld?

    Chatzimarkakis: Wir brauchen wahrscheinlich neues Geld. Die EZB kämpft um die Stabilität des Euro mit Manschetten. Sie ist nicht auf einer Augenhöhe mit der Fed in den USA oder mit den Zentralbanken Chinas, Russlands, Brasiliens - das sind aber die Währungen, die weltweit mit dem Euro in Konkurrenz stehen. Und all das, was wir jetzt die letzten zwei Jahre erleben, sind letztendlich Schritte in Richtung einer Normalisierung der Rolle der EZB. Es würde ja, wie das der Börsenfachmann Dirk Müller gerade in ihrem Beitrag sagte, manchmal auch schon reichen, wenn die EZB Dinge ankündigt, ohne sie zu tun. Aber die Tatsache, dass sie sie nicht mal ankündigen darf laut Satzung, die erschweren ihr den Job, den Euro tatsächlich zu retten und zu sichern, und deswegen, glaube ich, ist es richtig, der EZB mehr Freiheiten zu geben, um ihren eigentlichen Auftrag, das Geld stabil und sicher zu halten, zu erfüllen.

    Heuer: Ja, aber die Frage ist ja, woher frisches Geld, wenn es denn nötig ist, kommen soll, und ob man damit die Freiheit nicht ein wenig zu weit versteht. Ich spreche an die Inflationsgefahr: Sollen wir denn neues Geld drucken, wenn wir es dann benötigen?

    Chatzimarkakis: Ja, wenn wir uns die Mitbewerber der EZB, nämlich die Fed und die anderen Zentralbanken anschauen, die können das, die dürfen das, und ich habe nicht festgestellt ...

    Heuer: Aber ist das schlau?

    Chatzimarkakis: Ob das schlau ist, ist die eine Frage. Die andere Frage ist, ob das wirklich zur Inflation geführt hat. Wenn man sich die Situation in den Vereinigten Staaten anguckt, dort hat es nicht zur Inflation geführt. Wir sind überhaupt in Europa sehr stark an dem alten Bundesbank-Modell gebunden, wir fühlen uns dem verhaftet, das ja eigentlich nur ein Versuch der Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg war - ein durchaus erfolgreicher Versuch -, die Zentralbank unabhängig zu machen. Die Fed zeigt heute, dass es eben auch anders geht, und warum sollte nicht die EZB zumindest Teile davon auch verwirklichen, um endlich Ruhe in die Diskussion um den Euro zu bringen.

    Heuer: Die deutsche Bundesregierung ist ja gegen all diese Pläne, die wir jetzt in diesem Interview besprechen, Herr Chatzimarkakis. Wie stark isoliert sich Deutschland gerade in Europa? Sind wir schon die Buhmänner?

    Chatzimarkakis: Ja, eindeutig ja, Deutschland ist sehr stark isoliert. Die Niederländer sind noch wacker an der Seite Deutschlands, die Slowakei, aber dann hört es auch schon auf. Selbst Finnland fängt jetzt an, andere Wege zu gehen. Und da muss man als Europapolitiker, der ich ja bin, auch drauf achten, dass man die Mannschaft zusammenhält. Ich glaube, die Strategie, dass man immer nur Abwehrgefechte führt, dass man immer nur Tabus aufbaut und rote Linien zieht, die man dann rückwärts einreißt, das hilft nicht weiter. Ich würde mir wünschen, dass die Kanzlerin das Gespräch, was sie letzte Woche mit François Hollande hatte, aber auch mit Mario Monti, nutzen würde, um nach vorne zu spielen, nicht immer nur nach hinten, denn das erwartet im Grunde die Politik weltweit. Ansonsten wäre ja Herr Geithner, der amerikanische Finanzminister diese Woche nicht in Europa und hätte Herrn Schäuble auf Sylt aufgesucht.

    Nicht nur die Politik, auch die Märkte erwarten eine klare Ansage, ein klares neues Profil der europäischen Geldpolitik. Mario Monti zieht im Moment die Strippen, der macht das ganz geschickt. Ich würde mir wünschen, dass die Kanzlerin die Bedenken, die es in der Koalition seitens der kleinen Parteien vor allem gibt, dass sie die auflöst und nach vorne spielt.

    Heuer: Ja, die kleinen Parteien - das betrifft Ihre eigene Partei, die FDP, die ja offenbar dann aus Ihrer Sicht gerade einen schweren Fehler macht. In der Kritik ist besonders Philipp Rösler - und Ihr Parteifreund Wolfgang Kubicki -, man stimmt schon die Abgesänge auf ihn als Parteivorsitzenden an. Kurz zum Schluss, Herr Chatzimarkakis: Sollte Rösler gehen?

    Chatzimarkakis: Da möchte ich mich deswegen nicht zu äußern, weil das Sache des Bundesvorstands ist, dem ich 16 Jahre angehört habe, jetzt nicht mehr. Dass er einen schweren Fehler gemacht hat mit seinen Aussagen zum Austritt Griechenlands und dass das seinen Stand innerhalb der Partei nicht gerade gebessert hat, ich glaube, das ist ganz klar, das steht außer Frage.

    Heuer: Und alles andere warten wir ab. Der Europaparlamentarier von den Liberalen, Jorgo Chatzimarkakis. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch!

    Chatzimarkakis: Danke Ihnen, Frau Heuer!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.